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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Volk der Ermittler

Aben­de eines Wohl­ge­fal­lens sei­en der Gemein­de der im Lan­de anwe­sen­den und rege täti­gen Bevöl­ke­rung gegönnt. Am Tage hat sie das Gemein­we­sen in Stand und auf Trab gehal­ten. Was nun am Abend? Da taucht die gewich­ti­ge Fra­ge der ver­dien­ten Erho­lung durch eine gewis­se Unter­hal­tung auf. Vor allem für das älte­re Seg­ment des Volks­gan­zen ist immer noch die alte Tan­te Tele­vi­si­on ange­sagt. Mit aktu­el­ler Wis­sens­an­rei­che­rung vom Bericht über das Wet­ter sowie erhei­tern­de oder erschüt­tern­de poli­ti­sche Ereig­nis­se bis hin zu prak­ti­schen Ver­hal­tens­re­geln. Ob es nun die gesun­de Lebens­wei­se oder die Hei­lung von Krank­hei­ten betrifft – alles dabei. Geschichts­un­ter­richt als Bild­do­ku­ment heilt dann neben­bei von poli­ti­schen Irr­tü­mern. Und die am mei­sten geschei­ten und am wenig­sten geschei­ter­ten Klug­gei­ster der Gesell­schaft dür­fen end­los in Talk­shows ein­an­der loben oder ärgern. Als lachen­de Drit­te füh­len sich die Publi­kü­mer pudel­wohl. Oder sind vor Auf­re­gung über das Gebo­te­ne ganz baff.

Unter­hal­tung zu bie­ten ist ober­stes Gebot: »Sag zum Abschied lei­se Ser­vice!« heißt die Devi­se. Die auf gewinn­brin­gen­dem Ver­brau­cher­ni­veau belas­se­ne Kli­en­tel schluckt doch gern die süße Ver­lockung des Umwor­ben­seins. Und das Schockie­ren­de wirkt beson­ders prickelnd. Wel­che für übel gehal­te­ne Men­schen auch immer auf ver­bre­che­ri­sche Wei­se die­se Idyl­le vor­ge­spie­gel­ten Wohl­le­bens stö­ren – die­se müs­sen ange­zählt und zur Strecke gebracht wer­den. Dazu muss greif­bar Erleb­ba­res aus dem wirk­li­chen Leben her, mit vie­len Ecken und Kan­ten, bit­te schön. Das Zau­ber­wort heißt Krimi.

Das Abend­pro­gramm vor allem der öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten ist auf die Wei­se voll für die­ses immer­hin bei­trags­zah­len­de Publi­kum da. Und die Pri­va­ten tum­meln sich lachend und schockend dane­ben. Doch was dür­fen nun die tele­vi­sio­nä­ren Grund­er­leb­nis­se auf der Höhe der Zeit ver­mu­te­ter Men­schen sein? Bequem sich räkeln­de Lebe­we­sen bestimm­ter oder wech­seln­der gesell­schaft­li­cher und fami­liä­rer, sexu­el­ler oder beruf­li­cher Zuord­nung erwar­ten etwas Rest­ge­winn zum Abschluss des Tages. Und die bald müde in sich zusam­men­sin­ken­de Fan­ge­mein­de wird auf­ge­rich­tet vom Agie­ren meist jugend­li­cher Men­schen. Rie­si­ge Köp­fe wackeln da kreuz und quer, dazu­ge­hö­ri­ge Kör­per Fuß­ball spie­lend, durch die Gegend flit­zend oder rasend, laut schrei­end, ver­bor­gen flü­sternd. Lei­se wei­nend, gel­lend lachend oder bedeu­tungs­schwer grü­belnd. Ein Wun­der, wie viel vita­le Schau­spiel­kunst sich da in Details noch ver­steckt: Spit­zen­lei­stun­gen gibt es, wenn nach Götz Geor­ge nun Mat­thi­as Brandt die Höhe der Dar­stel­ler-Güte markiert.

In der Mehr­zahl der Pro­duk­tio­nen ist spä­te­stens auf den zwei­ten Blick erkenn­bar: Hier ist Kri­mi-Zeit. Hier wird ermit­telt. Hier wird Rea­li­tät pur wider­ge­spie­gelt. Hier leuch­tet sogar so man­cher All­tags­kon­flikt auf. Sozia­le Schief­la­gen und Kata­stro­phen auf der Armuts­flan­ke mün­den in nie­de­re aso­zia­le Ener­gie. Wäh­rend die höhe­re sich in kor­rup­ter Gewinn­sucht aus­tobt. Die aktu­el­le Mensch­heit scheint kri­mi­nell bis in die letz­te Ner­ven­fa­ser auf­ge­la­den. Die Leu­te stel­len sich nach Kräf­ten ein Bein, neh­men sich auf den Arm, und gera­ten schnell ins Hand­ge­men­ge. Falls sie lie­be­vol­le­ren Kör­per­kon­takt suchen, wim­melt es von Über­grif­fen und Miss­bräu­chen nach Strich und Faden. Ihr zur glei­chen Zeit gereiz­ter und ermat­te­ter Geist ist stän­dig zum Ein­schnap­pen bereit.

Nach der Flut an Kri­mis zu urtei­len, wim­melt die gan­ze Welt von Übel­wol­lern. Hin­ter jeder Stra­ßen­ecke lau­ert das näch­ste Ver­bre­chen. Wer zwei­felt da noch? Wenn die Hüter des Geset­zes nicht ernst­haft, bedeu­tungs­voll und streng mah­nend ermit­teln, dür­fen sie selbst Pro­blem­fäl­le mar­kie­ren. Komik kommt höch­stens noch von gebo­re­nen und dar­in geüb­ten Komö­di­an­ten und -innen. Tra­gik komisch zu unter­lau­fen ist ja eine beson­de­re Gabe, die eine gute Regie erst her­aus­kit­zelt. Muss man haar­klein im Hand­um­dre­hen blut­über­strömt stets gleich die erste Lei­che zu sehen bekom­men? Nein. Bei den bei­den Peters, Usti­nov und Falk, kei­nes­falls. Und wenn Axel Prahl und Jan Josef Lie­fers nicht ihren Dau­er­clinch immer neu zele­brie­ren wür­den, gäbe es wenig zu lachen. Die Zuschau­en­den sind spür­bar ernst­haft gefes­selt. Und tre­ten so in ihre das Gan­ze tra­gen­de Neben­rol­le: Sie dür­fen teil­neh­men, indem sie dem mit denk­bar pro­mi­nen­ter Schau­spiel­e­li­te besetz­ten Ermitt­ler­team gedank­lich assi­stie­ren. Schon ist Span­nung da. Geist und Kom­bi­na­ti­ons­ga­be ist gefragt. Und die eige­ne Grund­kon­di­ti­on läuft ohne­hin dar­auf hin­aus, im täg­li­chen Leben unun­ter­bro­chen Schul­di­ge am eige­nen, all­zu häu­fi­gen Miss­ge­schick zu ermit­teln. Da ent­kom­men sie ihrem prä­gen­den kind­li­chen Grund­er­leb­nis nie. Das dar­in besteht, im Zank mit ande­ren Kin­dern immer dem Gegen­part die Schuld zuzu­schie­ben, wenn die Erwach­se­nen zur Ord­nung rufen.

Das wächst sich nor­ma­ler­wei­se aus. Aber heu­te? Ja, da sind wir zeit­ge­nös­si­schen Typen auf unse­rer Achil­les­ver­se erwischt. Bei jedem klei­nen per­sön­li­chen Kon­flikt sind wir bereit, ein­zu­schnap­pen. Ein­mal etwas miss­ver­stan­den – das kann zu ewi­ger Ver­fein­dung füh­ren. Übel­neh­men ist Kult, und der Frust mit ande­ren kann uns die Lust am Leben ver­der­ben. Jeder quer Kom­men­de ist ein mög­li­cher Feind. Wer im Inter­net eine ande­re Mei­nung ver­tritt, ist dort schon im Wirr­warr form­lo­ser Sen­sa­ti­ön­chen ver­strickt. Und die Ermitt­lung der wah­ren Täter läuft schnell auf Hoch­tou­ren. Dazu ist via TV und sei­ner digi­ta­len Kopie viel zu ler­nen. Ist das nur dem Zau­ber­wort Span­nung zu verdanken?

Dass dort gleich drei hin­ter­ein­an­der gesen­de­te Kri­mis auf dem­sel­ben Sen­der immer neue Erwar­tungs­hal­tun­gen hoch sta­cheln? Ist das noch unser aller Lieb­ha­be­rei für gewitz­te ein­falls­rei­che Detek­ti­ve vom Schla­ge Miss Mar­ple oder Pater Brown, Her­cule Poi­rot oder Phil­ip Mar­lo­we? Die klas­si­schen lite­ra­ri­schen Vor­la­gen sind längst mehr­mals aus­ge­plün­dert. Don­na Leons spe­zi­el­le vene­zia­ni­sche Vari­an­te hat von den The­men her und mit die­ser unprä­ten­tiö­sen Dar­stel­ler-Crew die sym­pa­thisch­ste Aus­strah­lung weit und breit. Das ist eben nicht belie­big multiplizierbar.

Außer­dem wer­den im Wett­be­werb um die Sen­de­plät­ze gan­ze tra­di­tio­nell bewähr­te For­ma­te aus­ge­schlos­sen. Vom Thea­ter­ge­sche­hen her­ge­lei­te­te Komö­di­en sind fast aus­ge­stor­ben. So etwas wie »Sketch­up« oder »Klim­bim« kommt der Men­ta­li­tät jün­ge­rer Come­dy-Macher offen­bar wie Opas ver­staubt frem­des Erbe vor. Und die jet­zi­gen Mache­rin­nen von »Ladies Night« sind der herr­li­chen Masche der ori­gi­nä­ren Grün­de­rin­nen nicht gewach­sen. Scha­de drum. Denn da sind wir nun wie­der auf die­se rhei­nisch-deut­sche Art kin­disch albern. Ken­nung Lach­sal­ven mit Schen­kel­klop­fen ohne Anlass. Und Roman-Adap­tio­nen wie im schwach­brü­stig daher­kom­men­den »Fabi­an« nach Erich Käst­ner lie­ßen nur weh­mü­tig an ein­sti­ge Fal­la­da-Ver­fil­mun­gen aus der TV-Ost­kü­che den­ken. Jen­seits von Hein­rich Bre­loers Tho­mas-Mann-Gip­fel düm­pelt das Gen­re kraft­los dahin. Über­dies: Wo ler­nen heu­te jun­ge Leu­te authen­tisch die groß­ar­ti­ge Dra­ma­tik der Welt­li­te­ra­tur ken­nen? Nur noch auf Kri­mi fri­siert wird sie unter Umstän­den spiel­bar. Dabei hieß ein Best­sel­ler sogar mal »Die Ermittlung«.