2024 ist seit dem Geheimtreffen rechtsradikaler Gruppierungen im November 2023 in Potsdam und den dort diskutierten Zielen eine millionenfache Protestbewegung entstanden, in der Menschen für ihre Grundrechte demonstrieren. Dabei fällt auf, dass die Gefahr eines großen Krieges zwischen der EU und Russland, auf den die Bevölkerung in den Medien nahezu täglich eingestimmt wird, bisher nicht zu vergleichbaren Aktionen geführt hat. Russland hat stets versichert, nach den Verlusten im Zweiten Weltkrieg nicht ein weiteres Mal zuzulassen, dass ein Krieg auf seinem Territorium ausgetragen wird. Dieser würde demzufolge im dicht besiedelten Europa Leben vielfach auslöschen Er muss vermieden werden. Sich gegen eine solche Gefährdung elementarer Lebensinteressen mit Entschiedenheit zur Wehr zu setzen, erscheint mehr denn je als ein Gebot der Stunde.
Die Massenproteste gegen Rechtsradikalismus werden durch systemkonforme Parteien und Institutionen einschließlich der Kirchen unterstützt. Vergleichbares ist im Zusammenhang mit der sich zuspitzenden Konfrontation zwischen der EU und Russland bisher weitgehend unterblieben. Die Politik des westlichen Bündnisses unter Führung der USA befördert unter Verweis auf den Krieg in der Ukraine Befürchtungen, Russland könne die EU angreifen. Man schürt in den Medien ein solches Feindbild, damit Produktion von Waffen und Hochrüstung sowie die Bereitstellung bedeutender finanzieller Mittel zur Unterhaltung des Krieges auf ukrainischem Boden in der Öffentlichkeit mitgetragen werden.
Geschichtsvergessenheit, Ausblendung relevanter Kausalzusammenhänge, Missachtung der von Russland in den Jahrzehnten nach dem Zerfall der Sowjetunion immer wieder erhobenen Forderung nach Sicherheitsgarantien und neuerdings sogar Kriegshetze kennzeichnen den öffentlichen Disput.
Die Ukraine entstand als selbständiger Staat erstmals 1991 neben 10 weiteren Nachfolgestaaten im Ergebnis des Zerfalls der Sowjetunion, die sich außer den drei Baltikum-Staaten zur Gemeinschaft unabhängiger Staaten, der GUS, zusammenschlossen. Dieser Prozess war mit der Beilegung des Ost-West-Konflikts verbunden, wurde von einer Phase der militärischen Abrüstung begleitet (1987 INF, 1993 SART II, 1992 KSE-Vertrag), und es wäre eine Beendigung des Kalten Krieges dauerhaft möglich gewesen. Russland wurde aber nach wenigen Jahren einer Entspannungsphase mit einer Politik der USA und ihrer europäischen Bündnispartner konfrontiert, die in unmittelbarer Nachbarschaft ohne Rücksichtnahme auf seine Sicherheitsinteressen machtpolitische Ziele verfolgte und daher als Bedrohung empfunden wurde.
Die Politik der USA und ihrer Bündnispartner hat drei ineinandergreifende Konfliktbereiche entstehen lassen, die heute den Weltfrieden massiv gefährden.
- Die Nato-Osterweiterung
Die Wiederherstellung der deutschen Einheit durch den im September 1990 unterzeichneten »Zwei-Plus-Vier-Vertrag« zwischen der BRD, der DDR und den 4 Siegermächten war an das von den Verhandlungspartnern mehrfach bezeugte Versprechen geknüpft, die Nato würde »nicht einen Zoll näher« an die Grenze der damals noch bestehenden Sowjetunion herangeführt (Brit. Nationalarchiv Aktenfund). Diese Zusage wurde gebrochen, die Nato von 1999 bis 2020 um 14 osteuropäische auf 31 Staaten erweitert. Das Bündnis umfasst eine Streitmacht von 3,46 Mill. Soldaten und 2 Mill. Reservisten. Namhafte USA-Politiker wie McNamara, J. Matlock und G. F. Kennan nannten die Nato-Osterweiterung den »verhängnisvollsten Fehler«. Anfang 2024 trainieren 90 000 Nato-Truppen in unmittelbarer Nähe zur russischen Westgrenze die Abwehr eines fingierten Angriffs russischer Truppen.
- Eindämmung Russlands zur Regionalmacht
Der entscheidende Vorstoß ging von den USA aus, die jene von Z. Brzezinski in seinem Buch »Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft« ab 1996 propagierte Konzeption aufgriffen. Russland sollte nach dem Zerfall der Sowjetunion durch Einbeziehung der Ukraine in das westliche Bündnis weiter geschwächt, die einstige Großmacht Sowjetunion zur Regionalmacht mit eingeschränktem Zugang zu den Weltmeeren eingedämmt werden, sodass die Interessen der USA als einziger verbliebener Ordnungsmacht uneingeschränkt durchgesetzt werden können.
Gestützt auf prowestlich orientierte politische Kräfte und die im Osten des Landes prorussisch eingestellten Positionen zurückdrängend sollte die Einbindung der Ukraine in die EU mittels einer umfassenden Freihandelszone und eines weitreichenden Assoziierungsabkommens vorangebracht werden. Günstige Kredite und Investitionen sollten das Land rasch an westeuropäische Konsum-Standards heranführen. Der Anschluss an das westliche Wirtschaftssystem war quasi an den Austritt der Ukraine aus der Zollunion der GUS geknüpft und die Herauslösung aus gewachsener wirtschaftlicher Verflechtung für Russland daher eine Herausforderung. Bereits 1997 kam es in Madrid zu einem Partnerschaftsvertrag mit der Nato, und 2008 scheiterte in Bukarest die von den USA geforderte rasche Aufnahme der Ukraine in die Nato noch am Einspruch Deutschlands und Frankreichs.
Als die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Janukowitsch und Ministerpräsident Asarow den vorgelegten Vertragsentwurf aufgrund von Mängeln zurückwies, kam es zu dauerhaften Demonstrationen, die auf dem Maidan vom Rechten Sektor unter Beteiligung von Beratern aus der USA-Botschaft geschürt wurden. Bei dem Versuch einer Wiederherstellung der staatlichen Ordnung kam es zur Eskalation. Die Regierung wurde durch einen Staatsstreich gewaltsam vertrieben. Die von den Putschisten in Abstimmung mit den USA ernannte Übergangsregierung unter A. P. Jazenjuk unterzeichnete das Assoziierungsabkommen in der vorliegenden Fassung im März 2014, und der IWF gewährte prompt 12,3 Mrd. Euro Entwicklungshilfe, die zuvor verweigert worden waren. In seinem Buch »Die Wahrheit über den Staatsstreich« (Berlin 2015) stellt Asarow fest: »In der Ukraine wurde 2014 der demokratische Prozess durch die von den USA unterstützte illegale Intervention gestoppt.«
Die zunehmende Aggressivität des Westens veranlasste die Russische Föderation, die Krim der Ukraine zu entziehen. Ein möglicher Zugriff westlicher Bündnisse auf Hafenstädte der Halbinsel wurde dadurch blockiert. Erst 1954 durch ein Dekret von N. Chruschtschow, dem damaligen Generalsekretär der KPdSU, der Ukraine zugeordnet, gehörte die Krim seit der Vertreibung der Osmanen 1783 zu Russland. In einem Referendum entschieden sich im März 2014 95,5 Prozent der Krimbevölkerung für den Anschluss an die Föderation der Republik Russland
- Der ukrainische Nationalismus und Faschismus
Der auf Abgrenzung von Russland ausgerichtete Nationalismus ging von der Westukraine aus, die weitaus stärker in die europäische Entwicklung, teilweise als Bestandteil des Habsburgerreichs, einbezogen war als der Osten des Landes, der in ca. 500 Jahren unter mongolischer und osmanischer Fremdherrschaft seine slawische Identität behauptete. Die voneinander abweichenden Sprachen Ukrainisch und Russisch (etwa wie Holländisch und Deutsch) sind Ausdruck verschiedener kultureller Einflüsse. Auftrieb erhielt der ukrainische Nationalismus am Ende des Ersten Weltkrieges durch Unterstützung der Autonomiebewegung von Deutschland/Österreich, die sich davon eine Schwächung Russlands versprachen. Während des Zweiten Weltkriegs entartete die Bewegung zum ukrainischen Faschismus, indem ungeachtet der Ausplünderung des Landes und der brutalen Kriegsführung der deutschen Wehrmacht ukrainische Hilfskräfte an der massenhaften Ermordung von Juden mitwirkten. Unter General Bandera, in der Westukraine als Nationalheld verehrt, kämpften etwa 300.000 Ukrainer auf Seiten der deutschen Streitkräfte gegen die Rote Armee. In der Ostukraine gilt er als Massenmörder.
Es sind jene rechtsradikalen, russophoben Kräfte, die sich auf ihren Ursprung in der Organisation Unabhängiger Nationalisten OUN und deren Partisanenarmee während des Zweiten Weltkrieges berufen, deren Nachfolger sich 1991 zur Vereinigung Swoboda zusammenschlossen, auf eine ethnische ukrainische Identität abzielend, die Feindschaft zu Russland immer wieder anheizen und auf die politische Führung des Landes maßgeblich Einfluss nehmen,
- so bei der Einschränkung des Russischen – ab 1991 Ukrainisch einzige Amtssprache, ab 2012 in 13 von 27 Regionen wieder zugelassen, ab 2022 aber erneut das Ziel, Russisch durch Reduzierung des Russisch-Unterrichts an Schulen schrittweise zu verdrängen;
- die Regierungskrise 2014 auslösten, als Rechter Sektor mittels paramilitärischer Gruppierungen die gewählte Regierung vertrieben, und sich mit vier Ministern aus der Partei Swoboda in die selbst ernannte Übergangsregierung unter A.P. Jazenjuk einbrachten;
- sich nach 2014 der Umsetzung wesentlicher Beschlüsse der in den Minsker Abkommen I und II getroffenen Vereinbarungen widersetzten, die Gewährung einer teilweisen Selbstverwaltung in den Regionen Lugansk und Donezk verhinderten, was zu einem Bürgerkrieg führte, in dem sich Lugansk und Donezk der Administration der Regierung in Kiew entzogen. Eine jahrelange militärische Auseinandersetzung mit mehr als 13.000 Toten zwischen Selbstverteidigungskräften und der ukrainischen Armee war die Folge.
Nachdem die ukrainische Regierung für 2022 die militärische Rückeroberung der Krim und Unterwerfung der von Russland unterstützten Separatisten im Osten des Landes angekündigt, sich dazu der Unterstützung durch die Nato versichert hatte und selbst die rasche Aufnahme in das Militärbündnis anstrebte, beschloss die Regierung der Russischen Föderation, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Unter Berufung auf Satzungen des Nato-Vertrags vom 4. April 1949 wurde im Dezember 2021 in zwei an die USA gerichteten Vertragsentwürfen die Gewährleistung von Sicherheitsgarantien für Russland gefordert, wie sie ebenso die USA für sich seit jeher beanspruchen. Aus der ablehnenden Haltung der USA folgte für Russland alternativlos die Notwendigkeit zu handeln, bevor im Fall einer Nato-Zugehörigkeit der Ukraine der Bündnisfall eintreten konnte.
Ende Februar 2022 begann Russland gegen die Ukraine in einer auf beide Länder lokal begrenzten militärischen Aktion mit dem Ziel vorzugehen, um die russisch-sprachige Bevölkerung in Lugansk und Donezk vor dem ukrainischen Nationalismus zu schützen. Seitdem stehen sich die beiden slawischen Brudervölker in erbitterter Auseinandersetzung gegenüber. Die Ukraine, den Anschluss an EU und Nato anstrebend, dient dabei vor allem den globalen Interessen der USA, Russland zu schwächen, erhält daher von dort sowie vom Nordatlantischen Bündnis insgesamt massive militärische und finanzielle Unterstützung. Deutschland erweist sich inzwischen als zweitwichtigster Partner zur militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine und nimmt infolge von Milliarden Euro Hilfe an die Ukraine eine Schwächung der eigenen Wirtschaft in Kauf. Die geballte Macht des westlichen Potentials steht gebündelt zur Verfügung. Lediglich die Entsendung von Truppenverbänden des westlichen Bündnisses ist bisher(!), unterblieben da es dazu des Bündnisfalls bedurft hätte, der die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zur Voraussetzung hat, was Russland durch präventives Eingreifen verhindert hat.
Tatsächlich wurde Russland in einer konzentrierten Aktion durch drei Konflikte brüskiert, und so ergibt sich die Frage: Wer ist angesichts der geschilderten Faktenlage und aufgezeigten Kausalzusammenhänge der eigentliche Aggressor im Russland-Ukraine-Konflikt? Es ist an der Zeit, dass Menschen in vergleichbar großen Demonstrationen wie gegen den Rechtsradikalismus auch für so elementare Lebensinteressen wie die Friedenserhaltung gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gehen, seine Beendigung auf dem Verhandlungsweg fordern und durchsetzen, bevor es womöglich zu einer Ausweitung mit schwerwiegenden Folgen für Europa und die Welt kommt. Russland wird sich nicht weiter in die Enge treiben lassen. Für Russland ist die Auseinandersetzung mit der Nato auf dem Territorium der Ukraine eine Überlebensfrage. Wer erwürgt werden soll, wird sich mit aller Kraft wehren, und das könnte für Europa und speziell auch für Deutschland katastrophale Folgen nach sich ziehen.
Adalbert Feltz war bis 1992 Lehrstuhlinhaber Anorganische Chemie in Jena, danach bis 2013 in der Bauelemente-Industrie in Österreich tätig.