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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Traditionspflege am Bau

In der Stadt­sil­hou­et­te kön­nen archi­tek­to­nisch gestal­te­te Bau­wer­ke »feste Anker­punk­te« sein. Die­se Fest­stel­lung des Köl­ner Stadt­kon­ser­va­tors im aktu­el­len Monats-Maga­zin des Deutsch­land­funks gilt ganz all­ge­mein für Kul­tur­denk­mä­ler und Bau­ten, die vom Gesetz­ge­ber unter Denk­mal­schutz gestellt wur­den. Sie gilt aber eben­so für archi­tek­to­nisch gestal­te­te Bau­wer­ke, die im Krieg schwer beschä­digt wur­den. Und selbst dann, wenn es sol­che Gebäu­de nicht mehr gibt, weil sie ent­we­der vor dem Hin­ter­grund eines ande­ren Umgangs mit der frü­he­ren Geschich­te gesprengt wur­den, um neu­es Leben aus den Rui­nen auf­er­ste­hen zu las­sen, oder weil sie, wie jüdi­sche Syn­ago­gen in der NS-Zeit, aus Hass gänz­lich dem Erd­bo­den gleich­ge­macht wur­den, kann die Erin­ne­rung zu solch einem »Anker­punkt« werden.

Wenn dann die­se Bau­wer­ke, sei es aus pro­fa­nen, sei es aus reli­giö­sen Grün­den, wie­der auf­ge­baut wer­den sol­len, viel­leicht gar im »alten Glanz« als neue feste Anker­punk­te, dann stellt sich sofort die Fra­ge, was da »ver­an­kert« wer­den soll. Und von wem. Und war­um. Am Bei­spiel des geplan­ten Wie­der­auf­baus der Born­platz­syn­ago­ge in Ham­burg habe ich vor drei Jah­ren in Ossietzky die teil­wei­se erbit­tert und kon­trär geführ­te Dis­kus­si­on inner­halb der jüdi­schen Gemein­den der Stadt um den Pro­zess des Wie­der­auf­baus, um das Ja oder Nein zu einer histo­ri­schen Rekon­struk­ti­on, beschrie­ben (Aus­ga­be 3/​2021).

Noch viel erbit­ter­ter wur­de in der deut­schen Öffent­lich­keit in den letz­ten Jahr­zehn­ten der Wie­der­auf­bau histo­ri­scher Sym­bol­bau­ten dis­ku­tiert, egal, ob ein histo­ri­sches Bewusst­sein, die Repa­ra­tur von Stadt­raum oder die frü­he­re archi­tek­to­ni­sche Schön­heit Aus­lö­ser des Ansin­nens waren. »Bau­en am natio­na­len Haus. Archi­tek­tur als Iden­ti­täts­po­li­tik« hat der in Ber­lin leben­de Archi­tekt und Publi­zist Phil­ipp Oswalt sein im Dezem­ber 2023 im Beren­berg Ver­lag erschie­ne­nes Buch genannt, in dem er »die Hin­ter­grün­de der Debat­te erforscht«, wie der Ver­lag schreibt.

Oswalt prä­sen­tiert Fall­bei­spie­le: die Gar­ni­son­kir­che Pots­dam (»Wie­der­auf­bau zwi­schen mili­tä­ri­scher Tra­di­ti­ons­pfle­ge, pro­te­stan­ti­scher Erin­ne­rungs­kul­tur und Rechts­extre­mis­mus«), das Ber­li­ner Schloss (»Die Fik­ti­on einer unpo­li­ti­schen Ortho­do­xie«), die Neue Alt­stadt Frank­furt am Main (»Restau­ra­ti­ve Schi­zo­phre­nie«), die Pauls­kir­che Frank­furt (»Ist eine erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Revi­si­on nötig?«), die Neu­en Mei­ster­häu­ser Des­sau (»Auf der Suche nach der Authen­ti­zi­tät«). Der fach­li­che Hin­ter­grund des Ver­fas­sers ist dabei beacht­lich und beach­tens­wert: Oswalt war unter ande­rem Lei­ter des Pro­jekts »Schrump­fen­de Städ­te« der Kul­tur­stif­tung des Bun­des und Direk­tor der Stif­tung Bau­haus Des­sau. Seit 2006 lehrt er als Pro­fes­sor für Archi­tek­tur­theo­rie und Ent­wurf an der Uni­ver­si­tät Kassel.

Seit den 1990er Jah­ren schreibt er in sei­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen über sein »wach­sen­des Unbe­ha­gen, wie in Debat­ten um Archi­tek­tur und Städ­te­bau kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nen mit essen­tia­li­sti­schen Fik­tio­nen von Geschich­te, Iden­ti­tät, Her­kunft und Tra­di­ti­on argu­men­tie­ren und jen­seits von nach­voll­zieh­ba­ren Qua­li­täts­kri­te­ri­en ihrer Ideo­lo­gie ent­spre­chen­de Pro­jek­te pro­pa­gie­ren und davon abwei­chen­de dif­fa­mie­ren«. Und wei­ter: »Das Unbe­ha­gen ist ein dop­pel­tes: zum einen ein fach­li­ches in Hin­sicht auf die Qua­li­tät von Archi­tek­tur und Städ­te­bau, zum ande­ren ein geschichts­po­li­ti­sches bezüg­lich des Ver­ständ­nis­ses von Geschich­te.« Denn: »Die ideo­lo­gi­sche Auf­la­dung die­ser Geschichts­kon­struk­tio­nen und deren zuneh­mend ortho­do­xe und anti­li­be­ra­le Pro­pa­gie­rung haben im deut­schen Kon­text eine beson­de­re Brisanz.«

Bei­spiel Pots­da­mer Gar­ni­son­kir­che. Ihr Turm wur­de seit 2017 wie­der auf­ge­baut, unter der Schirm­herr­schaft des Bun­des­prä­si­den­ten und über­wie­gend aus öffent­li­chen Mit­teln. Oswalts Kri­tik, zusam­men­ge­fasst: Die­ser Bau stand von Anfang an für die enge Ver­bin­dung von mon­ar­chi­sti­schem Staat, Kir­che und Mili­tär. Die Kir­che avan­cier­te zum bedeu­ten­den Sym­bol des preu­ßisch-deut­schen Natio­nal­pro­te­stan­tis­mus, der mit bel­li­zi­sti­schem, demo­kra­tie­feind­li­chem und völ­ki­schem Gedan­ken­gut ver­bun­den war. Die Kir­che war der Iden­ti­fi­ka­ti­ons­ort für die anti­de­mo­kra­ti­schen und rechts­extre­men Kräf­te der Wei­ma­rer Repu­blik. Und: »Initi­iert und über drei­ßig Jah­re vor­an­ge­trie­ben hat (das Wie­der­auf­bau­pro­jekt) ein Bun­des­wehr­of­fi­zier, des­sen rechts­extre­me Ori­en­tie­rung bald nicht mehr zu über­se­hen war.«

Bei­spiel Ber­li­ner Schloss. Der Nach­bau der ein­sti­gen Hohen­zol­lern­re­si­denz in »histo­risch getreu­er Rekon­struk­ti­on« wur­de 2002 mit Zwei­drit­tel­mehr­heit vom Deut­schen Bun­des­tag beschlos­sen, obwohl sich die Ber­li­ne­rin­nen und Ber­li­ner »in Umfra­gen wie­der­holt mehr­heit­lich gegen den Schloss­nach­bau aus­spra­chen«. Der Beschluss fiel unter kräf­ti­ger Für­sor­ge des Bun­des­kanz­lers Ger­hard Schrö­der. Die­ser wird von Oswalt mit dem Aus­spruch zitiert: »Wenn man an die­sem histo­ri­schen Ort dem Volk was für die See­le gibt, kann das außer­or­dent­lich befrie­dend und damit auch befrie­di­gend sein.« Heu­te umschließt die neue Schloss­fas­sa­de das Hum­boldt Forum.

Pri­va­te Spen­der unter­stütz­ten den Wie­der­auf­bau, nur mit ihrer Hil­fe konn­ten auch Kup­pel und Kreuz rea­li­siert wer­den. Oswalt nennt als Groß­spen­der den Pri­vat­ban­kier Ehr­hardt Bödecker, »ein rechts­ra­di­ka­ler Preu­ßen­fan, der sich gele­gent­lich auch anti­se­mi­tisch geäu­ßert hat­te«; er nennt die Unter­neh­mer­wit­we Inga Maren Otto, deren ver­stor­be­ner Gat­te wie­der­um dem schon erwähn­ten »rechts­ra­di­ka­len Bun­des­wehr­of­fi­zier Max Kla­ar drei Mil­lio­nen D-Mark für den Wie­der­auf­bau der Gar­ni­son­kir­che Pots­dam zuge­sagt hat­te«; er nennt den Groß­spen­der Hein­rich Weiss, »des­sen Fir­ma auf sei­nen Vater Bern­hard Weiss zurück­geht, der als Nef­fe des Groß­in­du­stri­el­len Fried­rich Flick in den Nürn­ber­ger Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­sen wegen sei­ner Tätig­keit für des­sen Kon­zern ver­ur­teilt wor­den war«; er ver­weist dar­auf, dass der Unter­neh­mer Rudolf-August Oet­ker, des­sen Fami­lie und Fir­ma das NS-Regime unter­stütz­ten, mit einem Por­trät­re­li­ef im Schloss geehrt wird. Und so wei­ter und so fort, bis hin zu Unter­stüt­zern mit Nähe zur AfD. Als einer der Ersten hat Oswalt auf die­se Ver­knüp­fun­gen, die­ses Netz­werk hingewiesen.

Oswalt: »Das Hum­boldt Forum gilt als wich­tig­stes deut­sches Kul­tur­pro­jekt seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung und als zen­tra­ler Sym­bol­bau für die Haupt­stadt des wie­der­ver­ein­ten Deutsch­lands. Sinn und Sen­si­bi­li­tät für die Sym­bol­funk­ti­on des Baus gin­gen nach Auf­lö­sung der Exper­ten­kom­mis­si­on ver­lo­ren. Seit­dem hat sich die Kul­tur- und Bau­po­li­tik des Bun­des auf eine geschichts­po­li­ti­sche Gei­ster­fahrt bege­ben und es einer Grup­pe mit frag­wür­di­gem Gedan­ken­gut über­las­sen, maß­geb­lich Ein­fluss auf die Aus­ge­stal­tung des Pro­jek­tes zu nehmen.«

Wenn Sie mehr wis­sen wol­len über das »Ein­sickern reak­tio­nä­rer Ver­gan­gen­heits­in­ter­pre­ta­tio­nen und iden­ti­täts­po­li­tisch unter­leg­ter Ideo­lo­gien in die zeit­ge­nös­si­sche Stadt­pla­nung«, auch im Hin­blick auf die ande­ren Fall­bei­spie­le, dann soll­ten Sie zu die­sem Buch greifen.

 Phil­ipp Oswalt: Bau­en am natio­na­len Haus. Archi­tek­tur als Iden­ti­täts­po­li­tik, Vor­wort vom Schrift­stel­lers Max Czol­lek, Beren­berg Ver­lag, Ber­lin 2023, 240 S., 22 €.