Mit »trainierten Affen« hat er Arbeiter verglichen, wenn Frederick Winslow Taylor, der 1915 verstorbene Arbeitswissenschaftler, in Fahrt war. Heute sind die Anforderungen andere. Produktionssysteme verändern sich. Das Toyota-Prinzip, Lean Production oder Ganzheitliche Produktionssysteme verändern die Arbeitswelt. Unter den Bedingungen des Fließbands wurde Arbeit zu einer sich wiederholenden Angelegenheit, mit geringen Anforderungen an kommunikative Fähigkeiten der Arbeiter. Die Beschäftigten wurden isolierte Glieder einer Produktionskette, bestimmt von Monotonie und geistlosen Handgriffen. Taylor hatte den Anspruch, Arbeitern jeden einzelnen Handgriff vorschreiben zu können, um das schnellste Arbeitstempo zu erreichen. Heute übernehmen PPS-Systeme diese Aufgaben, computergestützte Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme, die eine »Sukzessivplanung«, vornehmen.
Dies gelingt dem Management aber nicht mehr bei allen Tätigkeiten. Die zunehmende Technisierung der Arbeit erhöht die Anforderungen an die Beschäftigten, so dass die komplexen Abläufe heutzutage durch Zusammenarbeit der Beschäftigten in Teams organisiert werden sollen.
Adrian Mengay analysiert in seinem neuen Buch die damit verbundenen Folgen für die Beschäftigten. Der Autor setzt sich nicht nur theoretisch mit Formen der Arbeitssteuerung auseinander, er ist Partner von FORBA (Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen) in Berlin, forscht kritisch zu Fragen von Digitalisierung, Produktionssystemen und agiler Arbeit.
Dass agile Arbeit nicht mit Selbstverwirklichung verwechselt werden darf, machen bereits Bezeichnungen klar. Die Teams werden bei der Commerzbank »Cells« genannt, die zu größeren Einheiten in »Cluster« mit über 100 Angestellten zusammengefasst werden. Beim Audio-Streaming-Dienst Spotify werden die Einheiten »Squads« genannt – ein aus der US-Army bekannter Begriff für Truppeneinheiten der Soldaten.
Dabei kommt ein Taskboard zum Einsatz – ein visuelles Hilfsmittel, um den Projektfortschritt anzuzeigen. Einzelne Aufgaben wandern dabei durch verschiedene Spalten von links nach rechts. Das Taskboard kann digital verwaltet werden, wird aber oft in Papierform genutzt, etwa beim Daily Stand-up. Dies sind tägliche Kurzbesprechung im Stehen, bei dem jedes Teammitglied in zwei Minuten drei Fragen beantwortet: Wie bin ich gestern mit der Arbeit vorangekommen? Woran werde ich heute arbeiten? Welche Hindernisse stehen mir dabei eventuell im Weg?
Durch diese hohe Transparenz entsteht enormer Druck, denn im Planungsstadium müssen die Team-Mitglieder ihre Arbeitsweise offenlegen. So werden detailliert Arbeitspakete erfasst, die der Planung dienen sollen. Andererseits entsteht sozialer Druck innerhalb der Teams, denn es wird gemeinsam über das Vorgehen gesprochen, entsprechend erwarten Teammitglieder die Umsetzung.
Für Unternehmen geht es zunehmend um den Zugriff auf den »ganzen Menschen«: »Empowerment« ist gefordert, die Beschäftigten sollen in die Lage sein, ihre Arbeitsanforderungen selbständig zu bewältigen. Dabei werden geschickt Strategien zur Abgrenzung eingesetzt – die Soziologie spricht von der »Wir-Gruppe« und der »Die-Gruppe«: »Falls Sie die Identifikation in Ihrem Unternehmen gezielt stärken möchten, bieten sich hiermit interessante Ansatzpunkte: Benennen Sie eine ›Die-Gruppe‹. Auf der Ebene von Unternehmen bestehen zum Teil legendäre und sehr identifikationsförderliche Feindschaften, etwa zwischen Pepsi und Coca-Cola«, empfiehlt die Unternehmensberatung I.O. Group Wolf Consulting.
»Corporate Spirit« ist ein weiteres Schlagwort. Beschäftigte sollen sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren. Die Deutsche Vermögensberatung verfolgt diese Strategie seit Jahren. Sie setzt traditionell auf feste Partnerschaften mit Prominenten. Diese werden als in hohem Maße erfolgreich und ausgesprochen menschlich präsentiert, wie etwa der Fußball-Trainer Jürgen Klopp, der in Ausbildungsseminaren propagiert: »Identifikation als Geheimnis des Erfolges«.
Mengay verdeutlicht, dass Qualitätsmanagement etwa über ISO-Normen keinesfalls nur der Arbeitssteuerung dient. Es geht darum, den Prozess der Arbeit einer immer weitreichenderen Kontrolle und immer tieferen Eingriffsmöglichkeiten von oben zu unterwerfen. Dies wirkt sich massiv auf die Beschäftigten aus: Weg von der direkten Kontrolle und streng überwachten Fabrikdisziplin, hin zu Formen der Selbstkontrolle.
Die Folgen sind für Mengay klar: Der Beschäftigte nimmt es zunächst als Befreiung vom bisherigen Prinzip »Befehl und Gehorsam« wahr, wenn er eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann. Können die Ziele jedoch nicht erreicht werden, gibt es Druck. Es drohen der Entzug von Finanzmitteln, Versetzungen auf schlechter bezahlte Stellen, Verlagerung von Aufgaben an andere Standorte oder Entlassungen.
Über die Konsequenzen berichten auch Krankenkassen. Der Arbeitsausfall aufgrund psychischer Erkrankungen erreicht einen neuen Höchststand, meldet die Krankenkasse DAK im Fehlzeitenreport 2023.
Die Digitalisierung der Arbeit schreitet voran. Die Antwort der Unternehmen wird derzeit in vielen Betrieben deutlich: Agile Personalführung ist das Gebot der Stunde. In der Praxis wird jedoch immer klarer, welche negativen Folgen dies für die Belegschaften haben: Der Arbeitsdruck steigt, Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben werden fließend. Eine Debatte darüber wollen die Unternehmen vermeiden. Sie argumentieren lieber mit Sachzwängen. So wird über vermeintlich »technische Lösungen« beim Einsatz neuer Maschinen oder Software gefachsimpelt, statt eine dringend notwendige politische Auseinandersetzung darüber zu führen, wie Arbeitsplätze der Zukunft aussehen sollen.
Adrian Mengay, Produktions-System-Kritik – Zur Entwicklung von Qualitätsmanagement, Lean Production und Digitalisierung von Arbeit, Verlag Westfälisches Dampfboot 2023, 280 S., 30 €.