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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Tüchtig für den großen Krieg

Die seit 2014 sich ent­wickeln­den mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der Ukrai­ne stei­ger­ten sich im Febru­ar 2022 zum Angriffs­krieg Russ­lands. Weni­ge Tage danach beschwor Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz dar­auf­hin die Zei­ten­wen­de. Ein gewal­ti­ges Hoch­rü­stungs­pa­ket wur­de durch­ge­setzt. Was war das für eine Wen­de der Zei­ten – eine vom Vor­krieg in den gro­ßen Krieg! Wer hat dem Kanz­ler dies eingeredet?

Im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel war noch klar aus­ge­sagt wor­den: Kei­ne Waf­fen­lie­fe­run­gen in Span­nungs­ge­bie­te. Und nun die Wen­de. Es wer­den Waf­fen noch und noch in die Ukrai­ne gelie­fert. Der Kanz­ler habe, so sagt man, 2022 von sei­ner Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz Gebrauch gemacht, den Koali­ti­ons­ver­trag zu bre­chen. Wer gab die neue Richt­li­nie tat­säch­lich vor? In Mili­tär­fra­gen ist es in Deutsch­land immer das Mili­tär selbst, das die Rich­tung angibt. Die »Ver­tei­di­gungs­po­li­ti­schen Richt­li­ni­en« wer­den bekannt­lich von Mili­tärs geschrie­ben, vom Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­um ver­öf­fent­licht und im Kabi­nett zur Kennt­nis genom­men. Im Novem­ber 2023 wur­den sie neu gefasst, Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Pisto­ri­us beglei­te­te sie mit dem Satz: »Deutsch­land muss als bevöl­ke­rungs­reich­stes und wirt­schaft­lich star­kes Land in der Mit­te Euro­pas das Rück­grat der Abschreckung und kol­lek­ti­ven Ver­tei­di­gung Euro­pas sein.«

Schon am Tag des Angriffs Russ­lands auf die Ukrai­ne hat der ober­ste Hee­res­ge­ne­ral, Alfons Mais, ver­kün­det, die Bun­des­wehr ste­he »blank« da. Alle Medi­en brach­ten die­se Behaup­tung groß her­aus und drei Tage spä­ter beschloss der Bun­des­tag, die Bun­des­wehr nicht mehr blank daste­hen zu las­sen: Eine gro­ße Mehr­heit bewil­lig­te einen 100-Mil­li­ar­den-Son­der­fonds und vie­les mehr für die Bun­des­wehr. Und schon im Novem­ber 2020, so fand Lühr Hen­ken vom Kas­se­ler Frie­dens­rat­schlag her­aus und beleg­te es mit genau­en Quel­len­an­ga­ben, hat­te Hee­res­in­spek­teur Alfons Mais klar gemacht: Für das deut­sche Heer wür­de die Anwen­dung der Nato-Ver­pflich­tun­gen bedeu­ten, dass nach zehn Jah­ren Auf­rü­stung 2031 die Ver­dop­pe­lung sei­ner Schlag­kraft her­ge­stellt ist. Der Hee­res­in­spek­teur ergänz­te sei­ne Erklä­rung mit einem kla­ren Ziel: »Die ein­ge­setz­ten Trup­pen müs­sen durch­set­zungs­fä­hig, kriegs­be­reit und sie­ges­fä­hig sein.« Es kom­me auf sieg­rei­che »Lan­des- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung« an, was so viel heißt, wie einen Land­krieg mit Russ­land »erfolg­reich« bestehen zu kön­nen. Denn, so Mais schon Ende 2020, »ein­satz­be­rei­te Kräf­te allein genü­gen nicht: Wir müs­sen ein­stecken, wie­der auf­ste­hen, gegen­hal­ten und letzt­end­lich gewin­nen kön­nen!« Und: »Noch­mal: Ziel des Hee­res ist Kriegstüchtigkeit.«

Da ist es schon, das Wort, das der Mini­ster Pisto­ri­us seit einem hal­ben Jahr eif­rig repe­tiert – es ist kein neu­er Ansatz, die poli­ti­sche For­de­rung nach »Kriegs­tüch­tig­keit« nach innen und nach außen, sie wur­de lan­ge und sorg­fäl­tig vorbereitet.

Von der ent­stan­de­nen Situa­ti­on kann nur die Rüstungs­in­du­strie pro­fi­tie­ren. Wir alle bezah­len für die­se Kano­nen-statt-But­ter-Poli­tik, die längst im Gan­ge war, bevor Russ­land die Ukrai­ne angriff. Um Frie­den und sozia­le Sicher­heit zu errei­chen, müs­sen Män­ner wie Pisto­ri­us und Mais gebremst werden.

Wie kam es zu der heu­ti­gen Situa­ti­on? Sie ist nicht zuletzt das Ergeb­nis eines Bruchs des Ver­tra­ges zum Bei­tritt der DDR zum Gel­tungs­be­reich des Grund­ge­set­zes. Er ver­langt von den Signa­tar­staa­ten, eine Frie­dens­ord­nung auf­zu­bau­en, in der die Sicher­heits­in­ter­es­sen »eines jeden«, also auch der Sowjet­uni­on, respek­tiert wer­den. Die Ent­schei­dung der Nato, sich den­noch nach Osten aus­zu­deh­nen, wur­de schon von Micha­el Gor­bat­schow scharf ver­ur­teilt. Wla­di­mir Putins Aus­sa­gen über die rus­si­sche Bereit­schaft zu Gesprä­chen wur­den nicht ernst genom­men. Heu­te lau­tet das herr­schen­de Nar­ra­tiv, Russ­land exer­zie­re in der Ukrai­ne einen impe­ria­li­sti­schen Angriffs­krieg aus Macht­in­ter­es­sen, und wenn wir es nicht zurück­schla­gen, steht es bald vor Ber­lin oder gar am Rhein.

Wer das behaup­tet, hat wohl nie auf die Rüstungs­ver­gleichs­zah­len von Nato und Russ­land geschaut. Die­se hat Lühr Hen­ken recher­chiert. Gegen­über der Nato ist Russ­land in einer schwä­che­ren Posi­ti­on. Russ­land gab 2014, dem Jahr der Kri­se um die Krim und den Krieg im Russ­land-nahen Don­bas, knapp 85 Mil­li­ar­den Dol­lar für Rüstung aus, im letz­ten Jahr vor dem Ukrai­ne-Krieg, also 2021, nur noch 66 Mil­li­ar­den; die Nato 2014 elf­mal so viel, im letz­ten Jahr vor dem Krieg sogar das 18fache wie Russ­land. Die Nato hat­te damals allein zwei Mil­lio­nen Sol­da­ten in Euro­pa, Russ­land nur 540.000. Die­se Zah­len wer­den uns verschwiegen.

Was die Mili­tärs kom­plett aus­blen­den, ist das nuklea­re und kon­ven­tio­nel­le unglei­che Kräf­te­ver­hält­nis in Euro­pa. Im nuklea­ren Bereich gab es bis­her auf der stra­te­gi­schen Ebe­ne zwi­schen den USA und Russ­land ein Gleich­ge­wicht: Das soll sich nach US-Vor­stel­lun­gen ändern.

Im kon­ven­tio­nel­len Bereich herrscht ein immenses Ungleich­ge­wicht zugun­sten der Nato auch im Ver­gleich zum öst­li­chen Bünd­nis OVKS, das neben Russ­land aus Arme­ni­en, Bela­rus, Kasach­stan, Kir­gi­stan und Tadschi­ki­stan besteht. Die Nato unter­hielt 2022 das Dop­pel­te an Kampf­pan­zern im akti­ven Dienst, ver­füg­te über fast 90 Pro­zent mehr an gepan­zer­ten Kampf­fahr­zeu­gen, hat­te das 3,8fache an Kampf­flug­zeu­gen und das 5,3fache an Kampf­he­li­ko­ptern akti­viert. Und zudem ver­füg­te die Nato über das 7,7fache an hoch­see­gän­gi­gen Über­was­ser­kampf­schif­fen und das 2,7fache an tak­ti­schen U-Booten.

Und neben­bei: Allein die Zahl der in Euro­pa 2022 sta­tio­nier­ten 3,3 Mil­lio­nen Nato-Sol­da­ten unter Waf­fen war damit fast drei­mal so hoch wie die Zahl aller rus­si­schen Sol­da­ten. Auch wirt­schaft­lich ist der Unter­schied gra­vie­rend: fast 24 zu 1 zugun­sten der Nato-Län­der. Russ­land ver­sucht, sei­ne Unter­le­gen­heit bei kon­ven­tio­nel­len Waf­fen und Sol­da­ten durch tak­ti­sche Nukle­ar­waf­fen aus­zu­glei­chen. Es hat bereits ange­kün­digt, bei einem Angriff mit einem ato­ma­ren Gegen­schlag zu antworten.

Hier braut sich Unheil zusam­men. Es drängt sich die For­de­rung auf, zur Auf­recht­erhal­tung eines stra­te­gi­schen Gleich­ge­wichts Rüstungs­kon­troll- und Abrü­stungs­ver­hand­lun­gen zwi­schen Nato und Russ­land in Angriff zu neh­men. Jedoch: CDU/​CSU, FDP und AFD tre­ten für die Bei­be­hal­tung und Aus­wei­tung der deut­schen »nuklea­ren Teil­ha­be« und damit den Kauf neu­er Atom­bom­ber für die Bun­des­wehr ein. Uni­on und AfD sind zudem dafür, die Wehr­pflicht mit all ihren Leben bedro­hen­den und mas­sen­haft Geld ver­schlin­gen­den Funk­tio­nen wie­der ein­zu­füh­ren, wozu Oberst­leut­nant a. D. Jür­gen Rose die nöti­gen war­nen­den Wor­te fand (sie­he Ossietzky 9/​24).

Lühr Hen­ken kommt zu dem Schluss: Kei­ne Atom­bom­ber für die Bun­des­wehr! Abrü­sten statt Auf­rü­sten! Für uns muss es dar­um gehen, über die­se kost­spie­li­ge, unsin­ni­ge und lebens­ge­fähr­li­che Hoch­rü­stung auf­zu­klä­ren und Men­schen für das Ziel »Abrü­sten statt Auf­rü­sten!« dau­er­haft zu mobi­li­sie­ren, um die­sem Wahn­sinn einen Rie­gel vorzuschieben.

Die Aus­sa­gen von Gene­ral­leut­nant Mais fand Lühr Hen­ken in einer Grund­satz­re­de von Hee­res­in­spek­teur Gene­ral Alfons Mais am 4. Novem­ber 2020 vor dem För­der­kreis Deut­sches Heer e. V.