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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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VI gegen Rüstungsexporte

Die Liste der Volks­in­itia­ti­ven (»VI«s), die sich in Ham­burg seit 1997 gegrün­det haben, ist lang. Die »Volks­in­itia­ti­ve gegen den Trans­port und Umschlag von Rüstungs­gü­tern über den Ham­bur­ger Hafen« trägt in der Zusam­men­stel­lung von »Mehr Demo­kra­tie!« die Num­mer 58 (https://hh.mehr-demokratie.de/themen/direkte-demokratie/volksinitiativen/bisherige-volksinitiativen).

Das Schick­sal der the­ma­tisch sehr unter­schied­li­chen Initia­ti­ven war auch hin­sicht­lich ihres Erfolgs sehr ver­schie­den. Eini­ge wie die »Gegen die Bevor­mun­dung im H(amburger)V(erkehrs)V(erbund) – Für das Fei­er­abend­bier« gaben über­haupt kei­ne Unter­schrif­ten­li­sten ab. Ande­re waren »erfolg­reich«, sind aber am Quo­rum geschei­tert. Wie­der ande­re muss­ten nicht in die nächst­fol­gen­de Stu­fe – das soge­nann­te »Volks­be­geh­ren« – ein­tre­ten, weil sie sich ent­we­der mit der Bür­ger­schaft oder mit dem Senat geei­nigt hat­ten. Es gab inhalt­lich bedeu­ten­de Erfol­ge, die sich auch in der Rea­li­tät nie­der­schlu­gen, wie den Rück­kauf der Ener­gie­net­ze oder die Ver­hin­de­rung der Pri­va­ti­sie­rung von »Ham­burg Was­ser«. Es gab aber auch den Skan­dal, dass der Bür­ger­mei­ster Ole von Beust (CDU) den erfolg­rei­chen Volks­ent­scheid »Gesund­heit ist kei­ne Ware«, der von 76.8 Pro­zent der Abstim­men­den ange­nom­men wor­den war und auch das nöti­ge Quo­rum erfüllt hat­te, miss­ach­te­te, indem er die Pri­va­ti­sie­rung Ham­bur­ger Kran­ken­häu­ser zuließ.

Es kam auch vor, dass VIs nicht in das nächst­fol­gen­de Sta­di­um über­ge­hen, um Unter­schrif­ten für ein Volks­be­geh­ren (VB) zu sam­meln, weil das Ham­bur­ger Ver­fas­sungs­ge­richt das Vor­ha­ben als ver­fas­sungs­wid­rig unter­sagt hatte.

Die­ses Los ereil­te die VI »Ham­burg soll das Grund­ein­kom­men testen« am 12. Juli. Am sel­ben Tag wur­de die Fra­ge behan­delt, ob das Vor­ha­ben der »VI gegen Rüstungs­expor­te« (Abkür­zung) ver­fas­sungs­ge­mäß sei.

Seit die­se am 14.12.2021 mit mehr als 16 442 Unter­schrif­ten die for­ma­le Vor­aus­set­zung erreicht hat­te, in die Stu­fe des Volks­be­geh­rens ein­zu­tre­ten, und am 1. Mai 2022 einen ent­spre­chen­den Antrag stell­te, hat­te der Ham­bur­ger Senat nach län­ge­rem Schwei­gen beschlos­sen, das anste­hen­de Volks­be­geh­ren gericht­lich ver­bie­ten zu lassen.

Die Ver­hand­lung fand im Ple­nar­saal des Ham­bur­ger Ver­fas­sungs­ge­richts statt. Die »VI gegen Rüstungs­expor­te« hat­te am 8. Juli eine Mobi­li­sie­rungs­kund­ge­bung auf dem Gän­se­markt ver­an­stal­tet, auf der auch Bünd­nis­part­ner (Attac, DFG-VK, Flücht­lings­rat, GEW, IPPNW, Lam­pe­du­sa Group Ham­burg, Links­ju­gend solid, ver.di) Reden hiel­ten. So war es nicht ver­wun­der­lich, dass der gro­ße Saal gut gefüllt war.

Wer Platz genom­men hat­te, konn­te zunächst ein­mal stau­nen über den Spruch, der auf einer gro­ßen Holz­ta­fel hoch hin­ter der Rich­ter­bank ange­bracht war: »Recht ist Wahr­heit, Wahr­heit ist Recht«. Die­ser, wie auch der Rich­ter­ver­ein ein­räumt, leicht miss­deut­ba­re Spruch lässt eher Zwei­fel als Ver­trau­en in die dort getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen aufkommen.

Nun aber galt es, die »Glie­de­rung des Ablaufs« zu stu­die­ren, die es immer­hin auch Nicht-Juri­sten erleich­ter­te, der Ver­hand­lung zu fol­gen. Die Prä­si­den­tin, Bir­git Voß­küh­ler, trug eigens die Begrün­dung der VI für ihren Antrag vor, der Ableh­nung durch den Senat nicht zu fol­gen. Das Publi­kum im Saal – wohl fast aus­schließ­lich auf Sei­ten der VI – nahm die­sen aus­drucks­vol­len Vor­trag wie eine Unter­stüt­zung sei­nes Anlie­gens mit Bei­fall zur Kennt­nis und muss­te sich dann aber von ihr ermah­nen las­sen, die­ses Gericht nicht mit einem Thea­ter zu verwechseln.

Über not­wen­di­ge, aber inhalt­lich nicht wesent­li­che Punk­te wie »Statt­haf­tig­keit des Antrags«, »Wah­rung der Antrags­frist« usw. kam es sehr bald zu dem ent­schei­den­den Punkt: Die Bür­ger­schaft hat­te sich das Anlie­gen der VI nicht zu eigen gemacht, und der Senat will die VI nicht in die näch­ste Pha­se – die des Volks­ent­scheids – ein­tre­ten las­sen. Und sehr schnell wur­de auch klar, wie der Hebel ange­setzt wer­den soll­te: Wie erwar­tet, unter­stell­te der Senats­ver­tre­ter, die VI kön­ne ihr Anlie­gen letzt­lich nur über ein Gesetz bean­tra­gen, und hier sei­en dem Stadt­staat Ham­burg die Hän­de gebunden.

Der Anwalt der VI, Wil­helm Achel­pöh­ler, setz­te dage­gen, dass nicht Grund­rech­te wie die Berufs­frei­heit, son­dern nur Nut­zungs­rech­te bzw. -ver­bo­te betrof­fen sei­en. Er konn­te noch so vie­le Bei­spie­le dafür anfüh­ren, dass Ver­bo­te – wie das Ver­bot, Rüstungs­gü­ter durch den Ham­bur­ger Hafen zu trans­por­tie­ren – auch anders als durch Geset­ze durch­ge­setzt wer­den konn­ten; das ent­spre­chen­de Ver­wal­tungs­han­deln dür­fe nur kei­ne über­schie­ßen­de Ten­denz haben. Senat und Bür­ger­schaft beharr­ten dar­auf, die Form des Geset­zes sei zur Begrün­dung des Ver­bots uner­läss­lich. Und lt. Art. 26, Abs. 2 GG (»Zur Krieg­füh­rung bestimm­te Waf­fen dür­fen nur mit Zustim­mung der Bun­des­re­gie­rung (…) in Ver­kehr gebracht wer­den.«) dür­fe nur der Bund ein sol­ches Gesetz beschlie­ßen. Achel­pöh­ler wies dar­auf hin, dass nur Start und Ziel, nicht aber der Weg im Ein­zel­nen vor­ge­schrie­ben sei­en. Es stün­den schließ­lich noch ande­re See­hä­fen zur Ver­fü­gung. Da ent­fuhr es dann doch der Prä­si­den­tin – wenn auch in leicht iro­ni­schem Ton: »Wenn das nun alle machen würden!«

An die­ser Stel­le wur­de deut­lich, dass die Ver­hand­lung nicht abge­löst von der »Zeitenwende«-Rede des Bun­des­kanz­lers zu betrach­ten war. Es ist die Per­spek­ti­ve der »Domi­no-Theo­rie«, wie sie von den USA im Viet­nam­krieg pro­pa­giert wur­de. »Wenn der Hafen Ham­burg aus­fällt und viel­leicht auch Kiel oder Bre­men oder Emden …« – wie ein Gene­ral es vor eini­ger Zeit aus­drück­te: Dann stün­de die Bun­des­wehr und dann bald auch die Nato »blank« da. Die Ver­trau­ens­frau der VI konn­te noch so sehr beto­nen, die Bür­ger­schaft wür­de gera­de nicht auf eine bestimm­te Vor­ge­hens­wei­se (den Weg der Gesetz­ge­bung) gedrängt wer­den, son­dern kön­ne ande­re Wege beschrei­ten, um das Anlie­gen der VI durch­zu­set­zen. Senat und Bür­ger­schaft beweg­ten sich in der Ver­hand­lung jedoch kei­nen Millimeter.

Und was vom Gericht – zumin­dest in Per­son sei­ner Prä­si­den­tin – zu erwar­ten ist, wur­de deut­lich, als sie zum Schluss ankün­dig­te, die Ent­schei­dung wer­de am 1. Sep­tem­ber ver­kün­det wer­den, und das Publi­kum erhei­tert reagier­te und sie selbst ver­dutzt wirk­te: Ihr sag­te die­ses Datum – der Anti­kriegs­tag – offen­bar gar nichts. Recht im vor­geb­lich poli­tik­frei­en Raum!

Inzwi­schen ist, wie vor­ge­se­hen, am Anti­kriegs­tag die Ent­schei­dung des Ham­bur­ger Ver­fas­sungs­ge­richts ver­kün­det wor­den – auf 12 Sei­ten, die die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin in rekord­ver­däch­ti­ger Geschwin­dig­keit ver­las. Das Publi­kum hat­te den Text vor sich und konn­te an eini­gen weni­gen Stel­len fest­stel­len, dass er von dem ver­le­se­nen abwich, was die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin aber als recht­lich uner­heb­lich betrach­te­te. Die Ent­schei­dung war, wie erwar­tet, ableh­nend, und zwar ein­stim­mig: Das Volks­be­geh­ren sei »nicht durchzuführen«.

In den mei­sten Fäl­len hat­te sich das Argu­men­ta­ti­ons­mu­ster schon in der Anhö­rung vom 12. Juli abge­zeich­net: Das Ziel der VI kön­ne nur durch eine gesetz­li­che Vor­schrift erreicht wer­de, die das Bun­des­land Ham­burg nicht erlas­sen kön­ne, da sie gemäß ver­schie­de­ner ein­schlä­gi­ger Arti­kel des GG dem Bund vor­be­hal­ten sei. Außer­dem wur­den wei­te­re Hemm­nis­se auf Ham­bur­ger Ebe­ne (die ja ohne­hin nicht von sich aus tätig wer­den darf) genannt: Weder dür­fe, falls die Bür­ger­schaft ent­schei­den wür­de, das freie Man­dat der Abge­ord­ne­ten beein­träch­tigt wer­den, noch, falls der Senat ent­schie­de, die Bür­ger­schaft über­gan­gen wer­den (Grund­satz der Verfassungsorgantreue).

Was sich aber absur­der­wei­se als der Aus­lö­ser all die­ser Pro­ble­me erwies, war das Ergeb­nis eines Volks­ent­scheids aus dem Jahr 2008: Seit­her bin­den die Volks­ent­schei­de Bür­ger­schaft und Senat. Nun fand aber, wie erwähnt, das Ham­bur­ger Ver­fas­sungs­ge­richt her­aus, dass weder die eine noch der ande­re gebun­den wer­den dür­fen. Preis­fra­ge: Wer­den über­haupt noch Volks­ent­schei­de vom Ham­bur­ger Ver­fas­sungs­ge­richt zuge­las­sen werden?