Sie weiß es, Felice Fey, eine junge, im »Westen« aufgewachsene Kunstwissenschaftlerin: »Die öffentliche Wahrnehmung von Kunst aus der DDR blieb noch für lange Zeit von der parteilichen Kunstgeschichtsschreibung und Kunstkritik geprägt.« So heißt es in ihrem gerade im Deutschen Kunstverlag Berlin/München erschienenen, großformatigen Band auf Kunstdruckpapier: »Verschwiegene Kunst. Die internationale Moderne in der DDR«, auf dessen Cover ein Gemälde von Gerd Sonntag prangt, eines Künstlers, der nach eigenen Worten sich kaum um Politik gekümmert hat, nur seine Kunst im Sinn hatte. Man freut sich ob der Anerkennung solcher Leute wie Peter Graf etwa, dessen Name auch heute noch weitgehend unbekannt ist. Bis auf wenige Ausnahmen, etwa Gerhard Altenbourg, Max Uhlig und Carlfriedrich Claus, galt im vereinigten Deutschland kaum mehr als das, was die zahlreichen »Ausgereisten« gemacht hatten. Endlich erfährt man auch mehr über die Kunst der aus welchen Gründen auch immer »Hiergebliebenen«.
Dass das allerdings nicht der eigentliche Zweck des Buches ist, wird aus dem Vorwort des Projektleiters der Freien Universität Berlin, Jochen Staadt, deutlich sowie am Hauptsponsor, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Felice Fey hat bereits durch die wissenschaftlich korrekt recherchierte Roger-Loewig-Biografie (Lukas Verlag Berlin, 2011), eines in der DDR Unangepassten, ihre Kompetenz auch auf dem Feld der politischen Betrachtungsweise bewiesen. Wenn im Vorwort dieses neuen Buchs jedoch steht, dass eine erste Fassung vom Forschungsverbund korrigiert wurde, wundert man sich nicht über die hier überaus starke Politisierung des Themas, an der eine ganze Projektgruppe beteiligt war. Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass auch die Kunst vom jeweiligen gesellschaftspolitischen Ambiente geprägt ist. Es nervt jedoch die Fülle an Zitaten von immer wieder inhaltlich gleichen Statements von Parteifunktionären der DDR aus allen hierarchischen Ebenen und die pauschale Abwertung von verdienstvollen Persönlichkeiten etwa mit Kennzeichnungen wie »parteiloyal«. Letzteres stellt sich dann an verschiedenen Stellen des Buches als durchaus ambivalent heraus, wenn nachgewiesen wird, wie sich solche Künstler wie Fritz Cremer oder Museumsdirektoren wie Ludwig Justi, Werner Timm und Werner Schmidt für moderne Kunst einsetzten. Nach 30 Jahren noch Kalter Krieg? Wir, die mit den Parteiphrasen aufgewachsenen ehemaligen DDR-Bürger, haben hinter vorgehaltener Hand vom Holzhammer gesprochen.
Das Buch ist chronologisch aufgebaut und orientiert sich an politischen Ereignissen, etwa in Ungarn 1956, an dem Mauerbau 1961, an Prag 1968, Polen, Vietnam, der SU. Es weist nach, wie sich damit jeweils der mitunter mit massiven Repressalien ausgeübte Druck auf die Kulturschaffenden verschärfte, der über Parteitage und zum Beispiel das 11. Plenum 1965, auch Kahlschlagplenum genannt, legitimiert werden sollte. Auch die Tauwetterperioden werden benannt, etwa im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen der Jugend 1964 und dem Regierungswechsel Ulbricht / Honecker 1971.
Der positive Ansatz des Buches liegt darin, wie Jochen Staadt schreibt, Künstler vorzustellen, »deren Phantasie und Kreativität die staatliche Kulturpolitik der SED keine Grenzen setzen konnte«. Gestalterisch arbeiteten sich Partei und Künstler unter anderem an Picasso ab, die einen, weil sie Formalismus gegen Sozialistischen Realismus witterten, die anderen, weil er die künstlerische Freiheit verkörperte. Es wird deutlich herausgestellt, dass es eine offizielle Kunst gab und eine inoffizielle, wobei letztere immer im eingeschlossenen Land mit allen neuen Kunstströmungen der Welt, ob sozialistisches oder kapitalistisches Ausland, im Austausch stand. Was auch als das Verdienst des Buches gelten kann, ist die Darstellung der Konflikte, die jeder einzelne, mit Kulturprozessen in der DDR Verbundene im eigenen Land auszutragen hatte. Je nach Mentalität, familiären Bindungen, diplomatischem Geschick rebellierten die einen mehr oder weniger offen, duckten sich die anderen weg oder setzten, wie der Politikwissenschaftler Michael Weck schon 1992 feststellte, »den lebenspraktischen Widerstand aus der ›Nischengesellschaft‹ (Günter Gaus) entgegen« (Kursbuch 109, S. 135).
Felice Fey stellt die Situation der Kulturschaffenden der DDR als sehr schwierig dar, wenn sie von einer »heiklen Diplomatie« bei Sitte schreibt, an einer Stelle die Frage aufwirft, wo der Unterschied zwischen angepasst und oppositionell war (S. 100) und feststellt, dass die Scheidung der Künstler »in für oder gegen die DDR« selten eindeutig war (S. 111). Sie bezieht die Situation der Künstler in der BRD ein, etwa mit ihren Protestaktionen für den Frieden, wirft einen Blick auf die westliche Linke, etwa auf die Zeitschrift Tendenzen, stellt die Beziehung zur Literatur her mit Lutz Rathenow, Jürgen Fuchs und Wolf Biermann und geht auf mehr oder weniger illegale Künstlergruppen wie »Lücke« ein. An vielen interessant und lebendig erzählten Einzelschicksalen, oft verbunden mit Erinnerungen der Beteiligten aus heutiger Sicht, ist es der Autorin gelungen, ein vielfarbiges Bild von der Moderne in der DDR zu malen. Verdient hat es jeder Künstler, und fast jedes einzelne Kapitel birgt das Potential in sich zu einem eigenen Buch.
Felice Fey: Verschwiegene Kunst. Die internationale Moderne in der DDR. Deutscher Kunstverlag Berlin/München, 368 Seiten, 48 €.