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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Versperrte Fluchtwege

Die Welt, wie sie nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs von den USA neu geord­net und fort­ent­wickelt wur­de, zeich­net sich nicht nur dadurch aus, dass mit der ubi­qui­tä­ren Über­nah­me des kapi­ta­li­sti­schen Prin­zips als der ein­zi­gen der Men­schen­na­tur gemä­ßen Art des Wirt­schaf­tens War­ren Buf­fetts Klas­se gesiegt hat. Der gott­ge­woll­te und der Staats-DNS der USA ein­ge­schrie­be­ne hege­mo­nia­le Anspruch, sich die Erde unter­tan zu machen, bestimmt zudem, wel­chen Regio­nen über­haupt das Recht, Staat zu sein, ein­ge­räumt oder genom­men wird; Nord­ko­rea bei­spiels­wei­se steht es nicht zu, wes­halb an des­sen Gren­ze vor­sorg­lich der Atom­krieg geprobt wird. Das Ein­wir­ken der USA auf die Staa­ten, die sie vor­fin­den, dreht sich dar­um, dass die­se öko­no­misch-mili­tä­risch so unter­le­gen sind bzw. zu sein haben, dass sie nicht anders kön­nen als ihre Zwecke unter Ver­zicht auf den Ein­satz von Waf­fen, die natür­lich auch sie vor­hal­ten, von vorn­her­ein ein­sich­tig oder nach Bestra­fung mit Krieg an den Inter­es­sen der USA aus­zu­rich­ten. Damit ist eine glo­ba­le Hier­ar­chie eta­bliert, die von »Indu­strie­län­dern« über »Schwel­len­län­der« hin­ab zu »Ent­wick­lungs­län­dern« reicht, denen als unter­stem Glied von Ver­wer­tungs­ket­ten ver­bleibt, sich als ver­län­ger­te Werk­bank, Roh­stoff­be­reit­stel­ler oder Müll­de­po­nie dienst­bar zu machen.

Beim hoch­in­du­stria­li­sier­ten Staa­ten­block der EU wie­der­um ist, trans­at­lan­tisch gese­hen, zum einen des­sen Wirt­schafts­macht in nutz­ba­ren Gren­zen zu hal­ten und zu ver­hin­dern, dass die­se gar mit eura­si­schen Pro­jek­ten über­bor­det, und zum ande­ren dafür zu sor­gen, dass er sich als Auf­marsch-Are­na mit unab­läs­si­gem Hoch­schrau­ben von Rüstungs­an­stren­gun­gen so Nato-kon­form wie mög­lich macht. Dass das auch erfolgt, dar­um bit­ten die USA ihre euro­päi­schen Part­ner nicht, son­dern ver­ord­nen es. Die Auf­trä­ge kom­men immer wie­der und nicht erst seit Trump als bewusst gewähl­te diplo­ma­ti­sche Affronts daher.

Ein »Fuck the EU!« und Ähn­li­ches stellt klar, wer der Herr im euro­päi­schen Haus ist, ganz gleich, wel­che Blü­ten­träu­me fran­zö­sisch-rus­si­scher Freund­schaft der rechts­aus­le­gen­de Enkel de Gaulles sei­ner »gran­de nati­on« aus­malt. Ent­spre­chend betre­ten geben sich die Adres­sa­ten: »Das hät­te aber auch net­ter gesagt wer­den kön­nen und war eigent­lich auch gar nicht nötig.« Eine eil­fer­ti­ge, »die­nend füh­ren­de« Bes­se­rung folgt auf dem Fuß: Es wird getan, was nun ein­mal not­tut, um per nuklea­rer Teil­ha­be im Bünd­nis, die nach Fried­rich Merz die deut­sche Lebens­ver­si­che­rung aus­macht, Russ­land und Chi­na der mili­tä­risch-öko­no­mi­schen Potenz zu berau­ben, auf­grund derer sie eige­ne Zwecke ohne Rela­ti­vie­rung an der ame­ri­ka­ni­schen Supre­ma­tie ver­fol­gen könn(t)en.

Noch ver­hin­dert die Ein­fluss­nah­me der Stö­ren­frie­de das von Fran­cis Fuku­ya­ma tri­um­phie­rend als »Ende der Geschich­te« aus­ge­ru­fe­ne Ent­fal­len von Kriegs­grün­den. Um es tat­säch­lich zu errei­chen, sind Schur­ken­staa­ten als Pari­as aus der Völ­ker­ge­mein­schaft aus­zu­sto­ßen und mit der hybri­den Krieg­füh­rung zu bekämp­fen, derer sie bezich­tigt wer­den. Die zur Her­stel­lung der full spec­trum domi­nan­ce anfal­len­den Eska­la­ti­ons­pha­sen, von Nor­man Paech in Ossietzky 1/​2023 klar her­aus­ge­ar­bei­tet, wer­den aktu­ell dreh­buch­ge­mäß durch­lau­fen, und ein Anlass zum Ein­satz stell­ver­tre­ten­der dogs of war auch vor Chi­nas Küsten wird sich schon noch erge­ben. Was das angeht, so hat sich die Nato in ihrem Wil­len, kei­ne roten Lini­en bzw. Selbst­be­stim­mungs­an­sprü­che ande­rer zu dul­den, mit der Mili­tär­dok­trin 2030 exklu­siv dazu berech­tigt, prä­ven­tiv los­zu­schla­gen, wann immer sie es will. Ihr Ent­schluss dazu ist der ein­zi­ge Anlass, den sie braucht.

Es man­gelt also über­haupt nicht an kla­ren und, anders als beim »Minsk II«-Theater, ehr­li­chen Ansa­gen von Poli­tik und deren Stra­te­gen zu Sinn und Zweck des Waf­fen­auf­stel­lens auf jedem Fels­brocken, dem Über­zie­hen des Erd­balls mit Mili­tär­ba­sen (nicht nur in Ram­stein und Katar) und der Beset­zung des Welt­raums. Gleich­zei­tig jedoch wird ver­brä­mend insi­stiert, es gehe dabei um nichts Gerin­ge­res als die Beför­de­rung des Edlen, Guten, Wah­ren, die, wie Pastor Gauck zu pre­di­gen nicht müde wird, die Mit­tel hei­ligt. Vom Stand­punkt einer erfolg­rei­chen Bil­dung des Men­schen­ma­te­ri­als namens Volk aus ist dies der idea­le Kreuz­zugs­glau­be, den Samu­el P. Hun­ting­ton, wie aktu­ell auch Hou­el­le­becq, als »Kampf der Kul­tu­ren« zum tat­säch­li­chen Movens erklär­te. Aller­dings trifft Hun­ting­tons Fest­stel­lung zu, dass ein sol­cher Stand­punkt, ein­mal über­wie­gend ver­in­ner­licht, eine enor­me Trieb­kraft ent­fal­tet. Mit sei­ner schon von Geor­ge Orwell geschil­der­ten Dop­pel­denk­fer­tig­keit legt der poli­tisch geleh­ri­ge Bür­ger, soll­te der Nach­weis einer vor­geb­lich unter­schieds­los gel­ten­den Uni­ver­sa­li­tät von z. B. Völ­ker- und Men­schen­rech­ten nicht beson­ders schlüs­sig aus­fal­len, flugs den idea­li­sti­schen Zier­rat bei­sei­te und geht zu einem »Isso«-Realismus über: »Mia san mia«, eben »die Guten«. Die­ses All­tags­wis­sen reicht ihm und sei­ner Regie­rung. Rei­ne Über­zeu­gung braucht sich nicht her­zu­lei­ten, ist sich Grund genug und hält des­halb auch Chur­chills Ansicht, im Zwei­ten Welt­krieg sei »die fal­sche Sau geschlach­tet« wor­den, mitt­ler­wei­le nicht mehr für völ­lig abwe­gig. Der erwünsch­te gesell­schaft­li­che Mini­mal­kon­sens ist hergestellt.

Damit sich die Kon­zen­tra­ti­on auf das Wesent­li­che auch dort ent­fal­ten kann, wo sie hin­ge­hört, im Gel­tungs­be­reich natio­na­ler (Bündnis-)Erfordernisse, ver­wan­delt sich Euro­pa in eine Festung gegen die Hor­den von »Asyl­tou­ri­sten«, die als »Mut­ter aller Pro­ble­me« (See­ho­fer), als von ihm geschaf­fe­ne »Migra­ti­ons­ts­una­mis« gegen die Küsten anbran­den. Drau­ßen, so belehrt Josep Bor­rell, gibt es nur »Dschun­gel«, und den wol­len wir natür­lich nicht her­ein­las­sen. In der Idyl­le des exklu­si­ven Innen gibt es ange­sichts des­sen, dass »die ande­ren« wie in Sar­tres Dra­ma »die Höl­le«, Des­po­ten sind, einen gestei­ger­ten und unab­weis­ba­ren Bedarf, nach einem festen Wer­te­kom­pass zu handeln.

Wäh­rend sich die Insas­sen wie immer um die besten Plät­ze strei­ten, lässt sich die­ser Raum je nach Geschmack mit kon­struk­ti­ver Kri­tik, krea­ti­ven Gegen­ent­wür­fen (z. B. »De-Growth« nach dem Vor­bild bri­ti­scher Kriegs­öko­no­mie und dem Rezept von Ulri­ke Herr­mann) und eman­zi­pa­to­ri­scher Iden­ti­täts­su­che so sinn­voll ver­än­dern, dass er bleibt wie er ist und zu sein hat. In die­sem Raum, der jedes Aus­bre­chen ver­ei­telt, ist das Over­ton-Fen­ster luft­dicht gemacht, füh­ren die Mei­nungs­kor­ri­do­re zir­ku­lär auf die Par­tei­lich­keit zurück, dass das Gute eben schä­del­ein­schla­gend sie­gen muss. In die­sem Raum fällt es nach Mark Fisher leich­ter, sich das Ende der Welt als das Ende des Kapi­ta­lis­mus vor­zu­stel­len. In die­sem Raum ist die Stim­mung gut, da es, bis es »soweit ist«, jede Men­ge Unter­halt­sam­keit gibt, als die sich Poli­tik genie­ßen lässt. Da sind ja die patrio­ti­schen Kämp­fe der Sport­gla­dia­to­ren, der fuß­bal­lern­den Bar­ber­shop­op­fer und der Kul­tur­höchst­lei­ster, die sich dar­in über­bie­ten, die Regie­rung unzu­rei­chen­der Wehr­haf­tig­keit zu zei­hen, wie es Urban Pri­ol in sei­nem Zei­ten­wen­den­rück­blick in Tira­den zur Gefähr­dung des Staats­wohls durch die Alt­kanz­le­rin vor­führ­te, die uns nur noch mehr von Putins Ener­gie abhän­gig gemacht habe. Hier kann man, bis es »soweit ist«, gespannt ver­fol­gen, wie lan­ge noch sich Russ­land die mit aller Prin­zi­pi­en­fe­stig­keit vor­an­ge­trie­be­ne pro­vo­ka­ti­ve Aus­rü­stung der Ukrai­ne mit dem Besten, was auch deut­sche Rüstungs­schmie­den zu bie­ten haben, gefal­len lässt; wie viel an Umzin­ge­lung und Zün­deln an sei­nen Gren­zen es hin­neh­men wird. Hier kann man sich in der Loge des­sen, der ja »nur« inof­fi­zi­el­le Kriegs­par­tei ist, zum Stra­te­gie­ex­per­ten fort­bil­den und ein Auge dar­auf haben, ob die Poli­tik dem eige­nen Coa­ching von der Sei­ten­li­nie aus auch effek­tiv und effi­zi­ent genug folgt. Scholz »kann Kanz­ler«, aber kann er auch Krieg? Es sieht danach aus. Die­sen Raum ange­reg­ten Debat­tie­rens sichern sei­ne mit immer wei­ter rei­chen­den Durch­griffs­be­fug­nis­sen aus­ge­stat­te­ten Ord­nungs­kräf­te (vgl. dazu Rena­te Dill­mann in den Nach­denk­sei­ten vom 16.12.2022) gegen Ein- wie Aus­brü­che ab.

Der Raum ist sicher und unse­re Stra­te­gie, wie der täg­li­che anschwel­len­de Baer­bocks­ge­sang ver­kün­det, in besten, näm­lich »unse­ren« und des Garan­ten unse­rer Exi­stenz Hän­den. In die­sem Raum gilt unwi­der­sprech­lich: »Wir brau­chen das Impe­ri­um Ame­ri­ca­num. Die mul­ti­po­la­re Welt­ord­nung ist eine Gefahr für den Frie­den. Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten müs­sen Hege­mon der Mensch­heit wer­den« (FAS, 09.03.2003 zum Irak­krieg). Und: »Wem das impe­ria­le Motiv voll­kom­men fremd ist, der ist kein ver­läss­li­cher Freund des Frie­dens« (FAS, Gewalt kann Frie­den schaf­fen, 30.03.2003).

Skep­sis dem­ge­gen­über ist wie gesagt erlaubt, so sie sich im Rah­men des »Vor­stell­ba­ren«, z. B. einem »Zäh­men des Raub­tiers« und ähn­lich Blu­mi­gem hält. Aus allem mög­li­chen kann, soll, ja muss aus­ge­stie­gen wer­den, nur nicht aus dem, was irrever­si­bel ansteht. Dabei beharrt das poli­ti­sche Per­so­nal, das wehr­haft dar­über wacht, dass die Flucht­tü­ren ver­schlos­sen blei­ben, uner­müd­lich und gebets­müh­len­haft dar­auf, der mensch­li­che Erfin­dungs­geist habe noch immer jed­we­de ver­meint­li­che Unmög­lich­keit – hier: Aus­stieg bei ver­schlos­se­ner Tür – bewäl­tigt. Die­se Auf­ga­be wird schon ein­mal pro­ak­tiv an die Nach­ge­bo­re­nen wei­ter­ge­reicht, deren zukünf­ti­ge Exi­stenz die aktu­el­le Poli­tik in die Waag­scha­le ihres jet­zi­gen Erfolgs­stre­bens wirft. Was solls? Und weil Krieg für Frie­den ansteht, kann sich auch das Kli­ma, des­sen Schä­di­gung durch Mili­tär bei offi­zi­el­len Umwelt­dia­gno­sen vor­nehm aus­ge­klam­mert bleibt, gehackt legen. Nach uns die Sint­flut. Neben uns exi­stiert sie schon lan­ge (vgl. Ste­phan Les­se­nichs gleich­na­mi­ges Buch).

»Die Star­ken tun, was sie wol­len – die Schwa­chen aber tun, was sie müs­sen« (Thuky­di­des). Die »Zei­chen der Zeit«, von Jun­kies kapi­ta­li­sti­scher »Inno­va­ti­on« und Ver­fech­tern »schöp­fe­ri­scher Zer­stö­rung« begrüßt, sind trau­ri­ger Anlass, nach Ber­tolt Brecht zu ver­mu­ten, dass »der Mensch für die­ses Leben nicht schlau genug (ist)«. Er tut ja gera­de das, was eine auf die Zer­stö­rung des Pla­ne­ten erpich­te außer­ir­di­sche Macht ins Werk set­zen wür­de. Man mag sich nach Gusto über die Adven­ti­sten des letz­ten Tags mokie­ren und über die Bor­niert­heit von Impe­ri­en, die sich vom Erd­bo­den getilgt haben, den Kopf schüt­teln – mit atem­be­rau­ben­der Rasanz rückt die Ent­deckung näher, dass Geld mit der Ver­nich­tung sei­nes stoff­li­chen Sub­strats auch für die, die Geld haben, kein Lebens­mit­tel mehr ist.

Gemäß dem alten Spon­ti­spruch »Du hast kei­ne Chan­ce, also nut­ze sie« soll­te man den­noch sei­ne Geg­ner­schaft zum Pro­jekt Welt­ord­nung kund­tun, sich trotz­dem der Ein­schüch­te­rung durch »unse­re Beam­ten« und deren daten­sam­meln­den Kame­ras und Droh­nen stel­len. Was denn sonst? Unbedingt!