Anfang dieses Jahres gaben Verlag und Redaktion der Zeitschrift konkret Alarm. Das Blatt sei akut gefährdet, benötige dringend 2000 neue Abonnements, Geldspenden und Einlagen in seine Kommanditgesellschaft.
Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, einen Teil seiner politischen Menschwerdung konkret verdankt, erschrickt. Die Panik mischt sich mit dem Gift von Ohnmachtsempfindung: Es ist ja nicht das erste Periodikum, das so um Hilfe bitten muss. 2023 bekannte nd.der tag, dass man vor dem Abgrund stehe und auf Beitritte zu einer Genossenschaft zwecks Sanierung angewiesen sei. Außerhalb des im engeren Sinn linken Orbits ließ die Titanic mit einer ähnlichen Nachricht Rettungsboote zu Wasser.
Es wirkt ein ökonomischer Trend, der die gesamte Printbranche erfasst hat. Von Bild bis zur FAZ und dem Spiegel stürzen die Auflagen ab. Schon wird prophezeit, dass Mitte des nächsten Jahrzehnts die letzte Tageszeitung, die bis dahin sich über den Markt am Leben gehalten haben mag, ihr Erscheinen werde einstellen müssen. Übrig blieben dann nur noch Blätter im Eigentum von Milliardären und Manufactum-Produkte zu Mondpreisen für betuchte Abonnent(inn)en.
Es war einmal anders. Einst ging es konkret, obwohl immer von Zeit zu Zeit in Bedrängnis, besser, es hatte sogar ein wenig politischen Einfluss. Diese Phase lässt sich zeitlich und räumlich bestimmen. Zeitlich: von 1974, als Hermann G. Gremliza Herausgeber wurde, bis 1990/1991. Räumlich: alte Bundesrepublik.
Auf diesem Territorium und in jenen Jahren hatte konkret eine Art Monopol in der Publizistik zwischen der sozialliberalen Frankfurter Rundschau und der weitgehend isolierten organisationsgebundenen kommunistischen Publizistik. Es war eine Instanz, an deren Kritik sich schiere Stimmungspolitik, Illusionen und Opportunismus blamierten. Die Maßstäbe setzten Gremlizas allmonatliche Kolumnen: einverstanden mit der Ost-West-Teilung der Welt, nicht als Parteigänger von DDR und UdSSR, sondern als Sicherungsverwahrung gegen die Gefahr, die er von einem etwaigen zukünftigen wiedervereinigten Großdeutschland befürchtete, gegen Imperialismus, Faschismus, Antikommunismus, Antisemitismus und Sprachschlamperei. Bei der Wahlentscheidung zwischen der SPD (er gehörte ihr lange an) und Franz Josef Strauß empfahl er Stimmabgabe für das kleinere Übel. Operativer Politik war er damals keineswegs abgeneigt. Anfang der achtziger Jahre hoffte er auf die Grünen und bekannte später, sich geirrt zu haben. 1988/99 stellte er konkret dem Versuch zur Gründung einer Formation »Radikale Linke« zur Verfügung – im Bund mit Jutta Ditfurth, seinem Freund Thomas Ebermann, Rainer Trampert und anderen.
Unmittelbar danach kippte alles. Der Zusammenbruch des Staatssozialismus löste eine massenhafte Leser-Abwanderung der sogenannten undogmatischen Linken in der BRD und von Genoss(inn)en in der DDR aus, die bisher noch nicht den passenden Vorwand gefunden hatten. Zugleich gab und gibt es jetzt zwei sozialistische Tageszeitungen – das Neue Deutschland und die junge Welt (mit der Gremliza kurze Zeit einen Neuanfang versuchte). Dadurch war das bisherige Monopol von konkret gebrochen. Hinzu kam, dass sich viel kleinere Blätter gründeten und halten konnten: ohne Chance auf ein Massenpublikum, aber mit guter Blattbindung einer qualifizierten Leser(innen)schaft, darunter ja auch Ossietzky.
konkret wurde weiter gelesen. Das lag an den Beiträgen des besten Stilisten unter den deutschen Journalisten seiner Zeit, der sich wie sein Vorbild Karl Kraus zugleich als Anti-Journalist verstand: Hermann L. Gremliza. Sein Tod am 20. Dezember 2019 traf das Blatt im Kern.
Es ist, wenngleich geschwächt, unverändert die einzige monatlich erscheinende linke deutsche Publikumszeitschrift. Wer sie an Kiosken sucht, wird sie da und dort immer noch finden, wenngleich eher am Rande. Breitbeinig steht daneben Compact da, das Verlautbarungsorgan Jürgen Elsässers, einst bei konkret und der jungen Welt, jetzt deutschvölkischer Hetzer. Dieses rechtsverschobene Kräfteverhältnis wieder zu verändern, bedarf es ständiger Anstrengungen. Noch vorhandene Positionen sollten nicht geräumt werden. Wer es sich also leisten kann, jetzt konkret mit Abonnements, Spenden und als Kommanditist(in) zu helfen, ohne andere Engagements zu kündigen, sollte es bitte tun.