Der Atomwaffenverbotsvertrag der UNO wird am 22. Januar 2021 in Kraft treten. Atomwaffen werden damit, wie bereits Chemie- und Bio-Waffen, endlich völkerrechtlich geächtet.
Nach jahrelangen Konsultationen stimmten am 7. Juli 2017 122 von 193 UN-Staaten für die Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrags. Maßgeblich beteiligt an den Vorverhandlungen war die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die dafür im selben Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Bis Ende 2020 wurde der Verbotsvertrag von 86 Staaten unterzeichnet. Um rechtlich bindend zu werden, benötigte er 50 Ratifizierungen. Dieser Meilenstein wurde bereits am 24. Oktober 2020 erreicht. Er steht für den Willen der Menschheit, ohne Atomwaffen leben zu wollen. Er stellt sich der perversen Logik der nuklearen Abschreckung in den Weg – der zugesicherten gegenseitigen Vernichtung.
Diese Option war immer mehr als ein Schreck, ihr liegen allzu realistische Szenarien zugrunde. Schließlich haben Forscher herausgefunden, dass Menschen die einzigen Lebewesen sind, die genetisch keine Blocker gegen Aggressivität haben, also die einzigen, die zur Selbstauslöschung fähig sind. Sie sind aber gottlob auch die einzigen, die keine Begrenzung für Kreativität haben. Hölderlins »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch« ist in dieser paradoxen Gedankenwelt allerdings mehr Hoffnung als Garantie: Ein Atomkrieg wird verhindert, indem dieser angedroht wird. Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter. Abschreckung bleibt dabei Spekulation, die sich darauf verlässt, dass der Gegner rational handelt und Missverständnisse (»Fehlalarme«) auszuschließen sind.
Der UN-Vertrag verbietet den Teilnehmerstaaten nun, Atomwaffen zu testen, zu entwickeln, zu produzieren, zu besitzen, weiterzugeben, zu stationieren, damit zu drohen und, natürlich, sie einzusetzen. Er verbietet auch, andere Staaten zu solchen Aktivitäten zu bewegen. Er lässt keine Hintertür. Zu den Unterzeichnern gehören vorwiegend Staaten aus Lateinamerika, der Karibik, aus Afrika, Südostasien und der Pazifikregion – oft aus Gegenden, die einst durch überirdische Tests schwer belastet wurden. Nach Schätzungen der Organisation »Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW) sind zwischen 1945 und 1980 etwa 2,4 Millionen Menschen infolge von oberirdisch durchgeführten Atomwaffentests gestorben. Allein die 23 infernalischen Tests, welche die USA bis 1958 auf dem Bikini-Atoll durchführten, haben die Inseln bis heute unbewohnbar gemacht. Dass Japan sich dem Verbot von Atomwaffen nicht angeschlossen hat, gehört zum Aberwitz dieser Welt. Dass auch alle Atom-Mächte dagegen sind, überrascht nur in deren Rigorosität.
Nun wurde am 15. Dezember 2020 eine Erklärung des Nato-Rates zum Atomwaffenverbotsvertrag veröffentlicht, in der die 30 Nato-Staaten ihn bedingungslos ablehnen. In der Erklärung heißt es: »Wir akzeptieren kein Argument, dass der Verbotsvertrag die Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts widerspiegelt oder in irgendeiner Weise dazu beiträgt.« Das ist ein eklatanter Affront der Nato gegenüber der UN-Gemeinschaft.
Die Atommächte argumentieren, dass der Vertrag das Konzept der nuklearen Abschreckung delegitimiere, die aktuelle weltpolitische Lage aber keine absolute Ächtung von Atomwaffen erlaube. Vorzuziehen sei ein diplomatischer Schritt-für-Schritt-Ansatz, wie ihn der (weniger konsequente und für Kündigung und Verstöße offene) Atomwaffensperrvertrag verfolgte. Dieser gelobte Ansatz erlaubt es, dass derzeit umfassende nukleare »Modernisierungsprogramme« das Wettrüsten anheizen. Die Beschaffung neuer Trägersysteme und neuer taktischer Nuklearsprengköpfe ist in Vorbereitung. Konkrete Abrüstungsvorschläge liegen nicht vor, und über die Verlängerung des New START-Vertrages verhandeln die Vertragspartner USA und Russland seit Juni 2020 bislang vergeblich. Er wird in der Nato-Erklärung nicht einmal erwähnt. Die Gespräche werden durch die US-amerikanische Forderung belastet, China in die nukleare Rüstungskontrolle einzubeziehen. Sowohl Peking als auch Moskau lehnen diese Verkoppelung ab. Chinas atomare Rüstung ist vergleichsweise klein. Sollte New START ohne Verlängerung auslaufen, stünde die Welt zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert ohne eine vertraglich bindende Begrenzung der beiden größten Atomarsenale der Welt da.
Laut dem Jahresbericht des unabhängigen »Stockholm International Peace Research Institute« (SIPRI) existieren weltweit noch 13.400 Atomsprengköpfe. Alle Atomwaffenstaaten modernisieren ihre Arsenale kontinuierlich. Dabei geben die USA etwa so viel aus wie die anderen acht Nuklearmächte zusammen.
Nun kommt es auf breitgestreute, zivilgesellschaftliche Aktivitäten an. Die Sehnsucht nach einer atomwaffenfreien Welt gibt es, seit die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen. 500 Millionen Menschen aus 75 Ländern, überwiegend aus den sozialistischen, unterschrieben 1950 den Stockholmer Friedensappell. Als erster unterzeichnete Frédéric Joliot Curie. Im Kalten Krieg wurden Initiativen für Frieden schnell als kommunistisch denunziert. Das wenigstens funktioniert nicht mehr.
Selbst 40 Finanzinstitute weltweit haben sich seit dem Beschluss der UN-Generalversammlung von 2017 verpflichtet, keine A-Waffen zu finanzieren. Im September 2020 forderten in einem Offenen Brief 56 ehemalige Präsidenten, Premierminister und Minister aus 20 Nato-Staaten – darunter zwei ehemalige Nato-Generalsekretäre –den Beitritt der Nato zum Atomwaffenverbotsvertrag. So auch das globale Bündnis ICAN, das 570 Partnerorganisationen aus 100 Ländern vereint. »Es ist absurd, 138.699 US-Dollar pro Minute für Waffen auszugeben, die katastrophales menschliches Leid verursachen, anstatt diese Summen in die Gesundheit der Bürger zu investieren«, kritisiert die Geschäftsführerin von ICAN, Beatrice Fihn. Ein Bekenntnis, das in unterversorgten Pandemie-Zeiten von besonderer Eindringlichkeit ist. Als wichtige Unterstützung gilt der ICAN-Städteappell – sind doch Großstädte erste Angriffsziele von Atomwaffen. Los Angeles, Manchester, Sydney und viele andere haben an ihre Regierungen appelliert, dem Verbotsvertrag beizutreten. Allein in Deutschland haben sich über 100 Städte, Gemeinden und Landkreise dem Appell angeschlossen. So auch vier Bundesländer: Bremen, Berlin, Hamburg und Rheinland-Pfalz.
Denn natürlich hat auch Deutschland in seiner Nato-Vasallentreue die Ablehnung des Verbotsvertrages mitbeschlossen. Das ist angesichts der breiten Zustimmung im In- und Ausland ignorant und unproduktiv. In einer von Greenpeace initiierten Umfrage, ob Deutschland den UN-Vertrag für ein weltweites Atomwaffenverbot unterschreiben sollte, antworteten 92 Prozent der Bundesbürger mit Ja. (So viel zum Thema Repräsentative Demokratie.)
Statt auf ihre Bürger zuzugehen, wurden diese von Regierungsvertretern dahingehend belehrt, dass eine Abkehr Deutschlands von der »Bündnissolidarität« und damit von nuklearer Teilhabe die »Allianz als Stabilitätsanker« schwer erschüttern würde. Der atomstrotzende Stabilitätsanker – absurd. Auf eine Anfrage der Linksfraktion bestätigte die Bundesregierung im letzten Jahr, dass Deutschland trotz nuklearer Teilhabe eine Entscheidung des US-Präsidenten, Nuklearwaffen einzusetzen, nicht verhindern könnte.
Gerade viele junge Leute haben verstanden, dass Klimabewegung und Friedensbewegung zusammengehören. In einem 64-seitigen Positionspapier hat die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen jetzt eine öffentliche Grundsatzdebatte mit der Zivilgesellschaft und besonders der Jugend gefordert. Politiker werden aufgefordert, die schon allein durch die Stationierung und Modernisierung der A-Waffen resultierenden Konsequenzen für Menschen und Tiere, für Natur und Klima transparent zu machen. Sie fordern, sich von der nuklearen Abschreckung zu distanzieren und begründen, warum eine atomwaffenfreie Welt alternativlos ist: »There Is No Alternative«. Ausnahmsweise tatsächlich: TINA.