Der Krieg zwischen Russland, der Ukraine und der sie maßgeblich unterstützenden Militärallianz befindet sich nun im dritten Jahr, und beim Blick in den medialen Blätterwald fällt auf, dass auch dort zunehmend rhetorisch hochgerüstet wird. »Putin zum Frieden zwingen« titelt Konrad Schüller in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und schreibt, dass das Kriegsziel von Putin »die Vernichtung der Ukraine« sei, weshalb die Verbündeten der Ukraine nur »zwei Möglichkeiten« hätten. Entweder sie machten so weiter wie bisher, dann werde »Putin gewinnen« und »die Ukraine und wahrscheinlich auch Belarus würden von russischen Truppen besetzt«. Oder es komme nun endlich zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine aus den eigenen Beständen, denn »der deutsche ›Taurus‹ liegt ungenutzt herum, und die Nato hat fünfmal mehr Flugzeuge als Russland«, so Schüller. Der Beitrag des Historikers Jan Claas Behrends in der tageszeitung ist martialisch mit »Startschuss zum Weltkrieg« überschrieben, denn es gelte zu verstehen, »dass Putins Krieg weit mehr ist als ein Versuch, der Wiederherstellung des russischen Imperiums«. Deutschland verweigere hier »seine Verantwortung« und die Bundesregierung solle »endlich dasselbe Rückgrat zeigen wie große Teile der Zivilgesellschaft, die weiterhin die Ukraine beeindruckend unterstützt«. Und mit hingebungsvollem Pathos warnt Behrends dann vor einem Aufgeben des Westens, weil dann zwangsläufig, »Diktatur und Krieg sich weiterverbreiten. Es geht darum, ob die junge Generation noch in einem freien Europa leben wird.« Der britische Historiker Timothy Garton Ash legt in der Süddeutsche Zeitung noch eine erschreckend bedrohliche Schippe drauf und mahnt die deutsche Leserschaft: »Europa ist im Krieg. Nicht so wie vor 80 Jahren, als die meisten europäischen Länder direkt an den Kämpfen beteiligt waren; aber es lebt sicher nicht im Frieden wie vor 20 Jahren – bevor Putin sich auf seinen Weg der Konfrontation mit dem Westen begab. Wenn wir uns nicht der Vordringlichkeit bewusstwerden, der Ukraine zum Sieg in einem Krieg zu verhelfen, den sie für uns alle führt, dann werden wir in ein paar Jahren von einem noch direkteren Angriff eines ermutigten, revanchistischen Russlands stehen. (…) Putin muss geschlagen werden. Das ist der einzige Weg, ›um diesen Krieg zu töten.‹« Bei derart dramatisch orchestrierten militärischen Überlegenheitsphantasien kommt die von Marco Seliger in der Neue Zürcher Zeitung gerichtete Kritik an die SPD fast versöhnlich daher, wenn er schreibt: »Die Sozialdemokraten bremsen bei der Waffenhilfe für die Ukraine.« Nur wenige Tage danach hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur nun endlich unmissverständlich gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ausgesprochen und hierzu erklärt, dass Deutschland sonst Gefahr laufe, in den Krieg verwickelt zu werden: »Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Diese Klarheit ist auch erforderlich. Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun.« Zeitgleich scheint sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron nach einem SPIEGEL-Bericht »den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht mehr auszuschließen, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern«. Die inzwischen ohrenbetäubend tönenden bellizistischen Stimmen, die hemmungslos immer weitere Drehmomente an der militärischen Eskalationsschraube fordern, entfachen damit einen derart gewaltigen Donnerhall, als ginge es um eine Wagner-Inszenierung auf dem Grünen Hügel und nicht um die Gefahr des möglicherweise alles entscheidenden letzten Schrittes hin zu einem Dritten Weltkrieg.
Wieso aber kommen in einem derart bedeutsamen zeithistorischen Momentum keine Militärexperten öffentlich zu Wort? Gefragt oder auch ungefragt? Wofür gibt es sie eigentlich, wenn sie sich jetzt hierzu nicht äußern? Wann wollen sie denn eigentlich sonst die Öffentlichkeit an ihrer militärpolitischen Expertise Teil haben lassen? Als eine von wenigen kriegskritischen Stimmen hat Wolfgang Richter (Oberst a. D. und Experte für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik) in einer aktuellen Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung hierzu erklärt: »Die Gegenoffensive der Ukraine, die im Sommer 2023 begann, setzte auf den schrittweisen Einsatz von neun Kampfbrigaden, ausgerüstet mit westlichen schweren Waffen. Der operative Schwerpunkt zielte darauf ab, den russischen Landkorridor zur Krim zu durchtrennen und gleichzeitig die Versorgung zur und von der Krim zu blockieren. Trotz taktischer Erfolge in bestimmten Frontabschnitten führte die Gegenoffensive nicht zu einer grundlegenden Änderung der operativen Lage. Die Analyse zeigt, dass der Krieg in der Ukraine in eine Sackgasse geraten ist, ohne dass eine strategische Kriegswende absehbar ist. Eine Verhandlungslösung, die durch das Istanbuler Kommuniqué noch im Bereich des Möglichen schien, ist aktuell nicht in Sicht. Die Fortführung eines Abnutzungskriegs ohne realistische Aussicht auf einen umfassenden Sieg ist aber für beide Seiten problematisch und könnte zu weiteren Eskalationen führen. Um diese Eskalation zu verhindern und eine realistische Friedenslösung zu fördern, ist eine strategische Neuausrichtung der Diplomatie erforderlich. Verhandlungen, die die Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen und die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine wahren, könnten einen Weg aus der Krise weisen.« Und der ehemalige Diplomat Michael von der Schulenburg schreibt in der Berliner Zeitung hierzu: »Der russische Angriff ist illegal, und niemand darf das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung in Zweifel ziehen. Aber dieses Recht darf nicht in die Zerstörung des ganzen Landes ausarten. Und es sind nicht nur russische Waffen, sondern auch die von Nato-Ländern gelieferten Waffen, die auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden. Sie sind also gleichermaßen für das Leiden und die sukzessiven Zerstörungen des Landes verantwortlich. Das kann und darf nicht Ziel unserer Politik sein, es würde uns eine schwere Schuld aufbürden.«
Es drängt sich bei alledem zunehmend die Frage auf, ob unser eigentlicher friedensverunmöglichender Feind am Ende nicht im Grunde wir selbst sind, wenn wir uns weiterhin in erschreckend stoischer Art und Weise diplomatischen Bemühungen in scheinbar kindlicher Sorglosigkeit verweigern, um uns fatalistisch-siegestrunkenen Kriegsfantasien hinzugeben, die gleich dem biblischen Armageddon die Möglichkeit unseres eigenen Untergangs beinhalten. Doch stirbt die Hoffnung ja bekanntlich zuletzt, und um es mit den Worten von Erich Kästner zu sagen: »Reicht euch die Hände, seid eine Gemeinde. Frieden, Frieden, hieße der Sieg. Glaubt nicht, ihr hättet Millionen Feinde. Euer einziger Feind heißt – Krieg.« Wer könnte ihm da widersprechen?