Es ist wohl an der Zeit, an das seit 1946 im intellektuellen Medienleben in Deutschlands Osten verankerte Publikationsorgan Die Weltbühne zu erinnern. Die im schwedischen Exil lebende Witwe Maud von Ossietzky und der dem Holocaust entkommene Hans Leonhard retteten es in eine neue Zeit antifaschistischer bis sozialistischer Publizistik. Und einem nennenswerten Lesepublikum wurde etwas geboten. Traurig genug, dass es im Juli 1993 den Intrigen fragwürdiger neuer Besitzverhältnisse zum Opfer fiel. Obwohl es bereits im Blätterwald der Nachwendezeit Wurzeln geschlagen hatte, konnten die eben letzten Endes ideologischen Trümmer erst nach Jahren beräumt werden. Die sich bereits zerstreitenden Bürgerrechtler machten einen Bogen darum. Sie erwiesen sich ohnehin selten als fähige Publizisten. Ein Glück, dass 1997 Jörn Schütrumpf mit dem Blättchen und Eckart Spoo mit Ossietzky den Faden linker Publizistik wieder aufnahmen.
Welche Vorstellung haben Nachgeborene heutzutage über das, worin Die Weltbühne vor 1990 ihre Aufgabe sah? Sie wurde vom Politbüromitglied Albert Norden protegiert, auf eine solide wirtschaftliche Grundlage gestellt und hatte einen festen Rückhalt in einem kleinen, aber zuverlässigen Abnehmerkreis. Was zeichnete sie aus? Worin versagte sie? Egal, welche Bedeutung dem heute zugemessen wird, zur Kenntnis nehmen sollte man es schon. Auf einige Überraschungen kann gefasst sein, wer nur Zensur und Reglementierung als Voraussetzung in jenem heute nur übel beleumundeten Staatswesen vermutet. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand ist gewiss eine souveränere Sicht auf die Wirkung der Printmedien in jener Zeit möglich.
Wer nämlich, wie ich, im parallel erscheinenden Wochenblatt Eulenspiegel zuhause war, nahm dieses traditionell bildlos aufgemachte kleine rote Heft auf besondere Weise wahr. Als Zeichner einer Porträt-Kolumne stieß ich laufend auf originelle Persönlichkeiten, welche das Profil dieser an Tucholsky und Ossietzky auf durchaus veränderte Weise anknüpfenden Weltbühne bestimmten. Die Gesichter der Autoren ironisch zu erfassen, machte Spaß. Lothar Kusche, Heinz Knobloch und Henryk Keisch von der erheiternden Seite; Jürgen Kuczynski und Burchard Brentjes wissenschaftlich beschlagen; Jean Villain und Richard Christ als die Reisereporter; Lothar Lang und Günther Cwojdrak für die Kunstkritik; Kaspar Borz und Peter Ahrens schrieben zu literarischen und filmischen Entdeckungen – das waren die Alias-Namen von den Chefs des Aufbau-Lektorats, Günter Caspar, und von der DEFA-Dramaturgie, Klaus Wischnewski, letzterer nach dem 11.Plenum von 1965 dort weggeekelt.
Professorale Weihen kamen durch die Gastspiele aus vielen Disziplinen zustande. Dazu gehörten auch Alfred Kantorowicz und Franz Loeser, die nach ihrem Weggang in den Westen dort weniger in Erscheinung traten. Doch aus München kamen Helly M. Reifferscheidt und aus Frankfurt am Main Emil Carlebach mit ihren Beiträgen im Osten regelmäßig zur Geltung. Der anfängliche Versuch, eine gesamtdeutsche Zeitschrift zu machen, war schon Ende der vierziger Jahre gescheitert. Schon allein der Versand von Belegexemplaren in den Westen unterlag pikanterweise der dortigen Postzensur.
Einen wunden Punkt stellte leider der geringe Frauenanteil im Blättchen dar. Immerhin aber – die bald geläufigen Namen von Ursula Ullrich, Helga Schubert, Renate Hoffmann und Heidemarie Hecht kündigten zuerst auf diesen Seiten ein speziell weibliches Verständnis vom Feuilleton an. Es handelte sich stets um literarische Publizistik und nicht um politische Agitation.
Im Herbst 1970 besuchte ich glücklicherweise noch Chefredakteur Hermann Budzislawski ein Jahr vor seinem Tod, um ihn im Gespräch zu porträtieren. Die bald danach zum Pressehaus am Alexanderplatz umziehende Redaktion war da noch in der in Otto-Nuschke-Straße umbenannten alten Jägerstraße neben dem Club der Kulturschaffenden zu Hause. Ich durfte beobachten, wie Ursula Madrasch als stellvertretende Chefredakteurin den Kontakt zu Autoren garantierte und alle Pflichttermine wahrnahm, um dem allseits verehrten Chef den Rücken freizuhalten. Und wie der dem letzten Ideologie-Massaker im Aufbau Verlag heil entkommene Joachim Schreck gerade die alternativen Schriftstellerporträts des bald schon wieder vergraulten Joachim Walther redigierte. Meine Sympathie war komplett. So blieb es nicht aus, dass ich selbst ermuntert wurde, nunmehr auch neben dem Zeichnen mehr zu schreiben. Das war damals im Pressewesen die Regel, dass jüngere Kräfte angelockt wurden. Und sich zügig entwickeln konnten.
Nachdem sich die Madrasch 1976 in die Rente verabschiedet hatte, bewahrte ich als nun regelmäßiger Weltbühnen-Autor und Kleinmachnower Nachbar den Kontakt zu ihr. Nachdem sie drei Jahrzehnte mit dem Spitznamen »Die Gräfin« die graue Eminenz des Heftes gespielt hatte, kam sie davon nicht los. Als Ehefrau des Filmregisseurs Richard Groschopp initiierte sie bald sowohl den Film über Ossietzky als auch die Namensgebung für das Kombinat für Nachrichtentechnik in Teltow. Bei der Gelegenheit war Maud von Ossietzky als Gesprächspartnerin sogar anwesend. Madrasch blieb als Buchautorin des Standardwerkes über die klassische Weltbühne ihrem großen Thema treu.
Die Querelen um den 1993 erfolglos zu Ende gehenden privatwirtschaftlichen Weiterbetrieb des Projektes Weltbühne sah sie mit Befremden. Wir waren uns sofort einig, dass dieser Abwicklung etwas entgegengesetzt werden musste. Richard Groschopp, der den satirischen Kurzfilm »Das Stacheltier« inszeniert hatte, saß grummelnd daneben. Er konnte nur die jüngere Generation von hoffnungsvollen Filmemachern bedauern, die gerade von der Marktwirtschaft in die Arbeitslosigkeit geschickt wurde. Aber das Leben ging in der Gewissheit weiter, dass so etwas, was wir taten, nicht enden kann und nicht aufgegeben werden darf. Die Notwendigkeit bestätigt sich jeden Tag.