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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ungehorsame Aktionäre gegen Rheinmetall

Sie haben Gro­ßes vor. Sie rufen öffent­lich auf, die Jah­res­haupt­ver­samm­lung der deut­schen Rüstungs­fir­ma Rhein­me­tall zu unter­bre­chen und zu sabo­tie­ren. Sie wol­len sich Akti­en und damit ihre Ein­tritts­kar­ten kau­fen, um am 5. Mai im Ber­li­ner Mari­tim-Hotel mit einer drei­stel­li­gen Zahl von Kriegs­geg­nern die Büh­ne des Kon­zern­vor­stands zu stürmen.

Etwas Ver­gleich­ba­res hat es in Deutsch­land noch nicht gege­ben. Zwar hiel­ten schon vor 50 Jah­ren ein­zel­ne kri­ti­sche Aktio­nä­re auf Haupt­ver­samm­lun­gen miss­bil­li­gen­de Reden – wie bei­spiels­wei­se 1971 bei Sie­mens in Mün­chen gegen ein geplan­tes Stau­damm­pro­jekt in Mosam­bik. Anfang der 2000er Jah­re ent­roll­ten Aktio­nä­re bei Luft­han­sa in Köln wie­der­holt Trans­pa­ren­te gegen das Geschäft mit den Abschie­bun­gen – bis sie nach kur­zer Ran­ge­lei von Ord­nungs­kräf­ten aus dem Ver­samm­lungs­saal hin­aus­ge­scho­ben wur­den. Auch auf der dies­jäh­ri­gen Sie­mens-Haupt­ver­samm­lung am 5. Febru­ar gab es kri­ti­sche Reden im Saal und eine Kund­ge­bung vor dem Ein­gang gegen die Betei­li­gung des Tech­no­lo­gie­kon­zerns am Koh­le­mi­nen­bau in Austra­li­en. Mit sol­chen Pro­te­sten ist es lin­ken Akteu­ren wie­der­holt gelun­gen, öffent­li­che Auf­merk­sam­keit für ihre inhalt­li­chen Anlie­gen zu erzeugen.

Das bun­des­wei­te Bünd­nis »Rhein­me­tall Ent­waff­nen« knüpft dar­an an und spitzt in die­sem Jahr die Pro­test­form zu. Es ver­kün­det ganz offen eine mas­si­ve Beein­träch­ti­gung der Zusam­men­kunft der Aktio­nä­re und lädt zum Mit­ma­chen ein. Wer bis Anfang April eine Rhein­me­tall-Aktie erwirbt, erhal­te nach dem Akti­en­recht die Erlaub­nis zur Teil­nah­me an der Haupt­ver­samm­lung, ist in der detail­lier­ten Anlei­tung zum Akti­en­kauf zu lesen, die das Bünd­nis auf sei­ner Web­site anbietet.

Men­schen aus Gewerk­schaf­ten, lin­ken Par­tei­en, sozia­len Bewe­gun­gen, femi­ni­sti­schen und kur­di­schen Kämp­fen haben sich in dem Bünd­nis zusam­men­ge­schlos­sen. Wäh­rend ihres Camps im Sep­tem­ber 2019 blockier­ten sie über 24 Stun­den eine Pan­zer- und Bom­ben­fa­brik im nie­der­säch­si­schen Unter­lüß. Sie besetz­ten die Zufahrts­stra­ßen und blockier­ten Sei­ten­ein­gän­ge zur Fabrik mit­hil­fe teils meter­ho­her Bar­ri­ka­den aus Tot­holz aus dem angren­zen­den Wald.

Anlie­fe­run­gen für die Rüstungs­pro­duk­ti­on wur­den wäh­rend­des­sen unmög­lich gemacht, nur ein gerin­ger Pro­zent­satz an Beschäf­tig­ten kam wie an nor­ma­len Werk­ta­gen über­haupt ins Werk. Rhein­me­tall hat­te, so berich­te­te ein Beschäf­tig­ter aus Unter­lüß, Heim­ar­beit ange­bo­ten. Der Kon­zern spricht über die Pro­te­ste die­ser neu­en Bewe­gung nicht gern. Jeder habe das Recht auf Mei­nungs­frei­heit, lau­te­te der lapi­da­re Satz aus der kon­zern­ei­ge­nen Pres­se­stel­le zu den bun­ten Aktio­nen des Camps.

Die Akteu­re von Rhein­me­tall Ent­waff­nen mei­nen es ernst. Zur­zeit rei­sen sie durch die Bun­des­re­pu­blik, um für ihr Anlie­gen zu wer­ben. Eine von ihnen ist Caro­la Palm. Sie erzählt von einer Rede wäh­rend der Haupt­ver­samm­lung 2018: »Als die jeme­ni­ti­sche Men­schen­rechts­ak­ti­vi­stin Bon­y­an Gam­al berich­te­te, wie im jeme­ni­ti­schen Dorf Deir Al-Ḩajārī eine Lenk­bom­be von Rhein­me­tall eine schwan­ge­re Mut­ter und ihre vier Kin­der getö­tet hat, prall­te das an den leb­lo­sen Gesich­tern der Aktio­nä­re ab.« Dass Wor­te offen­sicht­lich nicht mehr aus­rei­chen, um die Rhein­me­tall-Eigen­tü­mer zu errei­chen, ist einer der Grün­de, war­um sich das Bünd­nis für Aktio­nen des zivi­len Unge­hor­sams ent­schie­den hat. »Bevor noch mehr deut­sche Waf­fen im Jemen Men­schen töten, schrei­ten wir ein. Dafür müs­sen wir etwas ris­kie­ren. Nur dann kön­nen wir auch etwas gewin­nen«, ergänzt Palm.

In ihrem Auf­ruf zu den Pro­te­sten am 5. Mai im Saal der Aktio­närs­ver­samm­lung zeich­nen sie ein Bild von viel­fäl­ti­gem Unge­hor­sam: »So ver­schie­den unse­re Mit­tel auch sind, wir wer­den doch ver­eint sein im unkon­trol­lier­ba­ren Durch­ein­an­der, wenn sich immer wie­der über­all im Raum unse­re Stim­men gegen die Kriegs­ver­bre­cher erhe­ben und nicht mehr ver­stum­men werden.«

Die Ankün­di­gung ist ein Novum. Nie zuvor wur­de in Deutsch­land zu einer sol­chen Inter­ven­ti­on wäh­rend einer Haupt­ver­samm­lung öffent­lich mobi­li­siert. Wenn sich tat­säch­lich wie erwar­tet eine drei­stel­li­ge Zahl von Kri­ti­kern betei­ligt, wird es der Ver­samm­lungs­lei­tung schwer­fal­len, den sich abzeich­nen­den vehe­men­ten und lang­an­dau­ern­den Pro­test zu ver­hin­dern. Das Akti­en­recht bin­det dem Unter­neh­men zunächst die Hän­de. Der Kon­zern kann sei­ne Aktio­nä­re nicht vor­ab von der Haupt­ver­samm­lung aus­schlie­ßen. Das Teil­nah­me­recht der Aktio­nä­re ist grund­sätz­lich ein unent­zieh­ba­res Recht und kann nicht beschränkt wer­den, bestä­ti­gen Rechts­an­wäl­te. Erst wenn der ord­nungs­ge­mä­ße Ver­lauf der Haupt­ver­samm­lung gestört wird, kann der Ver­samm­lungs­lei­ter zu Ord­nungs­maß­nah­men grei­fen und zum Bei­spiel den Saal­ver­weis der unge­hor­sa­men Aktio­nä­re veranlassen.

Dass ihr ambi­tio­nier­tes Vor­ha­ben gelin­gen kann, haben die Kriegs­geg­ner selbst vor­ge­macht: Im ver­gan­ge­nen Jahr haben sie – klan­de­stin vor­be­rei­tet – bereits mit etwa 50 Per­so­nen die Büh­ne besetzt und die Ver­samm­lung für eine knap­pe Stun­de unter­bro­chen, bis sie von der her­bei­ge­ru­fe­nen Poli­zei ein­zeln hin­aus­ge­tra­gen wur­den (vgl. Ossietzky 14/​2019). Nicht alle, aber die mei­sten der danach gegen die Büh­nen­be­set­zer ein­ge­lei­te­ten Ermitt­lungs­ver­fah­ren wegen Haus­frie­dens­bruch wur­den ein­ge­stellt. Bis­lang hat der Kon­zern anschei­nend kein Inter­es­se an einer juri­sti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­nen eige­nen Aktio­nä­ren. Ob das auch 2020 so blei­ben wird, ist offen, aber Caro­la Palm von Rhein­me­tall Ent­waff­nen schreckt das nicht: »Repres­si­on gehört zu unge­hor­sa­men Aktio­nen. Ich wür­de mich sogar über einen Gerichts­pro­zess freu­en. Den wür­den wir nut­zen, um die Rhein­me­tall-Vor­stän­de öffent­lich­keits­wirk­sam für ihre Men­schen­rechts­ver­bre­chen anzu­kla­gen und im Zeu­gen­stand müss­ten sie uns end­lich Rede und Ant­wort stehen.«

 

Infor­ma­tio­nen zu den Pro­te­sten: https://rheinmetall-hauptversammlung.org