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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Unsere nicht endende Weltbühne

Es ist wohl an der Zeit, an das seit 1946 im intel­lek­tu­el­len Medi­en­le­ben in Deutsch­lands Osten ver­an­ker­te Publi­ka­ti­ons­or­gan Die Weltbühne zu erin­nern. Die im schwe­di­schen Exil leben­de Wit­we Maud von Ossietzky und der dem Holo­caust ent­kom­me­ne Hans Leon­hard ret­te­ten es in eine neue Zeit anti­fa­schi­sti­scher bis sozia­li­sti­scher Publi­zi­stik. Und einem nen­nens­wer­ten Lese­pu­bli­kum wur­de etwas gebo­ten. Trau­rig genug, dass es im Juli 1993 den Intri­gen frag­wür­di­ger neu­er Besitz­ver­hält­nis­se zum Opfer fiel. Obwohl es bereits im Blät­ter­wald der Nach­wen­de­zeit Wur­zeln geschla­gen hat­te, konn­ten die eben letz­ten Endes ideo­lo­gi­schen Trüm­mer erst nach Jah­ren beräumt wer­den. Die sich bereits zer­strei­ten­den Bür­ger­recht­ler mach­ten einen Bogen dar­um. Sie erwie­sen sich ohne­hin sel­ten als fähi­ge Publi­zi­sten. Ein Glück, dass 1997 Jörn Schütrumpf mit dem Blätt­chen und Eck­art Spoo mit Ossietzky den Faden lin­ker Publi­zi­stik wie­der aufnahmen.

Wel­che Vor­stel­lung haben Nach­ge­bo­re­ne heut­zu­ta­ge über das, wor­in Die Weltbühne vor 1990 ihre Auf­ga­be sah? Sie wur­de vom Polit­bü­ro­mit­glied Albert Nor­den pro­te­giert, auf eine soli­de wirt­schaft­li­che Grund­la­ge gestellt und hat­te einen festen Rück­halt in einem klei­nen, aber zuver­läs­si­gen Abneh­mer­kreis. Was zeich­ne­te sie aus? Wor­in ver­sag­te sie? Egal, wel­che Bedeu­tung dem heu­te zuge­mes­sen wird, zur Kennt­nis neh­men soll­te man es schon. Auf eini­ge Über­ra­schun­gen kann gefasst sein, wer nur Zen­sur und Regle­men­tie­rung als Vor­aus­set­zung in jenem heu­te nur übel beleu­mun­de­ten Staats­we­sen ver­mu­tet. Mit zuneh­men­dem zeit­li­chem Abstand ist gewiss eine sou­ve­rä­ne­re Sicht auf die Wir­kung der Print­me­di­en in jener Zeit möglich.

Wer näm­lich, wie ich, im par­al­lel erschei­nen­den Wochen­blatt Eulen­spie­gel zuhau­se war, nahm die­ses tra­di­tio­nell bild­los auf­ge­mach­te klei­ne rote Heft auf beson­de­re Wei­se wahr. Als Zeich­ner einer Por­trät-Kolum­ne stieß ich lau­fend auf ori­gi­nel­le Per­sön­lich­kei­ten, wel­che das Pro­fil die­ser an Tuchol­sky und Ossietzky auf durch­aus ver­än­der­te Wei­se anknüp­fen­den Weltbühne bestimm­ten. Die Gesich­ter der Autoren iro­nisch zu erfas­sen, mach­te Spaß. Lothar Kusche, Heinz Knob­loch und Hen­ryk Keisch von der erhei­tern­den Sei­te; Jür­gen Kuc­zyn­ski und Bur­chard Brent­jes wis­sen­schaft­lich beschla­gen; Jean Vil­lain und Richard Christ als die Rei­se­re­por­ter; Lothar Lang und Gün­ther Cwojd­rak für die Kunst­kri­tik; Kas­par Borz und Peter Ahrens schrie­ben zu lite­ra­ri­schen und fil­mi­schen Ent­deckun­gen – das waren die Ali­as-Namen von den Chefs des Auf­bau-Lek­to­rats, Gün­ter Cas­par, und von der DEFA-Dra­ma­tur­gie, Klaus Wisch­new­s­ki, letz­te­rer nach dem 11.Plenum von 1965 dort weggeekelt.

Pro­fes­so­ra­le Wei­hen kamen durch die Gast­spie­le aus vie­len Dis­zi­pli­nen zustan­de. Dazu gehör­ten auch Alfred Kan­to­ro­wicz und Franz Loe­ser, die nach ihrem Weg­gang in den Westen dort weni­ger in Erschei­nung tra­ten. Doch aus Mün­chen kamen Hel­ly M. Reif­fer­scheidt und aus Frank­furt am Main Emil Car­le­bach mit ihren Bei­trä­gen im Osten regel­mä­ßig zur Gel­tung. Der anfäng­li­che Ver­such, eine gesamt­deut­sche Zeit­schrift zu machen, war schon Ende der vier­zi­ger Jah­re geschei­tert. Schon allein der Ver­sand von Beleg­ex­em­pla­ren in den Westen unter­lag pikan­ter­wei­se der dor­ti­gen Postzensur.

Einen wun­den Punkt stell­te lei­der der gerin­ge Frau­en­an­teil im Blätt­chen dar. Immer­hin aber – die bald geläu­fi­gen Namen von Ursu­la Ull­rich, Hel­ga Schu­bert, Rena­te Hoff­mann und Hei­de­ma­rie Hecht kün­dig­ten zuerst auf die­sen Sei­ten ein spe­zi­ell weib­li­ches Ver­ständ­nis vom Feuil­le­ton an. Es han­del­te sich stets um lite­ra­ri­sche Publi­zi­stik und nicht um poli­ti­sche Agitation.

Im Herbst 1970 besuch­te ich glück­li­cher­wei­se noch Chef­re­dak­teur Her­mann Bud­zis­law­ski ein Jahr vor sei­nem Tod, um ihn im Gespräch zu por­trä­tie­ren. Die bald danach zum Pres­se­haus am Alex­an­der­platz umzie­hen­de Redak­ti­on war da noch in der in Otto-Nusch­ke-Stra­ße umbe­nann­ten alten Jäger­stra­ße neben dem Club der Kul­tur­schaf­fen­den zu Hau­se. Ich durf­te beob­ach­ten, wie Ursu­la Madrasch als stell­ver­tre­ten­de Chef­re­dak­teu­rin den Kon­takt zu Autoren garan­tier­te und alle Pflicht­ter­mi­ne wahr­nahm, um dem all­seits ver­ehr­ten Chef den Rücken frei­zu­hal­ten. Und wie der dem letz­ten Ideo­lo­gie-Mas­sa­ker im Auf­bau Ver­lag heil ent­kom­me­ne Joa­chim Schreck gera­de die alter­na­ti­ven Schrift­stel­ler­por­träts des bald schon wie­der ver­graul­ten Joa­chim Walt­her redi­gier­te. Mei­ne Sym­pa­thie war kom­plett. So blieb es nicht aus, dass ich selbst ermun­tert wur­de, nun­mehr auch neben dem Zeich­nen mehr zu schrei­ben. Das war damals im Pres­se­we­sen die Regel, dass jün­ge­re Kräf­te ange­lockt wur­den. Und sich zügig ent­wickeln konnten.

Nach­dem sich die Madrasch 1976 in die Ren­te ver­ab­schie­det hat­te, bewahr­te ich als nun regel­mä­ßi­ger Welt­büh­nen-Autor und Klein­mach­nower Nach­bar den Kon­takt zu ihr. Nach­dem sie drei Jahr­zehn­te mit dem Spitz­na­men »Die Grä­fin« die graue Emi­nenz des Hef­tes gespielt hat­te, kam sie davon nicht los. Als Ehe­frau des Film­re­gis­seurs Richard Gro­schopp initi­ier­te sie bald sowohl den Film über Ossietzky als auch die Namens­ge­bung für das Kom­bi­nat für Nach­rich­ten­tech­nik in Tel­tow. Bei der Gele­gen­heit war Maud von Ossietzky als Gesprächs­part­ne­rin sogar anwe­send. Madrasch blieb als Buch­au­to­rin des Stan­dard­wer­kes über die klas­si­sche Weltbühne ihrem gro­ßen The­ma treu.

Die Que­re­len um den 1993 erfolg­los zu Ende gehen­den pri­vat­wirt­schaft­li­chen Wei­ter­be­trieb des Pro­jek­tes Weltbühne sah sie mit Befrem­den. Wir waren uns sofort einig, dass die­ser Abwick­lung etwas ent­ge­gen­ge­setzt wer­den muss­te. Richard Gro­schopp, der den sati­ri­schen Kurz­film »Das Sta­chel­tier« insze­niert hat­te, saß grum­melnd dane­ben. Er konn­te nur die jün­ge­re Gene­ra­ti­on von hoff­nungs­vol­len Fil­me­ma­chern bedau­ern, die gera­de von der Markt­wirt­schaft in die Arbeits­lo­sig­keit geschickt wur­de. Aber das Leben ging in der Gewiss­heit wei­ter, dass so etwas, was wir taten, nicht enden kann und nicht auf­ge­ge­ben wer­den darf. Die Not­wen­dig­keit bestä­tigt sich jeden Tag.