»Dabei wissen wir doch, daß uns die Freiheit nicht auf den Versen folgt. Wir müssen, gräßliche Vernunft, Provokateure bleiben.« Vor fast genau 35 Jahren in der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur unter dem Titel »Rimbaud. Ein Psalm der Aktualität« vorgetragen, hat der Essay noch heute große Sprengkraft und Aktualität für immer. Sätze, die wehtun und die Lust auf Harmonie zerstören. So trat er an, der Provokateur, und ist doch ein eher leiser, scheuer Sachse, der es mit der Sprache und der Welt genau nimmt. Als koste es ihn Überwindung, so scharf und konsequent sein zu müssen. Er ist Philosoph, Dichter, Dramatiker, Erzähler und Essayist von Format, und der Suhrkamp Verlag tat gut daran, anlässlich seines 80. Geburtstags zwei Bände »geballte Ladung« Braun herauszugeben: »Handstreiche«: Aphorismen, Dialogfetzen, Zitate, Träume – manchmal böse und witzig, immer voller Hintersinn, nicht ganz ohne Hoffnung und doch: »Zum Sehen geboren, zum Schaudern bestellt.« Er schenkt uns Lesern nichts.
Das andere Buch, »Verlagerung des geheimen Punktes«, umfasst Reden und Schriften, genauer: Festreden und Untergrundtexte. Aber diese unterscheiden sich kaum voneinander, denn auch der mit Preisen Geehrte blieb in seinen Dankreden Provokateur und nannte stets das Dilemma seiner Zeit beim Namen, sei es im Namen Büchners, Lessings, Schillers und anderer seiner geistigen Ahnen. Dabei kneift Volker Braun nicht vor der jeweiligen Gegenwart. Wo er einfach nur zu danken brauchte, stellt er sich den Widersprüchen. Er hat seine Art gefunden, mit den eigenen und den Gedanken seiner Verbündeten geistige Gerüste zum Ertragen und Sich-Wehren gegen die Welt zu bauen. Das ist nicht immer leicht zu verstehen, aber immer ein Gewinn. Er ist – so uneitel und bescheiden – ein Großer. Herzlichen Glückwunsch!