Die Liste der Volksinitiativen (»VI«s), die sich in Hamburg seit 1997 gegründet haben, ist lang. Die »Volksinitiative gegen den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen« trägt in der Zusammenstellung von »Mehr Demokratie!« die Nummer 58 (https://hh.mehr-demokratie.de/themen/direkte-demokratie/volksinitiativen/bisherige-volksinitiativen).
Das Schicksal der thematisch sehr unterschiedlichen Initiativen war auch hinsichtlich ihres Erfolgs sehr verschieden. Einige wie die »Gegen die Bevormundung im H(amburger)V(erkehrs)V(erbund) – Für das Feierabendbier« gaben überhaupt keine Unterschriftenlisten ab. Andere waren »erfolgreich«, sind aber am Quorum gescheitert. Wieder andere mussten nicht in die nächstfolgende Stufe – das sogenannte »Volksbegehren« – eintreten, weil sie sich entweder mit der Bürgerschaft oder mit dem Senat geeinigt hatten. Es gab inhaltlich bedeutende Erfolge, die sich auch in der Realität niederschlugen, wie den Rückkauf der Energienetze oder die Verhinderung der Privatisierung von »Hamburg Wasser«. Es gab aber auch den Skandal, dass der Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den erfolgreichen Volksentscheid »Gesundheit ist keine Ware«, der von 76.8 Prozent der Abstimmenden angenommen worden war und auch das nötige Quorum erfüllt hatte, missachtete, indem er die Privatisierung Hamburger Krankenhäuser zuließ.
Es kam auch vor, dass VIs nicht in das nächstfolgende Stadium übergehen, um Unterschriften für ein Volksbegehren (VB) zu sammeln, weil das Hamburger Verfassungsgericht das Vorhaben als verfassungswidrig untersagt hatte.
Dieses Los ereilte die VI »Hamburg soll das Grundeinkommen testen« am 12. Juli. Am selben Tag wurde die Frage behandelt, ob das Vorhaben der »VI gegen Rüstungsexporte« (Abkürzung) verfassungsgemäß sei.
Seit diese am 14.12.2021 mit mehr als 16 442 Unterschriften die formale Voraussetzung erreicht hatte, in die Stufe des Volksbegehrens einzutreten, und am 1. Mai 2022 einen entsprechenden Antrag stellte, hatte der Hamburger Senat nach längerem Schweigen beschlossen, das anstehende Volksbegehren gerichtlich verbieten zu lassen.
Die Verhandlung fand im Plenarsaal des Hamburger Verfassungsgerichts statt. Die »VI gegen Rüstungsexporte« hatte am 8. Juli eine Mobilisierungskundgebung auf dem Gänsemarkt veranstaltet, auf der auch Bündnispartner (Attac, DFG-VK, Flüchtlingsrat, GEW, IPPNW, Lampedusa Group Hamburg, Linksjugend solid, ver.di) Reden hielten. So war es nicht verwunderlich, dass der große Saal gut gefüllt war.
Wer Platz genommen hatte, konnte zunächst einmal staunen über den Spruch, der auf einer großen Holztafel hoch hinter der Richterbank angebracht war: »Recht ist Wahrheit, Wahrheit ist Recht«. Dieser, wie auch der Richterverein einräumt, leicht missdeutbare Spruch lässt eher Zweifel als Vertrauen in die dort getroffenen Entscheidungen aufkommen.
Nun aber galt es, die »Gliederung des Ablaufs« zu studieren, die es immerhin auch Nicht-Juristen erleichterte, der Verhandlung zu folgen. Die Präsidentin, Birgit Voßkühler, trug eigens die Begründung der VI für ihren Antrag vor, der Ablehnung durch den Senat nicht zu folgen. Das Publikum im Saal – wohl fast ausschließlich auf Seiten der VI – nahm diesen ausdrucksvollen Vortrag wie eine Unterstützung seines Anliegens mit Beifall zur Kenntnis und musste sich dann aber von ihr ermahnen lassen, dieses Gericht nicht mit einem Theater zu verwechseln.
Über notwendige, aber inhaltlich nicht wesentliche Punkte wie »Statthaftigkeit des Antrags«, »Wahrung der Antragsfrist« usw. kam es sehr bald zu dem entscheidenden Punkt: Die Bürgerschaft hatte sich das Anliegen der VI nicht zu eigen gemacht, und der Senat will die VI nicht in die nächste Phase – die des Volksentscheids – eintreten lassen. Und sehr schnell wurde auch klar, wie der Hebel angesetzt werden sollte: Wie erwartet, unterstellte der Senatsvertreter, die VI könne ihr Anliegen letztlich nur über ein Gesetz beantragen, und hier seien dem Stadtstaat Hamburg die Hände gebunden.
Der Anwalt der VI, Wilhelm Achelpöhler, setzte dagegen, dass nicht Grundrechte wie die Berufsfreiheit, sondern nur Nutzungsrechte bzw. -verbote betroffen seien. Er konnte noch so viele Beispiele dafür anführen, dass Verbote – wie das Verbot, Rüstungsgüter durch den Hamburger Hafen zu transportieren – auch anders als durch Gesetze durchgesetzt werden konnten; das entsprechende Verwaltungshandeln dürfe nur keine überschießende Tendenz haben. Senat und Bürgerschaft beharrten darauf, die Form des Gesetzes sei zur Begründung des Verbots unerlässlich. Und lt. Art. 26, Abs. 2 GG (»Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Zustimmung der Bundesregierung (…) in Verkehr gebracht werden.«) dürfe nur der Bund ein solches Gesetz beschließen. Achelpöhler wies darauf hin, dass nur Start und Ziel, nicht aber der Weg im Einzelnen vorgeschrieben seien. Es stünden schließlich noch andere Seehäfen zur Verfügung. Da entfuhr es dann doch der Präsidentin – wenn auch in leicht ironischem Ton: »Wenn das nun alle machen würden!«
An dieser Stelle wurde deutlich, dass die Verhandlung nicht abgelöst von der »Zeitenwende«-Rede des Bundeskanzlers zu betrachten war. Es ist die Perspektive der »Domino-Theorie«, wie sie von den USA im Vietnamkrieg propagiert wurde. »Wenn der Hafen Hamburg ausfällt und vielleicht auch Kiel oder Bremen oder Emden …« – wie ein General es vor einiger Zeit ausdrückte: Dann stünde die Bundeswehr und dann bald auch die Nato »blank« da. Die Vertrauensfrau der VI konnte noch so sehr betonen, die Bürgerschaft würde gerade nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise (den Weg der Gesetzgebung) gedrängt werden, sondern könne andere Wege beschreiten, um das Anliegen der VI durchzusetzen. Senat und Bürgerschaft bewegten sich in der Verhandlung jedoch keinen Millimeter.
Und was vom Gericht – zumindest in Person seiner Präsidentin – zu erwarten ist, wurde deutlich, als sie zum Schluss ankündigte, die Entscheidung werde am 1. September verkündet werden, und das Publikum erheitert reagierte und sie selbst verdutzt wirkte: Ihr sagte dieses Datum – der Antikriegstag – offenbar gar nichts. Recht im vorgeblich politikfreien Raum!
Inzwischen ist, wie vorgesehen, am Antikriegstag die Entscheidung des Hamburger Verfassungsgerichts verkündet worden – auf 12 Seiten, die die Vorsitzende Richterin in rekordverdächtiger Geschwindigkeit verlas. Das Publikum hatte den Text vor sich und konnte an einigen wenigen Stellen feststellen, dass er von dem verlesenen abwich, was die Vorsitzende Richterin aber als rechtlich unerheblich betrachtete. Die Entscheidung war, wie erwartet, ablehnend, und zwar einstimmig: Das Volksbegehren sei »nicht durchzuführen«.
In den meisten Fällen hatte sich das Argumentationsmuster schon in der Anhörung vom 12. Juli abgezeichnet: Das Ziel der VI könne nur durch eine gesetzliche Vorschrift erreicht werde, die das Bundesland Hamburg nicht erlassen könne, da sie gemäß verschiedener einschlägiger Artikel des GG dem Bund vorbehalten sei. Außerdem wurden weitere Hemmnisse auf Hamburger Ebene (die ja ohnehin nicht von sich aus tätig werden darf) genannt: Weder dürfe, falls die Bürgerschaft entscheiden würde, das freie Mandat der Abgeordneten beeinträchtigt werden, noch, falls der Senat entschiede, die Bürgerschaft übergangen werden (Grundsatz der Verfassungsorgantreue).
Was sich aber absurderweise als der Auslöser all dieser Probleme erwies, war das Ergebnis eines Volksentscheids aus dem Jahr 2008: Seither binden die Volksentscheide Bürgerschaft und Senat. Nun fand aber, wie erwähnt, das Hamburger Verfassungsgericht heraus, dass weder die eine noch der andere gebunden werden dürfen. Preisfrage: Werden überhaupt noch Volksentscheide vom Hamburger Verfassungsgericht zugelassen werden?