Die Welt, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den USA neu geordnet und fortentwickelt wurde, zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass mit der ubiquitären Übernahme des kapitalistischen Prinzips als der einzigen der Menschennatur gemäßen Art des Wirtschaftens Warren Buffetts Klasse gesiegt hat. Der gottgewollte und der Staats-DNS der USA eingeschriebene hegemoniale Anspruch, sich die Erde untertan zu machen, bestimmt zudem, welchen Regionen überhaupt das Recht, Staat zu sein, eingeräumt oder genommen wird; Nordkorea beispielsweise steht es nicht zu, weshalb an dessen Grenze vorsorglich der Atomkrieg geprobt wird. Das Einwirken der USA auf die Staaten, die sie vorfinden, dreht sich darum, dass diese ökonomisch-militärisch so unterlegen sind bzw. zu sein haben, dass sie nicht anders können als ihre Zwecke unter Verzicht auf den Einsatz von Waffen, die natürlich auch sie vorhalten, von vornherein einsichtig oder nach Bestrafung mit Krieg an den Interessen der USA auszurichten. Damit ist eine globale Hierarchie etabliert, die von »Industrieländern« über »Schwellenländer« hinab zu »Entwicklungsländern« reicht, denen als unterstem Glied von Verwertungsketten verbleibt, sich als verlängerte Werkbank, Rohstoffbereitsteller oder Mülldeponie dienstbar zu machen.
Beim hochindustrialisierten Staatenblock der EU wiederum ist, transatlantisch gesehen, zum einen dessen Wirtschaftsmacht in nutzbaren Grenzen zu halten und zu verhindern, dass diese gar mit eurasischen Projekten überbordet, und zum anderen dafür zu sorgen, dass er sich als Aufmarsch-Arena mit unablässigem Hochschrauben von Rüstungsanstrengungen so Nato-konform wie möglich macht. Dass das auch erfolgt, darum bitten die USA ihre europäischen Partner nicht, sondern verordnen es. Die Aufträge kommen immer wieder und nicht erst seit Trump als bewusst gewählte diplomatische Affronts daher.
Ein »Fuck the EU!« und Ähnliches stellt klar, wer der Herr im europäischen Haus ist, ganz gleich, welche Blütenträume französisch-russischer Freundschaft der rechtsauslegende Enkel de Gaulles seiner »grande nation« ausmalt. Entsprechend betreten geben sich die Adressaten: »Das hätte aber auch netter gesagt werden können und war eigentlich auch gar nicht nötig.« Eine eilfertige, »dienend führende« Besserung folgt auf dem Fuß: Es wird getan, was nun einmal nottut, um per nuklearer Teilhabe im Bündnis, die nach Friedrich Merz die deutsche Lebensversicherung ausmacht, Russland und China der militärisch-ökonomischen Potenz zu berauben, aufgrund derer sie eigene Zwecke ohne Relativierung an der amerikanischen Suprematie verfolgen könn(t)en.
Noch verhindert die Einflussnahme der Störenfriede das von Francis Fukuyama triumphierend als »Ende der Geschichte« ausgerufene Entfallen von Kriegsgründen. Um es tatsächlich zu erreichen, sind Schurkenstaaten als Parias aus der Völkergemeinschaft auszustoßen und mit der hybriden Kriegführung zu bekämpfen, derer sie bezichtigt werden. Die zur Herstellung der full spectrum dominance anfallenden Eskalationsphasen, von Norman Paech in Ossietzky 1/2023 klar herausgearbeitet, werden aktuell drehbuchgemäß durchlaufen, und ein Anlass zum Einsatz stellvertretender dogs of war auch vor Chinas Küsten wird sich schon noch ergeben. Was das angeht, so hat sich die Nato in ihrem Willen, keine roten Linien bzw. Selbstbestimmungsansprüche anderer zu dulden, mit der Militärdoktrin 2030 exklusiv dazu berechtigt, präventiv loszuschlagen, wann immer sie es will. Ihr Entschluss dazu ist der einzige Anlass, den sie braucht.
Es mangelt also überhaupt nicht an klaren und, anders als beim »Minsk II«-Theater, ehrlichen Ansagen von Politik und deren Strategen zu Sinn und Zweck des Waffenaufstellens auf jedem Felsbrocken, dem Überziehen des Erdballs mit Militärbasen (nicht nur in Ramstein und Katar) und der Besetzung des Weltraums. Gleichzeitig jedoch wird verbrämend insistiert, es gehe dabei um nichts Geringeres als die Beförderung des Edlen, Guten, Wahren, die, wie Pastor Gauck zu predigen nicht müde wird, die Mittel heiligt. Vom Standpunkt einer erfolgreichen Bildung des Menschenmaterials namens Volk aus ist dies der ideale Kreuzzugsglaube, den Samuel P. Huntington, wie aktuell auch Houellebecq, als »Kampf der Kulturen« zum tatsächlichen Movens erklärte. Allerdings trifft Huntingtons Feststellung zu, dass ein solcher Standpunkt, einmal überwiegend verinnerlicht, eine enorme Triebkraft entfaltet. Mit seiner schon von George Orwell geschilderten Doppeldenkfertigkeit legt der politisch gelehrige Bürger, sollte der Nachweis einer vorgeblich unterschiedslos geltenden Universalität von z. B. Völker- und Menschenrechten nicht besonders schlüssig ausfallen, flugs den idealistischen Zierrat beiseite und geht zu einem »Isso«-Realismus über: »Mia san mia«, eben »die Guten«. Dieses Alltagswissen reicht ihm und seiner Regierung. Reine Überzeugung braucht sich nicht herzuleiten, ist sich Grund genug und hält deshalb auch Churchills Ansicht, im Zweiten Weltkrieg sei »die falsche Sau geschlachtet« worden, mittlerweile nicht mehr für völlig abwegig. Der erwünschte gesellschaftliche Minimalkonsens ist hergestellt.
Damit sich die Konzentration auf das Wesentliche auch dort entfalten kann, wo sie hingehört, im Geltungsbereich nationaler (Bündnis-)Erfordernisse, verwandelt sich Europa in eine Festung gegen die Horden von »Asyltouristen«, die als »Mutter aller Probleme« (Seehofer), als von ihm geschaffene »Migrationstsunamis« gegen die Küsten anbranden. Draußen, so belehrt Josep Borrell, gibt es nur »Dschungel«, und den wollen wir natürlich nicht hereinlassen. In der Idylle des exklusiven Innen gibt es angesichts dessen, dass »die anderen« wie in Sartres Drama »die Hölle«, Despoten sind, einen gesteigerten und unabweisbaren Bedarf, nach einem festen Wertekompass zu handeln.
Während sich die Insassen wie immer um die besten Plätze streiten, lässt sich dieser Raum je nach Geschmack mit konstruktiver Kritik, kreativen Gegenentwürfen (z. B. »De-Growth« nach dem Vorbild britischer Kriegsökonomie und dem Rezept von Ulrike Herrmann) und emanzipatorischer Identitätssuche so sinnvoll verändern, dass er bleibt wie er ist und zu sein hat. In diesem Raum, der jedes Ausbrechen vereitelt, ist das Overton-Fenster luftdicht gemacht, führen die Meinungskorridore zirkulär auf die Parteilichkeit zurück, dass das Gute eben schädeleinschlagend siegen muss. In diesem Raum fällt es nach Mark Fisher leichter, sich das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen. In diesem Raum ist die Stimmung gut, da es, bis es »soweit ist«, jede Menge Unterhaltsamkeit gibt, als die sich Politik genießen lässt. Da sind ja die patriotischen Kämpfe der Sportgladiatoren, der fußballernden Barbershopopfer und der Kulturhöchstleister, die sich darin überbieten, die Regierung unzureichender Wehrhaftigkeit zu zeihen, wie es Urban Priol in seinem Zeitenwendenrückblick in Tiraden zur Gefährdung des Staatswohls durch die Altkanzlerin vorführte, die uns nur noch mehr von Putins Energie abhängig gemacht habe. Hier kann man, bis es »soweit ist«, gespannt verfolgen, wie lange noch sich Russland die mit aller Prinzipienfestigkeit vorangetriebene provokative Ausrüstung der Ukraine mit dem Besten, was auch deutsche Rüstungsschmieden zu bieten haben, gefallen lässt; wie viel an Umzingelung und Zündeln an seinen Grenzen es hinnehmen wird. Hier kann man sich in der Loge dessen, der ja »nur« inoffizielle Kriegspartei ist, zum Strategieexperten fortbilden und ein Auge darauf haben, ob die Politik dem eigenen Coaching von der Seitenlinie aus auch effektiv und effizient genug folgt. Scholz »kann Kanzler«, aber kann er auch Krieg? Es sieht danach aus. Diesen Raum angeregten Debattierens sichern seine mit immer weiter reichenden Durchgriffsbefugnissen ausgestatteten Ordnungskräfte (vgl. dazu Renate Dillmann in den Nachdenkseiten vom 16.12.2022) gegen Ein- wie Ausbrüche ab.
Der Raum ist sicher und unsere Strategie, wie der tägliche anschwellende Baerbocksgesang verkündet, in besten, nämlich »unseren« und des Garanten unserer Existenz Händen. In diesem Raum gilt unwidersprechlich: »Wir brauchen das Imperium Americanum. Die multipolare Weltordnung ist eine Gefahr für den Frieden. Die Vereinigten Staaten müssen Hegemon der Menschheit werden« (FAS, 09.03.2003 zum Irakkrieg). Und: »Wem das imperiale Motiv vollkommen fremd ist, der ist kein verlässlicher Freund des Friedens« (FAS, Gewalt kann Frieden schaffen, 30.03.2003).
Skepsis demgegenüber ist wie gesagt erlaubt, so sie sich im Rahmen des »Vorstellbaren«, z. B. einem »Zähmen des Raubtiers« und ähnlich Blumigem hält. Aus allem möglichen kann, soll, ja muss ausgestiegen werden, nur nicht aus dem, was irreversibel ansteht. Dabei beharrt das politische Personal, das wehrhaft darüber wacht, dass die Fluchttüren verschlossen bleiben, unermüdlich und gebetsmühlenhaft darauf, der menschliche Erfindungsgeist habe noch immer jedwede vermeintliche Unmöglichkeit – hier: Ausstieg bei verschlossener Tür – bewältigt. Diese Aufgabe wird schon einmal proaktiv an die Nachgeborenen weitergereicht, deren zukünftige Existenz die aktuelle Politik in die Waagschale ihres jetzigen Erfolgsstrebens wirft. Was solls? Und weil Krieg für Frieden ansteht, kann sich auch das Klima, dessen Schädigung durch Militär bei offiziellen Umweltdiagnosen vornehm ausgeklammert bleibt, gehackt legen. Nach uns die Sintflut. Neben uns existiert sie schon lange (vgl. Stephan Lessenichs gleichnamiges Buch).
»Die Starken tun, was sie wollen – die Schwachen aber tun, was sie müssen« (Thukydides). Die »Zeichen der Zeit«, von Junkies kapitalistischer »Innovation« und Verfechtern »schöpferischer Zerstörung« begrüßt, sind trauriger Anlass, nach Bertolt Brecht zu vermuten, dass »der Mensch für dieses Leben nicht schlau genug (ist)«. Er tut ja gerade das, was eine auf die Zerstörung des Planeten erpichte außerirdische Macht ins Werk setzen würde. Man mag sich nach Gusto über die Adventisten des letzten Tags mokieren und über die Borniertheit von Imperien, die sich vom Erdboden getilgt haben, den Kopf schütteln – mit atemberaubender Rasanz rückt die Entdeckung näher, dass Geld mit der Vernichtung seines stofflichen Substrats auch für die, die Geld haben, kein Lebensmittel mehr ist.
Gemäß dem alten Spontispruch »Du hast keine Chance, also nutze sie« sollte man dennoch seine Gegnerschaft zum Projekt Weltordnung kundtun, sich trotzdem der Einschüchterung durch »unsere Beamten« und deren datensammelnden Kameras und Drohnen stellen. Was denn sonst? Unbedingt!