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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Umweltschutz und scharfe Töne

Es war ein Auf­schrei mit enor­mem Echo: das Buch »Die Waf­fen nie­der!« von Ber­ta von Sutt­ner vor 130 Jah­ren. Und mit Recht. Ihre Schil­de­rung der Kriegs­lei­den – heu­te wären sie unver­gleich­lich schlim­mer – schockier­ten damals nicht nur die »höhe­re Gesell­schaft«, son­dern fan­den brei­ten Wider­hall: von den Wit­wen ein­fa­cher Sol­da­ten bis zu intel­lek­tu­el­len Krei­sen. Jedoch hat sich ihre Hoff­nung nicht erfüllt – das 20. Jahr­hun­dert war kein fried­fer­ti­ges; es war die schlimm­ste Kriegs­epo­che über­haupt. Die kriegs­lü­ster­nen Gene­ra­li­tä­ten und Staa­ten­len­ker eben­so wie die Waf­fen­fa­bri­kan­ten haben sie aus­ge­löst, haben über 60 Mil­lio­nen Men­schen umkom­men las­sen, Mil­lio­nen Woh­nun­gen zer­stört und uner­setz­li­che Kul­tur­gü­ter vernichtet.

Aber dies soll nun ein Ende haben. Ab jetzt hat hier­zu­lan­de der Umwelt­schutz die höch­ste Prio­ri­tät; schließ­lich ist eine Pazi­fis­mus-Par­tei die zweit­stärk­ste poli­ti­sche Kraft! Aber wie soll das gehen, wenn man gleich­zei­tig gegen unlieb­sa­me Staa­ten Angriffs­dro­hun­gen aus­spricht? Ist dies noch »poli­ti­scher Prag­ma­tis­mus« oder schon Dop­pel­zün­gig­keit? Es zeigt doch nur, dass die kriegs­be­rei­ten bzw. -gie­ri­gen Kräf­te immer noch über­mäch­tig sind. Wer­den dann nicht irgend­wann wie­der die Umwelt­zie­le bei­sei­te­ge­scho­ben, wenn es um die »Ehre der Nati­on« geht – nach dem Mot­to: »Umwelt­schutz machen wir, wenn wir mal Zeit haben – aber jetzt müs­sen wir die Fein­de schla­gen!« Und wie­der gäbe es end­lo­ses Leid, Ver­wü­stun­gen, Migrationsströme.

Wie kön­nen Umwelt­zie­le eine ech­te Prio­ri­tät gegen­über Kriegs­be­stre­bun­gen gewin­nen? Und wel­che Kräf­te ste­hen dem ent­ge­gen? Gera­de zur zwei­ten Fra­ge gibt es bereits eine Men­ge an hoch­ka­rä­ti­gen Ana­ly­sen, die alle­samt recht ein­fa­che Zusam­men­hän­ge erken­nen lassen:

Die Reprä­sen­tan­ten des Mili­tärs wol­len ihren Beruf »aus­üben«, und die­ser besteht letzt­end­lich aus krie­ge­ri­schen Aktio­nen – sei­en sie ver­tei­di­gend oder angreifend.

Die Her­stel­ler von Waf­fen, fahrendem/​fliegendem/​schwimmendem Gerät eben­so wie die invol­vier­ten Soft­ware-Fir­men wol­len Gewinn erwirt­schaf­ten. Der steigt natur­ge­mäß bei jedem mili­tä­ri­schen Ein­satz immens: Jede ver­schos­se­ne Patro­ne und jedes abge­stürz­te Flug­zeug müs­sen ersetzt wer­den. In die­sem Sinn steigt der Gewinn, je län­ger ein Krieg dau­ert und je erbit­ter­ter er geführt wird.

Bei­de Berei­che üben Druck aus auf die Poli­tik, um ihre Zie­le zu errei­chen – wenn nicht sogar eini­ge Poli­ti­ker direkt dar­an »ver­die­nen« (z. B. ein ehe­ma­li­ger US-Vize­prä­si­dent als vor­he­ri­ger CEO der Fa. Halliburton).

Die Medi­en haben eine ande­re Spe­zi­fik: Sie leben im Prin­zip davon, dass »etwas pas­siert«, was berich­tens­wert ist – je spek­ta­ku­lä­rer, desto »bes­ser«. Man beden­ke, wie schnell die deut­schen Bür­ger für den 1. Welt­krieg mani­pu­liert wer­den konn­ten oder für den 1. Golf­krieg – es dau­er­te jeweils nur weni­ge Wochen. Also: »Sen­sa­ti­on« ist wich­ti­ger als poli­ti­sche Weit­sicht und stra­te­gi­sche Abwä­gung. Dabei sind Medi­en auch gebun­den an die Spra­che; sie ver­öf­fent­li­chen für die Kli­en­ten »zu Hau­se«; in die­sem Sinn sind sie natio­nal ori­en­tiert. (Als Bei­spiel sei der Ver­le­ger W.R. Hearst genannt: Er woll­te die »pas­sen­den« Bil­der über Kuba, um damit Kriegs­stim­mung gegen Spa­ni­en zu schü­ren, was letzt­end­lich zum spa­nisch-ame­ri­ka­ni­schen Krieg führte.)

Wie sich an vie­len Bei­spie­len zeigt, sind die Prot­ago­ni­sten oft nicht fest­ge­legt auf eine »Funk­ti­on«: Gene­ra­le im Ruhe­stand gehen in die Poli­tik oder zu Denk­fa­bri­ken, Rüstungs-Lob­by­isten über­neh­men poli­ti­sche Ämter, Poli­ti­ker bezie­hen Mana­ger- oder Auf­sichts­rats­po­sten in der Rüstungs­in­du­strie. So bil­den sich Netz­wer­ke her­aus, die alle­samt an der Mili­tär-Indok­tri­na­ti­on mit­ver­die­nen wol­len: Die Medi­en durch höhe­re Auf­la­gen, die Denk­fa­bri­ken durch hoch­do­tier­te Bera­ter­ver­trä­ge und Ana­ly­sen, die Gene­ra­le for­dern mehr Sol­da­ten und Mili­tär­ge­rät, und die Poli­ti­ker wol­len »Erfol­ge« feiern.

Eine Grup­pe jedoch ver­dient unge­heu­er­lich: die Rüstungs­in­du­strie. Denn bei jedem Mili­tär­ein­satz ist ihnen fol­gen­des ein­fa­ches Ablauf­sze­na­ri­um gewiss: Jeder Ein­satz ver­braucht über­pro­por­tio­na­le Mate­ri­al- und Ener­gie­men­gen; die­se Ver­lu­ste müs­sen nach­ge­lie­fert wer­den; jede Nach­lie­fe­rung erbringt Extra-Pro­fit. Dies gilt von »Bera­ter-Mis­sio­nen« über direk­te Kriegs­hand­lun­gen bis zum Wie­der­auf­bau der zer­stör­ten Gebie­te. Hier ist die Pro­fi­tra­te unüber­trof­fen; jede neue rea­le oder her­bei-doku­men­tier­te Bedro­hung löst neue Mili­tär-Anstren­gun­gen und damit die­se »Spi­ra­le« aus. Mög­li­cher­wei­se ist dies die wesent­li­che Trieb­kraft aller Kriegsbemühungen.

Und die­se lukra­ti­ve Gewinn­quel­le soll das Groß­ka­pi­tal ein­fach so fal­len­las­sen, weil der Mee­res­spie­gel ein paar Zen­ti­me­ter ansteigt? Hier wäre das Bibel-Gleich­nis vom Kamel und dem Nadel­öhr zutref­fend. Glück­li­cher­wei­se sind ech­te Mili­tär­schlä­ge (und damit deren Mate­ri­al-Fol­gen) sel­ten; mei­stens lau­fen nur Übun­gen ab. Das heißt: Die rie­si­ge Pro­fi­tra­te gibt es nur in Kriegs­zei­ten, in Frie­dens­zei­ten ist sie wesent­lich geringer.

Betrach­tet man dage­gen den Umwelt­schutz, sind hier­für kon­ti­nu­ier­li­che Auf­wen­dun­gen erfor­der­lich – etwa für neue Tech­no­lo­gien zur Ener­gie­spei­che­rung und -rück­ge­win­nung oder für Recy­cling. Ein Ver­gleich zwi­schen mili­tär- und umwelt­do­mi­nier­tem Poli­tik­an­satz zeigt: Durch­schnitt­li­che »lau­fen­de« Pro­fi­tra­ten mit zeit­wei­se exor­bi­tan­ten Spit­zen ver­sus kon­stan­te Pro­fi­tra­ten. Hier­aus ergibt sich eine Mög­lich­keit, um das Groß­ka­pi­tal für den Umwelt­schutz zu inter­es­sie­ren: Bei aus­rei­chend hoher kon­ti­nu­ier­li­cher Pro­fi­tra­te wäre – über eine län­ge­re Zeit­span­ne betrach­tet – ein beträcht­li­cher Gewinn zu erwar­ten – ohne Zer­stö­run­gen, son­dern durch auf­bau­en­de Investitionen.

Mitt­ler­wei­le stam­men die größ­ten Kapi­tal­ge­ber nicht mehr aus dem pro­du­zie­ren­den Gewer­be, son­dern aus dem Finanz- bzw. Invest­ment­sek­tor. Deren Denk­wei­se impli­ziert auch sol­che Spiel­re­geln wie »Hausse-Baisse-Wet­ten« oder Kurs­ver­än­de­run­gen durch Leer­ver­käu­fe und Ter­min­ge­schäf­te. Bei­spie­le dafür sind die Cum-Ex-Prak­ti­ken oder aktu­ell auch der Han­del mit CO2-Zer­ti­fi­ka­ten, die man kau­fen kann (ent­spricht Ver­knap­pung), sodass deren Preis steigt, um sie dann wie­der zu ver­kau­fen – mit einem sat­ten Kurs­ge­winn. Will man die­se Bran­che zu lang­fri­sti­gen Umwelt-Inve­sti­tio­nen locken, wäre abzu­si­chern, dass kei­ne juri­sti­schen »Schlupf­lö­cher« für Neben­bei-Pro­fi­te offen­blei­ben. Inter­es­sant wäre dabei ein Grad­mes­ser, inwie­weit ver­brauch­te Ent­wick­lungs­gel­der und Umwelt-Inve­sti­tio­nen einen rea­len Umwelt-Posi­tiv­ef­fekt erbrin­gen: Erst wenn die­ser nach­ge­wie­sen ist, soll­ten Zusatz-Boni aus­ge­schüt­tet wer­den, die die betriebs­wirt­schaft­li­che Bilanz der lei­sten­den Kör­per­schaft ver­bes­sern. Die juri­sti­schen Rah­men­be­din­gun­gen und die mone­tä­re Absi­che­rung sind kom­ple­xe Arbeits­fel­der; sie müss­ten durch die Regie­rung früh­zei­tig kon­zi­piert und aus­ge­ar­bei­tet wer­den, mög­lichst im Ver­bund mit der EU und deren »Green Deal«.

Natür­lich sind sol­che Kon­zep­te weit­ab von den momen­tan publi­zier­ten Denk­sche­ma­ta; sie wer­den belä­chelt und viel­leicht ver­ächt­lich gemacht. Aber ist dies nicht auch ein Zei­chen von Angst – Angst davor, etwas radi­kal ändern zu müs­sen, Angst vor Pro­fit- oder Macht­ver­lust? Erkenn­bar ist momen­tan, dass ein­fluss­rei­che Poli­ti­ker »zwei­glei­sig« fah­ren möch­ten: einer­seits für die Umwelt, ande­rer­seits aggres­siv gegen­über poli­ti­schen Geg­nern. Das ist aller­dings ein ganz gefähr­li­ches Spiel, das gar nicht auf­ge­hen kann, weil die Züge auf den zwei Glei­sen in ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen unter­wegs sind – also nie­mals ein gemein­sa­mes Ziel errei­chen wer­den. Und ein Pan­zer­zug fährt nicht für den Umweltschutz…