In den Jahren 2018 und 2019 gerieten zwei kurdische Medienunternehmen in die Schlagzeilen. Aber nicht etwa wegen ihres kulturell und politisch interessanten und anspruchsvollen Verlagsprogramms, ihrer Bücher und Musiktitel, sondern wegen polizeilicher Durchsuchungen mit anschließender Beschlagnahme sämtlicher Produkte, Geschäftsunterlagen und Vermögenswerte. Anschließend wurden beide Unternehmen verboten und aufgelöst. Es handelt sich um die Mezopotamien Verlags GmbH und die MIR Multimedia GmbH, beide mit Sitz in Neuss. Die Verbote verhängte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Anfang 2019 und stützte sich dabei auf das Vereinsgesetz. Begründung: Die Unternehmen seien »Teilorganisationen« der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, die in der Bundesrepublik seit 1993 als »Terrororganisation« verboten ist.
Gegen diese wohl einmaligen Verlagsverbote haben beide Firmen Klage beim zuständigen Bundesverwaltungsgericht eingereicht, die am 26. Januar 2022 verhandelt wurde (BVerwG 6 A 7.19). Noch am selben Tag stand das Urteil fest: Das Gericht bestätigt das Verbot beider Firmen und folgt damit weitestgehend der Argumentation des Bundesinnenministeriums (BMI). Nach den »feststellbaren Indizien«, so das Gericht, seien sie »vor allem organisatorisch und finanziell, aber auch personell eng mit der PKK verflochten, so dass sie (…) als deren Teilorganisationen anzusehen sind«. Dem Mezopotamien Verlag komme die Aufgabe zu, »Propagandamaterial« zu vertreiben wie etwa »PKK-nahe Bücher und Zeitschriften sowie PKK-Devotionalien«. Er erhalte monatliche Zuschüsse der PKK-Europaführung und sei dieser rechenschaftspflichtig. Und die Multimedia-Firma MIR, die Künstler vermittelte und Tonträger verkaufte, habe kurdische Großveranstaltungen gesponsert, die die PKK zur »Verbreitung ihrer Ideologien« genutzt habe. Im Übrigen unterstütze sie die PKK mit ihren Geschäftseinnahmen. Nach Überzeugung des Gerichts sei der Geschäftsführer beider Klägerinnen PKK-Funktionär. Allerdings basieren die meisten dieser gerichtlichen Schlussfolgerungen und Verdikte auf bloßen Indizien.
Mit ihrer Klage hatten sich die Klägerinnen gegen solche Vorwürfe gewehrt, insbesondere dagegen, Teilorganisationen terroristischer Strukturen zu sein. Ihre Anwälte legten dar, dass die Arbeit der Firmen keineswegs auf Unterstützung der PKK ausgerichtet war. Sie legten dar, dass das Angebot an Büchern und Tonträgern eine sehr breite Palette von künstlerischen Ausdrucksformen und inhaltlichen Beiträgen umfasste. »Mit der Verbotsverfügung werden wichtige Stimmen der kurdischen Kultur in Deutschland mundtot gemacht«, so Rechtsanwalt Peer Stolle im Vorfeld des Verfahrens. Nach der Urteilsverkündung sagte Stolle: »In der Gerichtsverhandlung konnten keine Beweise dafür vorgelegt werden, dass die beiden Unternehmen Wiesungen seitens der PKK erhalten oder eingenommene Gelder an diese zahlen würden.« Das Schalten von Werbung und das Sponsern von Veranstaltungen mache eine GmbH »noch nicht zu einem Teilverein der PKK«.
Vor den Verlagsverboten waren bei polizeilichen Durchsuchungen Bücher, Tonträger und Filme, ein komplettes Tonstudio, Instrumente und schriftliche Unterlagen beschlagnahmt worden, die mehr als acht Lastwagen füllten. Der beschlagnahmte Warenbestand umfasst insgesamt »mindestens 50.000 Positionen«, so die damalige Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag (BT-Drs. 19/10594). Darunter sind Klassiker der Weltliteratur, Romane und Gedichtbände, Kinder- und Jugendbücher, Sach-, Lehr- und Wörterbücher, Werke des PKK-Mitbegründers Abdullah Öcalan sowie das wohl weltweit größte Archiv kurdischer Musik. Vollkommen legale Bestände, die bislang straf- und zivilrechtlich weder beanstandet noch gar verboten worden sind. Einen Verlag und einen Vertrieb komplett zu verbieten und aufzulösen sowie all ihre Produkte zu konfiszieren und wegzusperren, obwohl kein einziges jemals beanstandet wurde – das deutet doch eher auf einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit und müsste daher verfassungswidrig sein. Für Anwalt Peer Stolle ist das Urteil jedenfalls »nicht haltbar«. Deshalb hat die Klägerseite bereits Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Die Beschlagnahmeaktionen und Verbote hatten vor allem in der Medien- und Kulturszene große Verunsicherung und harsche Kritik ausgelöst. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und das deutsche PEN-Zentrum sahen die Kunst- und Literaturfreiheit sowie die Meinungs- und Publikationsfreiheit bedroht. Der Verband Deutscher Schriftsteller:innen sprach von einem »Angriff auf die Meinungsfreiheit«. Damit seien zwei Verlage zerstört worden, »die wesentlich zum Verständnis von kurdischer Kultur beigetragen haben«.
Aus diesen Gründen hatten drei Verlage in der Schweiz, Österreich und Deutschland mit Unterstützung namhafter Herausgeber:innen eine beispiellose Solidaritätsaktion gestartet: Zur Frankfurter Buchmesse 2019 hatten sie einige der beschlagnahmten Bücher neu aufgelegt, um sie der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Mit ihrer »Edition Mezopotamya« haben sie die kaum zu rechtfertigende pauschale Beschlagnahme und den damit einhergehenden Zensurakt »durch die Hintertür« wirksam unterlaufen – ein mutiger Schritt, den der Börsenverein ausdrücklich begrüßte. Und kurz vor der Gerichtsverhandlung Ende Januar 2022 haben über 100 Buchhandlungen, Verlage, andere kulturelle Einrichtungen und Medienschaffende eine Solidaritätserklärung zugunsten der beiden kurdischen Verlagshäuser abgegeben. Sie wenden sich darin »gegen politische Zensur und die Einschränkung von Publikationsfreiheit und kultureller Vielfalt«. Und sie fordern die »Aufhebung der Verbote sowie eine Rückgabe des beschlagnahmten Materials, damit die Medienhäuser ihre Arbeit wieder aufnehmen können«.
Darüber hinaus fordern sie ein »Ende der Repression von Bundesregierung und türkischem Staat gegen kurdische Menschen und ihre Kultur«. Tatsächlich reihen sich die Verbote in eine lange Serie vielfältiger Repressionsmaßnahmen ein. Das vor fast 30 Jahren erlassene Betätigungsverbot für die PKK, das seinerzeit auf Drängen der Türkei erfolgte, hat hierzulande bereits viel Unheil gestiftet. Trotz des Wandels, den die einst gewaltorientierte Kaderpartei PKK in Europa in Richtung einer friedlich-demokratischen Lösung der kurdischen Frage vollzogen hat, besteht ihr Verbot bis heute fort, ist sogar 2017/18 noch erheblich ausgeweitet worden – auf Symbole bislang legaler Gruppen. Hier nicht an Willfährigkeit gegenüber dem autoritären Erdogan-Regime der Türkei zu denken, wäre wohl weltfremd – zumal man diese Willfährigkeit auch als »Gegenleistung« für türkisches Wohlverhalten im Rahmen des EU-»Flüchtlingsdeals« verstehen kann.
Gegen die PKK gehen die deutschen Sicherheitsbehörden immer wieder »mit großem personellen und sachlichen Aufwand« vor, so das BMI. Die Verbotsbehörden des Bundes und der Länder haben seit 1993 mehr als 50 Organisationen verboten, die der PKK zugerechnet wurden. Der Generalbundesanwalt führte etwa 200 Ermittlungsverfahren mit diesem Bezug, die in weit über 70 Urteilen mündeten, mit denen etwa 100 Angeklagte verurteilt wurden. Und die Strafverfolgungsbehörden der Länder haben seit 2004, so das BMI, »in einer sehr hohen vierstelligen Zahl strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit PKK-Bezug eingeleitet« (PM 12.02.2019).
Die offizielle Begründung für diese Maßnahmen lautet: Die kurdische PKK, die sich in der Türkei gegen die Unterdrückung der größten ethnischen Minderheit auch militant zur Wehr setzt, nutze Deutschland »als Raum des Rückzugs, der Refinanzierung und Rekrutierung«. Abertausende politisch aktiver Kurd:innen sind deshalb hierzulande – u.a. in Terrorismusverfahren nach §§ 129a, b Strafgesetzbuch – kriminalisiert, angeklagt oder abgeurteilt worden – oft genug wegen rein verbaler oder symbolischer »Taten« und zum Teil auch auf Grundlage von erfolterten „Beweisen“ aus der Türkei. Kurden und Kurdinnen wurden so praktisch unter Generalverdacht gestellt, zu gefährlichen »Terroristen« und potentiellen Gewalttätern gestempelt und als »Sicherheitsrisiken« und »Gefährder« vielfach ausgegrenzt.
Durch das europaweit einmalige Verbot der PKK und ihre Aufnahme in die EU-Terrorliste werden nach wie vor die Grundrechte der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, der Meinungs- und Pressefreiheit und damit die freie politische Betätigung von Kurden massiv beschränkt. Demonstrationsverbote und Razzien, Durchsuchungen von Privatwohnungen, Vereinen, Druckereien, Redaktionen und Verlagen, Beschlagnahmen und Inhaftierungen waren und sind immer wieder an der Tagesordnung, genauso wie geheimdienstliche Ausforschung und Infiltration durch Staats- und Verfassungsschutz. Auf Grundlage des PKK-Verbots wurden im Übrigen auch Geld- und Freiheitsstrafen verhängt, Einbürgerungen abgelehnt, Staatsbürgerschaften aberkannt, Aufenthaltserlaubnisse nicht verlängert, Asylanerkennungen widerrufen oder Ausweisungen verfügt.
Wie kritisch auch immer man zur PKK, ihrer Geschichte, Politik und ihren Aktionen stehen mag: Mit solchen Repressionen und Verboten werden jedenfalls keine Probleme gelöst, sondern weitere produziert. Längst ist das PKK-Verbot zum kontraproduktiven, kriminalisierenden und diskriminierenden Anachronismus geworden und gehört schon deshalb und auch nach Auffassung namhafter Bürger- und Menschenrechtsorganisationen schleunigst aufgehoben.
Rolf Gössner gehört zu jenen Medien- und Kulturschaffenden, die Anfang 2022 in einer Solidaritätserklärung die Aufhebung des Verbots der kurdischen Medienhäuser gefordert haben. Und er gehört, wie u.a. auch Ulla Jelpke und Norman Paech, zum Kreis jener Herausgeber:innen, die 2019 die Beschlagnahme der Bücher des verbotenen Mezopotamien Verlags mit ihrer Unterstützung einer Neuedition einzelner Titel unterlaufen haben, um diese der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen (https://www.isbn.de/reihe/Edition+Mezopotamya).