Es war ein Aufschrei mit enormem Echo: das Buch »Die Waffen nieder!« von Berta von Suttner vor 130 Jahren. Und mit Recht. Ihre Schilderung der Kriegsleiden – heute wären sie unvergleichlich schlimmer – schockierten damals nicht nur die »höhere Gesellschaft«, sondern fanden breiten Widerhall: von den Witwen einfacher Soldaten bis zu intellektuellen Kreisen. Jedoch hat sich ihre Hoffnung nicht erfüllt – das 20. Jahrhundert war kein friedfertiges; es war die schlimmste Kriegsepoche überhaupt. Die kriegslüsternen Generalitäten und Staatenlenker ebenso wie die Waffenfabrikanten haben sie ausgelöst, haben über 60 Millionen Menschen umkommen lassen, Millionen Wohnungen zerstört und unersetzliche Kulturgüter vernichtet.
Aber dies soll nun ein Ende haben. Ab jetzt hat hierzulande der Umweltschutz die höchste Priorität; schließlich ist eine Pazifismus-Partei die zweitstärkste politische Kraft! Aber wie soll das gehen, wenn man gleichzeitig gegen unliebsame Staaten Angriffsdrohungen ausspricht? Ist dies noch »politischer Pragmatismus« oder schon Doppelzüngigkeit? Es zeigt doch nur, dass die kriegsbereiten bzw. -gierigen Kräfte immer noch übermächtig sind. Werden dann nicht irgendwann wieder die Umweltziele beiseitegeschoben, wenn es um die »Ehre der Nation« geht – nach dem Motto: »Umweltschutz machen wir, wenn wir mal Zeit haben – aber jetzt müssen wir die Feinde schlagen!« Und wieder gäbe es endloses Leid, Verwüstungen, Migrationsströme.
Wie können Umweltziele eine echte Priorität gegenüber Kriegsbestrebungen gewinnen? Und welche Kräfte stehen dem entgegen? Gerade zur zweiten Frage gibt es bereits eine Menge an hochkarätigen Analysen, die allesamt recht einfache Zusammenhänge erkennen lassen:
Die Repräsentanten des Militärs wollen ihren Beruf »ausüben«, und dieser besteht letztendlich aus kriegerischen Aktionen – seien sie verteidigend oder angreifend.
Die Hersteller von Waffen, fahrendem/fliegendem/schwimmendem Gerät ebenso wie die involvierten Software-Firmen wollen Gewinn erwirtschaften. Der steigt naturgemäß bei jedem militärischen Einsatz immens: Jede verschossene Patrone und jedes abgestürzte Flugzeug müssen ersetzt werden. In diesem Sinn steigt der Gewinn, je länger ein Krieg dauert und je erbitterter er geführt wird.
Beide Bereiche üben Druck aus auf die Politik, um ihre Ziele zu erreichen – wenn nicht sogar einige Politiker direkt daran »verdienen« (z. B. ein ehemaliger US-Vizepräsident als vorheriger CEO der Fa. Halliburton).
Die Medien haben eine andere Spezifik: Sie leben im Prinzip davon, dass »etwas passiert«, was berichtenswert ist – je spektakulärer, desto »besser«. Man bedenke, wie schnell die deutschen Bürger für den 1. Weltkrieg manipuliert werden konnten oder für den 1. Golfkrieg – es dauerte jeweils nur wenige Wochen. Also: »Sensation« ist wichtiger als politische Weitsicht und strategische Abwägung. Dabei sind Medien auch gebunden an die Sprache; sie veröffentlichen für die Klienten »zu Hause«; in diesem Sinn sind sie national orientiert. (Als Beispiel sei der Verleger W.R. Hearst genannt: Er wollte die »passenden« Bilder über Kuba, um damit Kriegsstimmung gegen Spanien zu schüren, was letztendlich zum spanisch-amerikanischen Krieg führte.)
Wie sich an vielen Beispielen zeigt, sind die Protagonisten oft nicht festgelegt auf eine »Funktion«: Generale im Ruhestand gehen in die Politik oder zu Denkfabriken, Rüstungs-Lobbyisten übernehmen politische Ämter, Politiker beziehen Manager- oder Aufsichtsratsposten in der Rüstungsindustrie. So bilden sich Netzwerke heraus, die allesamt an der Militär-Indoktrination mitverdienen wollen: Die Medien durch höhere Auflagen, die Denkfabriken durch hochdotierte Beraterverträge und Analysen, die Generale fordern mehr Soldaten und Militärgerät, und die Politiker wollen »Erfolge« feiern.
Eine Gruppe jedoch verdient ungeheuerlich: die Rüstungsindustrie. Denn bei jedem Militäreinsatz ist ihnen folgendes einfaches Ablaufszenarium gewiss: Jeder Einsatz verbraucht überproportionale Material- und Energiemengen; diese Verluste müssen nachgeliefert werden; jede Nachlieferung erbringt Extra-Profit. Dies gilt von »Berater-Missionen« über direkte Kriegshandlungen bis zum Wiederaufbau der zerstörten Gebiete. Hier ist die Profitrate unübertroffen; jede neue reale oder herbei-dokumentierte Bedrohung löst neue Militär-Anstrengungen und damit diese »Spirale« aus. Möglicherweise ist dies die wesentliche Triebkraft aller Kriegsbemühungen.
Und diese lukrative Gewinnquelle soll das Großkapital einfach so fallenlassen, weil der Meeresspiegel ein paar Zentimeter ansteigt? Hier wäre das Bibel-Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr zutreffend. Glücklicherweise sind echte Militärschläge (und damit deren Material-Folgen) selten; meistens laufen nur Übungen ab. Das heißt: Die riesige Profitrate gibt es nur in Kriegszeiten, in Friedenszeiten ist sie wesentlich geringer.
Betrachtet man dagegen den Umweltschutz, sind hierfür kontinuierliche Aufwendungen erforderlich – etwa für neue Technologien zur Energiespeicherung und -rückgewinnung oder für Recycling. Ein Vergleich zwischen militär- und umweltdominiertem Politikansatz zeigt: Durchschnittliche »laufende« Profitraten mit zeitweise exorbitanten Spitzen versus konstante Profitraten. Hieraus ergibt sich eine Möglichkeit, um das Großkapital für den Umweltschutz zu interessieren: Bei ausreichend hoher kontinuierlicher Profitrate wäre – über eine längere Zeitspanne betrachtet – ein beträchtlicher Gewinn zu erwarten – ohne Zerstörungen, sondern durch aufbauende Investitionen.
Mittlerweile stammen die größten Kapitalgeber nicht mehr aus dem produzierenden Gewerbe, sondern aus dem Finanz- bzw. Investmentsektor. Deren Denkweise impliziert auch solche Spielregeln wie »Hausse-Baisse-Wetten« oder Kursveränderungen durch Leerverkäufe und Termingeschäfte. Beispiele dafür sind die Cum-Ex-Praktiken oder aktuell auch der Handel mit CO2-Zertifikaten, die man kaufen kann (entspricht Verknappung), sodass deren Preis steigt, um sie dann wieder zu verkaufen – mit einem satten Kursgewinn. Will man diese Branche zu langfristigen Umwelt-Investitionen locken, wäre abzusichern, dass keine juristischen »Schlupflöcher« für Nebenbei-Profite offenbleiben. Interessant wäre dabei ein Gradmesser, inwieweit verbrauchte Entwicklungsgelder und Umwelt-Investitionen einen realen Umwelt-Positiveffekt erbringen: Erst wenn dieser nachgewiesen ist, sollten Zusatz-Boni ausgeschüttet werden, die die betriebswirtschaftliche Bilanz der leistenden Körperschaft verbessern. Die juristischen Rahmenbedingungen und die monetäre Absicherung sind komplexe Arbeitsfelder; sie müssten durch die Regierung frühzeitig konzipiert und ausgearbeitet werden, möglichst im Verbund mit der EU und deren »Green Deal«.
Natürlich sind solche Konzepte weitab von den momentan publizierten Denkschemata; sie werden belächelt und vielleicht verächtlich gemacht. Aber ist dies nicht auch ein Zeichen von Angst – Angst davor, etwas radikal ändern zu müssen, Angst vor Profit- oder Machtverlust? Erkennbar ist momentan, dass einflussreiche Politiker »zweigleisig« fahren möchten: einerseits für die Umwelt, andererseits aggressiv gegenüber politischen Gegnern. Das ist allerdings ein ganz gefährliches Spiel, das gar nicht aufgehen kann, weil die Züge auf den zwei Gleisen in entgegengesetzte Richtungen unterwegs sind – also niemals ein gemeinsames Ziel erreichen werden. Und ein Panzerzug fährt nicht für den Umweltschutz…