»Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein, / Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!« Textsicher sang die Enkelin alle Strophen von »Die Wacht am Rhein«, diesem »deutschen Volks- und Soldatenlied« aus dem Jahr 1854, noch heute oberhalb von Rüdesheim im Rheingau den Sockel schmückend, von dem aus Germania monumental ihr Schwert nach Westen erhebt, in Richtung des Erbfeindes. Der Großvater, der dem Mädchen gerade die Haare schnitt, fiel aus allen Wolken. Ab da war es mit dem beschaulichen, zufriedenen Leben des Friseurmeisters vorbei. Das Vertrauen in seinen Sohn und dessen Rechtschaffenheit schwindet rapide, und bitter wird die Erkenntnis, dass sich im »Toten Winkel« der Familie, dort wo man nicht so genau hinschaut und nichts hinterfragt, Rechtsterrorismus breitgemacht hat. Der NSU stand Pate.
Dieser sehenswerte, kompromisslose, spannende Fernsehfilm in drastischen Bildern des Regisseurs Stephan Lacant aus dem Jahr 2017 wurde am 13. Mai im »Ersten« gesendet, immerhin um 20.15 Uhr.
Vaterland! Zufällig hatte ich an jenem Tag das »Spruchwörterbuch« zur Hand, eine Sammlung deutscher und fremder Sinnsprüche, Wahlsprüche, Inschriften, Grabsprüche, Sprichwörter, Aphorismen, Epigramme – 1069 kleinbedruckte Seiten umfassend. Der Herausgeber Franz Freiherr von Lipperheide, hat das Erscheinen der Originalausgabe im Jahre 1907 nicht mehr erlebt.
Ich schlage »Vaterland« auf. Zehn Spalten führen auf über fünf Seiten das Stichwort in 7 Punkt kleiner Schrift, bis zu »Vaterlandswohl«, »oberstes Gesetz und höchste Richtschnur für alle Parteien« (von Bismarck).
Dann greife ich zu den »Geflügelten Worten«, 1980 im VEB Bibliographisches Institut Leipzig erschienen. Ganze 15 Zitate sind zu finden, inklusive »Vaterländischer Krieg« und »Vaterlandslose Gesellen«.
Und was sagt das Pendant, die »Geflügelten Worte« des Georg Büchmann, dieser »Zitatenschatz des deutschen Volkes«, erstmals 1864 erschienen? Meine 33. Auflage stammt aus dem Jahre 1981, Verlag Ullstein. Ich finde immerhin 20 Zitate. Auch hier setzen die »Vaterlandslosen Gesellen« den Schlusspunkt. Ich kann es zwar nicht nachprüfen, bin mir aber sicher: In 150 Jahren ist viel abgespeckt worden.
Kann da das Vaterland noch ruhig sein, so arg wie es gerupft und dezimiert worden ist?