In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat der ukrainische Diplomat Oleksander Scherba Teile der Friedensbewegung im Westen als »eine Bewegung von verwirrten Menschen und Zynikern« bezeichnet, »die willens sind, die Augen zu verschließen vor der Zerstörung und der Freiheit von Millionen Menschen inmitten Europas«. Ihr Ziel sei nicht ein »Ende des Tötens« in der Ukraine, es gehe vielmehr darum, »dass sie mit Bildern des Tötens nicht mehr in den Abendnachrichten konfrontiert werden wollen. Das Töten der Ukrainer darf zwar durchaus weitergehen – aber bitte unsichtbar für die empfindlichen westlichen Augen: in Folterkammern, Gefängnissen und Arbeitslagern, deren Schaffung in der russischen Presse aktiv diskutiert und gefordert wird.«
Eine derartige Unverfrorenheit bei der Diffamierung (friedens-)politisch Andersdenkender wirft ein mehr als bedenkliches Licht auf das Demokratieverständnis jenes Diplomaten. Bei allem Verständnis für seine Sorge um den weiteren Verlauf des Angriffskrieges gegen die Ukraine ist Scherbas verbale Entgleisung vollkommen inakzeptabel und konterkariert die vielfältigen (auch diplomatischen) Unterstützungsleistungen bei den Bemühungen um ein Ende jenes Krieges. Und es stellt sich auch die Frage, wie eine derart intolerante Sichtweise eines ukrainischen Diplomaten in Post-Kriegszeiten konstruktiv Einfluss auf die notwendigen und erforderlichen Bemühungen der Ukraine bei der Bekämpfung der Korruption innerhalb der Ukraine, bei der Entmachtung ukrainischer Oligarchen und bei der Entpolitisierung der ukrainischen Justiz nehmen kann. Diesbezügliche Zweifel sind leider mehr als angebracht.
In noch destruktiverer Art und Weise verhält sich der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Oleksij Danilow, wenn er auf seiner Facebook-Seite zwölf Schritte zur Rückeroberung der Krim skizziert, die erschreckenderweise totalitäre Züge aufweisen. In einem Bericht der taz über Danilows zwölf Schritte »eines Deokuppations-Prozesses« ist die Rede davon, dass die in der Ukraine lebende Bevölkerung »entgiftet« werden müsse, nachdem der »russische Gauleiter-Abschaum auf der vorübergehend besetzten Krim in einem hysterischen Z-Anfall zu weit gegangen« sei. Russland dürfe »in seiner jetzigen Form so nicht weiterleben«. Zu den ukrainischen Sicherheitsinteressen gehörten deshalb die »Desubjektivierung Russlands als staatliches Gebilde und die Deputinisierung der Bevölkerung«. Die Welt müsse sich an den Gedanken gewöhnen, dass Russland in den Grenzen und in dem Zustand, in dem es derzeit existiere, nicht überleben solle.
Man könnte die ignorante Sichtweise von Scherba und die demagogischen Worte Danilows in beschwichtigender Weise als verbale Entgleisungen oder als Einzelmeinungen abtun, doch in ihrer demokratiefeindlichen Radikalität und Brutalität sind sie einfach nicht hinnehmbar und bedürfen einer deutlichen und entschlossenen Zurückweisung. Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen auf ihrer immer länger werdenden »Liste der militärischen Unterstützungsleistungen« für die Ukraine das Luftverteidigungssystem PATRIOT ergänzt sowie mit Grenzschutzfahrzeugen und Zetros-LKWs. Deutschland gehört damit schon längst zu einem der wichtigsten Geldgeber und Waffenexporteure innerhalb der die Ukraine unterstützenden Staatengemeinschaft. Das darf gegenüber der Ukraine indes nicht vollkommen grenzen- und kritiklos bleiben. Denn offenbar benötigen einige hochrangige politische Akteure der Ukraine dringend Nachhilfe in Sachen Demokratieverständnis.
Die Liste der Bundesregierung für militärische Unterstützungsleistungen sollte mit einer Liste demokratiefördernder Unterstützungsleistungen erweitert werden, auf die ein demokratisches Staatswesen nicht verzichten kann und die sich wie folgt zusammenfassen lassen: Demokraten (und solche, die es werden wollen) bekennen sich bedingungslos zu den Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Volkssouveränität und Opposition. Sie achten die Grundrechte wie die Meinungs- und Religionsfreiheit, vertreten Werte wie Solidarität, Anerkennung oder Respekt und stehen für die Gleichwertigkeit aller Menschen ein. Das mag in Zeiten eines Krieges zynisch klingen, doch für ein Land, das Mitglied der Euro-
päischen Union werden möchte, ist die Umsetzung jener universalen Werte alternativlos. Und von der Bundesregierung muss die Zivilgesellschaft erwarten können, dass sämtliche Unterstützungsleistungen an die Ukraine immer wieder im Lichte des dortigen Demokratieverständnisses bewertet und nötigenfalls auch korrigiert werden. Andernfalls würde der kollektive Anspruch an die Achtung und Einhaltung unserer eigenen demokratischen Werte und Prinzipien verraten werden. Das wäre vollkommen inakzeptabel und würde uns tatsächlich zu »verwirrten Zynikern« verkommen lassen. Was wiederum nicht wirklich im Interesse der Herren Scherba, Danilow, Melnyk und Konsorten sein sollte.