Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Vom Affen zu agiler Arbeit

Mit »trai­nier­ten Affen« hat er Arbei­ter ver­gli­chen, wenn Fre­de­rick Win­slow Tay­lor, der 1915 ver­stor­be­ne Arbeits­wis­sen­schaft­ler, in Fahrt war. Heu­te sind die Anfor­de­run­gen ande­re. Pro­duk­ti­ons­sy­ste­me ver­än­dern sich. Das Toyo­ta-Prin­zip, Lean Pro­duc­tion oder Ganz­heit­li­che Pro­duk­ti­ons­sy­ste­me ver­än­dern die Arbeits­welt. Unter den Bedin­gun­gen des Fließ­bands wur­de Arbeit zu einer sich wie­der­ho­len­den Ange­le­gen­heit, mit gerin­gen Anfor­de­run­gen an kom­mu­ni­ka­ti­ve Fähig­kei­ten der Arbei­ter. Die Beschäf­tig­ten wur­den iso­lier­te Glie­der einer Pro­duk­ti­ons­ket­te, bestimmt von Mono­to­nie und geist­lo­sen Hand­grif­fen. Tay­lor hat­te den Anspruch, Arbei­tern jeden ein­zel­nen Hand­griff vor­schrei­ben zu kön­nen, um das schnell­ste Arbeits­tem­po zu errei­chen. Heu­te über­neh­men PPS-Syste­me die­se Auf­ga­ben, com­pu­ter­ge­stütz­te Pro­duk­ti­ons­pla­nungs- und -steue­rungs­sy­ste­me, die eine »Suk­zes­siv­pla­nung«, vornehmen.

Dies gelingt dem Manage­ment aber nicht mehr bei allen Tätig­kei­ten. Die zuneh­men­de Tech­ni­sie­rung der Arbeit erhöht die Anfor­de­run­gen an die Beschäf­tig­ten, so dass die kom­ple­xen Abläu­fe heut­zu­ta­ge durch Zusam­men­ar­beit der Beschäf­tig­ten in Teams orga­ni­siert wer­den sollen.

Adri­an Men­gay ana­ly­siert in sei­nem neu­en Buch die damit ver­bun­de­nen Fol­gen für die Beschäf­tig­ten. Der Autor setzt sich nicht nur theo­re­tisch mit For­men der Arbeits­steue­rung aus­ein­an­der, er ist Part­ner von FORBA (For­schungs- und Bera­tungs­stel­le für betrieb­li­che Arbeit­neh­mer­fra­gen) in Ber­lin, forscht kri­tisch zu Fra­gen von Digi­ta­li­sie­rung, Pro­duk­ti­ons­sy­ste­men und agi­ler Arbeit.

Dass agi­le Arbeit nicht mit Selbst­ver­wirk­li­chung ver­wech­selt wer­den darf, machen bereits Bezeich­nun­gen klar. Die Teams wer­den bei der Com­merz­bank »Cells« genannt, die zu grö­ße­ren Ein­hei­ten in »Clu­ster« mit über 100 Ange­stell­ten zusam­men­ge­fasst wer­den. Beim Audio-Strea­ming-Dienst Spo­ti­fy wer­den die Ein­hei­ten »Squads« genannt – ein aus der US-Army bekann­ter Begriff für Trup­pen­ein­hei­ten der Soldaten.

Dabei kommt ein Taskboard zum Ein­satz – ein visu­el­les Hilfs­mit­tel, um den Pro­jekt­fort­schritt anzu­zei­gen. Ein­zel­ne Auf­ga­ben wan­dern dabei durch ver­schie­de­ne Spal­ten von links nach rechts. Das Taskboard kann digi­tal ver­wal­tet wer­den, wird aber oft in Papier­form genutzt, etwa beim Dai­ly Stand-up. Dies sind täg­li­che Kurz­be­spre­chung im Ste­hen, bei dem jedes Team­mit­glied in zwei Minu­ten drei Fra­gen beant­wor­tet: Wie bin ich gestern mit der Arbeit vor­an­ge­kom­men? Wor­an wer­de ich heu­te arbei­ten? Wel­che Hin­der­nis­se ste­hen mir dabei even­tu­ell im Weg?

Durch die­se hohe Trans­pa­renz ent­steht enor­mer Druck, denn im Pla­nungs­sta­di­um müs­sen die Team-Mit­glie­der ihre Arbeits­wei­se offen­le­gen. So wer­den detail­liert Arbeits­pa­ke­te erfasst, die der Pla­nung die­nen sol­len. Ande­rer­seits ent­steht sozia­ler Druck inner­halb der Teams, denn es wird gemein­sam über das Vor­ge­hen gespro­chen, ent­spre­chend erwar­ten Team­mit­glie­der die Umsetzung.

Für Unter­neh­men geht es zuneh­mend um den Zugriff auf den »gan­zen Men­schen«: »Empower­ment« ist gefor­dert, die Beschäf­tig­ten sol­len in die Lage sein, ihre Arbeits­an­for­de­run­gen selb­stän­dig zu bewäl­ti­gen. Dabei wer­den geschickt Stra­te­gien zur Abgren­zung ein­ge­setzt – die Sozio­lo­gie spricht von der »Wir-Grup­pe« und der »Die-Grup­pe«: »Falls Sie die Iden­ti­fi­ka­ti­on in Ihrem Unter­neh­men gezielt stär­ken möch­ten, bie­ten sich hier­mit inter­es­san­te Ansatz­punk­te: Benen­nen Sie eine ›Die-Grup­pe‹. Auf der Ebe­ne von Unter­neh­men bestehen zum Teil legen­dä­re und sehr iden­ti­fi­ka­ti­ons­för­der­li­che Feind­schaf­ten, etwa zwi­schen Pep­si und Coca-Cola«, emp­fiehlt die Unter­neh­mens­be­ra­tung I.O. Group Wolf Consulting.

»Cor­po­ra­te Spi­rit« ist ein wei­te­res Schlag­wort. Beschäf­tig­te sol­len sich mit ihrem Arbeit­ge­ber iden­ti­fi­zie­ren. Die Deut­sche Ver­mö­gens­be­ra­tung ver­folgt die­se Stra­te­gie seit Jah­ren. Sie setzt tra­di­tio­nell auf feste Part­ner­schaf­ten mit Pro­mi­nen­ten. Die­se wer­den als in hohem Maße erfolg­reich und aus­ge­spro­chen mensch­lich prä­sen­tiert, wie etwa der Fuß­ball-Trai­ner Jür­gen Klopp, der in Aus­bil­dungs­se­mi­na­ren pro­pa­giert: »Iden­ti­fi­ka­ti­on als Geheim­nis des Erfolges«.

Men­gay ver­deut­licht, dass Qua­li­täts­ma­nage­ment etwa über ISO-Nor­men kei­nes­falls nur der Arbeits­steue­rung dient. Es geht dar­um, den Pro­zess der Arbeit einer immer weit­rei­chen­de­ren Kon­trol­le und immer tie­fe­ren Ein­griffs­mög­lich­kei­ten von oben zu unter­wer­fen. Dies wirkt sich mas­siv auf die Beschäf­tig­ten aus: Weg von der direk­ten Kon­trol­le und streng über­wach­ten Fabrik­dis­zi­plin, hin zu For­men der Selbstkontrolle.

Die Fol­gen sind für Men­gay klar: Der Beschäf­tig­te nimmt es zunächst als Befrei­ung vom bis­he­ri­gen Prin­zip »Befehl und Gehor­sam« wahr, wenn er eigen­ver­ant­wort­lich Ent­schei­dun­gen tref­fen kann. Kön­nen die Zie­le jedoch nicht erreicht wer­den, gibt es Druck. Es dro­hen der Ent­zug von Finanz­mit­teln, Ver­set­zun­gen auf schlech­ter bezahl­te Stel­len, Ver­la­ge­rung von Auf­ga­ben an ande­re Stand­or­te oder Entlassungen.

Über die Kon­se­quen­zen berich­ten auch Kran­ken­kas­sen. Der Arbeits­aus­fall auf­grund psy­chi­scher Erkran­kun­gen erreicht einen neu­en Höchst­stand, mel­det die Kran­ken­kas­se DAK im Fehl­zei­ten­re­port 2023.

Die Digi­ta­li­sie­rung der Arbeit schrei­tet vor­an. Die Ant­wort der Unter­neh­men wird der­zeit in vie­len Betrie­ben deut­lich: Agi­le Per­so­nal­füh­rung ist das Gebot der Stun­de. In der Pra­xis wird jedoch immer kla­rer, wel­che nega­ti­ven Fol­gen dies für die Beleg­schaf­ten haben: Der Arbeits­druck steigt, Gren­zen zwi­schen Arbeit und Pri­vat­le­ben wer­den flie­ßend. Eine Debat­te dar­über wol­len die Unter­neh­men ver­mei­den. Sie argu­men­tie­ren lie­ber mit Sach­zwän­gen. So wird über ver­meint­lich »tech­ni­sche Lösun­gen« beim Ein­satz neu­er Maschi­nen oder Soft­ware gefach­sim­pelt, statt eine drin­gend not­wen­di­ge poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung dar­über zu füh­ren, wie Arbeits­plät­ze der Zukunft aus­se­hen sollen.

Adri­an Men­gay, Pro­duk­ti­ons-System-Kri­tik – Zur Ent­wick­lung von Qua­li­täts­ma­nage­ment, Lean Pro­duc­tion und Digi­ta­li­sie­rung von Arbeit, Ver­lag West­fä­li­sches Dampf­boot 2023, 280 S., 30 €.