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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Und noch einmal: Brigitte Reimann

Dass Bri­git­te Rei­mann (1933-1973) eine groß­ar­ti­ge Schrift­stel­le­rin war und wich­ti­ge Aspek­te der DDR-Lite­ra­tur reprä­sen­tiert, steht außer Zwei­fel. Dass sie wider­sprüch­lich war, lei­den­schaft­lich, impul­siv, begehrt und begehr­lich, ein Leben führ­te, das auch Lite­ra­tur hät­te sein kön­nen und wur­de, eben­falls. Die dar­aus Jah­re nach ihrem Tod gefil­ter­te Iko­ni­sie­rung hät­te sie wahr­schein­lich erschreckt. Die Aus­ga­ben der Wer­ke und Tage­bü­cher, Brie­fe, auch die ihrer Män­ner, die Bio­gra­fien, Bei­trä­ge, Ana­ly­sen und ein etwas melo­dra­ma­ti­scher Spiel­film – all das zeigt einen wach­sen­den Nach­ruhm und natür­lich die Gefahr der Vermarktung.

Dar­um ist der Ansatz des jüngst erschie­ne­nen Rei­mann-Buches von Inge­borg Gleich­auf »Als habe ich zwei Leben« lobens­wert. Die Autorin betont, dass Rei­mann eine »Pro­sa­ar­chi­tek­tin« genannt wer­den kann, »ihr Schrei­ben ent­zieht sich jedem ein­fa­chen bio­gra­fi­schen Schrei­ben«. Es gäl­te, »die Unent­wirr­bar­keit der Bezie­hung von Leben und Schrei­ben, die Erzähl­ebe­nen und Bewusst­seins­schich­ten inner­halb ihres Wer­kes zu beleuchten«.

Dies geschieht in zehn kapi­tel­ar­ti­gen Essays, etwa über­schrie­ben: »Lek­tü­ren«, »Kör­per­wel­ten«, »Die Män­ner­samm­le­rin«. Der vor­an­ge­stell­te Text »Bri­git­te Rei­mann lesen« mag eine wich­ti­ge Erklä­rung und nöti­ge Selbst­ver­stän­di­gung sein, der Buch­kon­su­ment käme ohne aus. Immer­hin fal­len hier wich­ti­ge Wör­ter: »Erkun­dungs­ver­su­che«, »rät­sel­haf­te Sprach­welt« – und die Ein­sicht, dass »Die Bio­gra­fie« nicht zu schrei­ben ist.

Dem kann man fol­gen, es erklärt immer­hin den Schreib­an­satz. Für unnö­tig hal­te ich jedoch die jedem Kapi­tel vor­an­ge­stell­ten Aus­zü­ge aus Wer­ken Stend­hals, C. Mey­ers, Inge Mül­lers, Kathe­ri­ne Mans­fields, Adel­heid Duva­nels, Simo­ne de Beau­voirs, Chri­sta Wolfs, Gust­ave Flau­berts. Man muss so nicht bewei­sen, dass Bri­git­te Rei­mann inten­siv las, Gele­se­nes auf hohem Niveau sich anver­wan­del­te, sich an Wer­ken höch­sten Niveaus maß. Die Zita­te zer­klüf­ten den Text, ja, sie stö­ren mit­un­ter den Lese­fluss, zumal jedes der Kapi­tel auch noch mit Wor­ten Rei­manns über­schrie­ben ist.

Die Lek­tü­re des Buches lohnt den­noch und bringt Gewinn. Und zwar, weil hier eine Schrift­stel­le­rin und ihr Werk aus dem Leben und Schrei­ben her­aus ana­ly­siert und erklärt wer­den, ohne dass je eine lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Abhand­lung dar­aus wird. Man wird unter­hal­ten und belehrt im besten Sin­ne. Die Betrach­tun­gen der »Men­schen­samm­le­rin und Figu­ren­zeich­ne­rin« und zur frü­hen Pro­sa Rei­manns sind beson­ders ergie­big. Über­aus geschickt wird aus Brie­fen, Tage­buch­ein­trä­gen, Zita­ten aus Wer­ken, wech­seln­den Per­spek­ti­ven und Beschrei­bun­gen ein Bild der Rei­mann kre­iert, das über­zeugt und die viel­be­spro­che­ne Autorin auch ein­mal in neu­em Lich­te zeigt und nicht nur als Tage­buch­schrei­be­rin, lei­den­schaft­li­che Frau, Brie­fe­schrei­be­rin, ster­bens­kran­ke Frau. Die Kunst die­ses Buches besteht dar­in, auf rela­tiv weni­gen Sei­ten die Tota­le eines Lebens und bei­na­he beses­se­nen Schaf­fens zu prä­sen­tie­ren und dabei den Leser mit hin­ein­zu­neh­men. Und zwar den Rei­mann-Fan und den Rei­mann-Neu­ling – und gera­de Frau­en dürf­ten die Sicht Inge­borg Gleich­aufs als anzie­hend und tief­grün­dig emp­fin­den, etwa die Betrach­tun­gen zu »Fran­zis­ka Lin­ker­hand«. Dies erscheint mir wich­tig, da die Autorin einen Brief Bri­git­te Rei­manns zitiert, in dem sie sich dar­über mokiert, dass man ihr in der DDR-Wochen­zei­tung SONNTAG einen Kapi­tel­vor­ab­druck aus dem Buch kürz­te, weil es ein paar Stel­len gab, »die sie ›ero­tisch‹ nann­te«. Sie, das ist Frau Auer, Anne­ma­rie Auer, Schrift­stel­le­rin, Redak­teu­rin, Kri­ti­ke­rin (1913-2022). Ich habe sie einst vol­ler Käl­te sagen hören, dass Bri­git­te Rei­mann erst ehr­lich gewor­den sei, als sie wuss­te, dass sie ster­ben müsse.

In dem Kapi­tel »Schrei­ben in der DDR« erklärt die Autorin, kei­nes der Bücher Rei­manns ent­spre­che den Vor­stel­lun­gen der Zen­sur. Das greift lei­der zu kurz. Denn die Zen­sur mit immer glei­chen Ansprü­chen und Her­an­ge­hens­wei­sen, die gab es eben nicht. Man wuss­te nie, womit man etwa Anstoß erreg­te, denn mei­stens war das vom poli­ti­schen Tages­wind abhän­gig. Und Rei­mann wuss­te dies gewiss, und sie wuss­te auch, wie man mit den Mäch­ti­gen und den Ein­fluss­rei­chen umzu­ge­hen hat­te. Die Schli­che, Win­kel­zü­ge, Ritua­le im Umgang mit der »Haupt­ver­wal­tung Ver­la­ge und Buch­han­del« muss man wohl selbst erlebt haben. Aber das ist nicht als Beck­mes­se­rei gemeint, allen­falls als Ergän­zung. Denn Bri­git­te Rei­mann hat, ganz im Sin­ne des Buch­ti­tels, zwei Leben. Eines als Schrift­stel­le­rin in den Kon­flik­ten ihrer Zeit, eines als Autorin mit Ruhm post mor­tem. In bei­de brin­gen Inge­borg Gleich­aufs Ana­ly­sen Klarheit.

Inge­borg Gleich­auf: Als habe ich zwei Leben – Bri­git­te Rei­mann, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 168 S., 18 €.