Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erschien der erste »Bericht des Club of Rome« und rüttelte viele Menschen auf. Erste ökonomische Krisenerfahrungen, vorrangig im Hinblick auf die Ressource Öl und die damit verbundenen ökonomischen und ökologischen Probleme, hatten einen Großteil der Menschen, insbesondere in den wohlhabenden Staaten, verunsichert. Später erschien das vom US-amerikanischen Präsidenten Carter initiierte »Global 2000«, worin verschiedene amerikanische Institutionen ihre Zukunftsszenarien durchspielten und zu ähnlichen Ergebnissen kamen, die alle nicht erfreulich klangen. Das Buch erschien zwar, auch in Deutschland, verschwand aber schnell in der Schublade. Eine Reihe von Publikationen erschien danach in der Bundesrepublik, die sich mit den zunehmend ins Bewusstsein dringenden Ökologieproblemen befassten, von »Rettet den Wald«, »Rettet die Vögel« oder »Freizeit Fatal« bis hin zu den wissenschaftlich fundierten Kompendien des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie: »Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt – Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte« oder »Zukunftsfähiges Deutschland – Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung«. Weitgehend unbekannt blieb das tiefergehende Buch der US-Amerikanerin Susan George: »Wie die anderen sterben, Die wahren Ursachen des Welthungers«. Diese Arbeit stellte die Frage, auf welcher Seite der Barriere wir stehen. Gehören wir zu den Nutznießern des Welthungers und der 100.000 Toten täglich, zu den Nutznießern der globalen Ausbeutung und der dafür nötigen Naturzerstörung – oder sind wir bereit, umzudenken und dagegen zu kämpfen.
»Die Linke reagierte auf die beginnende Ökologie-Diskussion gespalten – und zwar in Ost und West. Von ihren westlichen Vertretern wurden in den 70er Jahren die Problemszenarien als weitgehend interessengeleitete Panikmache abgetan, die neue ökologische Nachdenklichkeit als Versuch gewertet, von fundamentalen Vergesellschaftungsproblemen des Kapitalismus abzulenken (was ganz so abwegig auch nicht war, jedoch nichts an den sich aufdrängenden Problemen änderte). ln die gleiche Richtung zielten auch die Argumente der meisten Ökonomen, Gesellschafts- und Politikwissenschaftler in den sozialistischen Ländern: Ihnen galt die Ökologie-Problematik ausschließlich als Ausdruck einer allgemeinen Krise des Kapitalismus« (so Werner Seppmann in der jungen Welt v. 3.2.2016).
Vor Jahrzehnten schon schrieb auch der ostdeutsche Philosoph Wolfgang Harich, dass eine Kehrtwende und eine globale Selbstbesinnung um des Überlebens der Menschheit willen unabdingbar sei. Wer aber, so lautete die daraus resultierende Frage, kann diese Wende bewirken? Harich war berechtigterweise skeptisch, dass auch nur ansatzweise die kapitalistischen Länder dazu in der Lage seien, denn sie brauchen das Wachstum um seiner selbst willen, um sich als kapitalistische Gesellschaft reproduzieren zu können.
Inzwischen, nachdem auch China als Mitspieler im globalen Wettrennen aufgetreten ist, erscheint die Dynamik der Weltwirtschaft mit ihren Wachstumsparadigmen als systemübergreifende Problematik stärker in den Vordergrund zu treten. Die Erkenntnis vieler Menschen gipfelt in dem Satz: »Wir leben so, als hätten wir noch eine zweite Erde in Reserve.«
Bei harscher Kritik am bestehenden und fast alle Länder beherrschenden kapitalistischen System (eine Ausnahme bildet Kuba) und nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, stellen sich viele die Frage: Was denn dann?
Tertium non datur? (Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht?) Viele Initiativen sind entstanden, viele Fortschritte sind in der ökologischen Frage erzielt worden, dennoch konnte nachweislich die weitere Zerstörung der Natur weltweit nicht gestoppt werden »Es ist Skepsis angebracht, ob ein ›grüner Kapitalismus‹ prinzipiell überhaupt möglich ist. Wenn die ökologische Orientierung mehr als nur Fassade sein soll, drängt sich die Frage auf, ob ohne erweiterte Reproduktion (letztlich also Wachstum) Kapitalismus überhaupt möglich ist. Der Kapitalismus bemüht sich nicht darum, die Naturbasis der Gesellschaft zu erhalten, er will sich selber retten, und dazu braucht er Wachstum«, so Wolfgang Harich schon in den 1970er Jahren.
Mit Selbstbeschränkung ist es nicht getan, auch wenn damit einiges erreicht werden kann und die Aktiven sich dabei relativ wohlfühlen. Doch auch Windkraftwerke funktionieren aufgrund kapitalistischer Finanzierungen, und wenn Privatleute den dank ihrer eigenen Photovoltaikanlage erzeugten Strom in ihrem Haus selbst verwenden wollen, erfindet die Regierung eine Solarsteuer. Die Handlanger des Kapitalismus lassen sich eine Menge einfallen, um die lauthals verkündete Energiewende zugunsten der ihnen näherstehenden konventionellen Energiekonzerne umzufunktionieren und aufzuhalten.
Auch eine noch so bejubelte internationale Klimakonferenz in Paris (2015) ändert leider nichts daran, dass vorerst alles so weiterläuft wie bisher, dass z. B. die Autohersteller weiterhin auch auf Verbrennungsmotoren und große PKW setzen. Aber auch Elektrofahrzeuge werden die Grundprobleme nicht lösen – abgesehen von den »Verbrauchern«, die ohne Druck (mehr oder weniger, eher mehr) ihr Verhalten nicht ändern werden. Es gibt u. a. Umweltschützer, die zwar alles Mögliche beachten, Korken sammeln oder Obstbäume pflanzen, aber nicht ihre Autofahrten einschränken und einige Male im Jahr in alle Welt fliegen.
Für den Kapitalismus ist die Hoffnung auf einen Reproduktionsprogress mit »Augenmaß« nicht möglich. »Grüne« Aktivitäten und Konzepte haben Hochkonjunktur – und dennoch schreitet die Naturzerstörung in den entscheidenden Bereichen weiter voran. Trotz eines vorhandenen Problembewusstseins sind überzeugende Lösungskonzepte nicht in Sicht: Versuche einer Reduktion des klimaverändernden Schadstoffausstoßes sind über ein Anfangsstadium nicht hinausgekommen. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen gleicht einem verzehrenden Flächenbrand, dem die Feuerwehr weitgehend hilflos gegenübersteht.
Man greife jedoch nicht zum Hyperstaat, gar einer »diktatorischen Weltregierung«, wie Harich sagt. In diesem Begriff liegt nämlich ein logischer Widerspruch: Wäre die Entwicklung so weit vorangetrieben, dass eine »Weltregierung« Realisierungschancen hätte, wäre wahrscheinlich ein solch übergestülpter Staatsapparat überflüssig. Denn Voraussetzung ihrer Installierung wäre die Überwindung imperialistischer Konkurrenzverhältnisse und zumindest die Beseitigung monopolistischen Privateigentums.
In einem allgemeinen Sinne klingt Harichs Definition plausibel, dass »Kommunismus (…) gerechte Verteilung heißt, konsequent, radikal durchgeführt«. Das hört sich an, als ob staatlicher Interventionismus und nicht gesellschaftliche Selbstverwaltung notwendig wäre. Aber ist das dann wirklich Kommunismus? Ist dessen Substanz nicht eben die gesellschaftliche Selbstverwaltung? Verstehen wir den Kommunismus als eine Gesellschaft, in der die Menschen die Gestaltung ihrer Lebensbedingungen in die eigenen Hände genommen haben, ist auch zu vermuten, dass viele Dinge, die heute »professionalisiert« und kommerzialisiert sind, wieder in die unmittelbaren Lebenszusammenhänge reintegriert und zu Alltagsangelegenheiten werden (Seppmann).
Maschinen könnten uns weltweit helfen, die Armut zu verringern. Nötig wäre ein System, das die vorhandene Arbeit auf möglichst viele Hände verteilt und die erwirtschafteten Gewinne auf möglichst viele Köpfe. Das inzwischen obszöne Auseinanderdriften von Vermögen und Einkommen, die Konzentration in wenigen Händen und die unvorstellbare Zunahme der Armut können so nicht weitergehen. Wirtschaftssysteme ohne Wachstumsdruck müssen entwickelt werden – und Herrschaftssysteme ohne Macht von Menschen über Menschen.
Bisher haben es diejenigen, die gern auf Kosten anderer leben, geschafft, ein derart ungerechtes System einzurichten, zu erhalten und den Menschen beizubringen, dies sei die allein mögliche Art und Weise des Lebens, die aber allen möglich sein soll. Nur dank des schon von Antonio Gramsci erwähnten »passiven Konsenses«, der die Mehrheit der gedrückten und unterdrückten Menschen ruhig hält, kann sich das kapitalistische System, gesteuert von wenigen, halten.
Wie das Leben in der Zukunftsgesellschaft sich konkret organisiert, kann man natürlich heute nicht genau voraussagen. Aber gedacht werden muss es, ohne Scheu. Jedoch wird es mit großer Sicherheit in anderen Formen geschehen, als ein kapitalistisch geprägter und verformter Geist es sich vorzustellen vermag, denn auch in den Bildern grüner »Idyllen« macht »kapitalistischer Geist« sich noch bemerkbar, nicht zuletzt, weil sie von einer spezifischen Form von Weltfluchtbedürfnissen geprägt sind. Das Neue kann nicht einfach die Fortsetzung des Alten sein; es entfaltet sich erst nach dem Bruch mit ihm (Seppmann).
Der verstorbene portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago formulierte das so: »Etwas Neues kann nur entstehen, wenn man die Regeln bricht.« Doch wahrscheinlich leben wir immer noch in einem Zustand, den schon Antonio Gramsci in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieb: »Die alte Zeit ist tot – und die neue hat noch nicht begonnen.«