Die britisch-amerikanisch-polnische Koproduktion The Zone of Interest (2023, deutscher Kinostart 29. Februar 2024) mit Sandra Hüller und Christian Friedel in den Hauptrollen ist ein großartiges Film-Kunstwerk und zu Recht als bester internationaler Film ausgezeichnet, auch wenn das Massen-Publikum in den Kinos ausbleibt. Was hier zu sehen und zu hören ist, was diesen Schauspielern unter der Regie von Jonathan Glazer auf überzeugende Weise gelang, liegt eben auch außerhalb der Zone des Interesses.
Was ist es denn, was allgemein interessiert? Woher die Rohstoffe kommen für unsere Luxusprodukte und auf welche Weise sie gewonnen wurden, woher die preiswerten Lebensmittel und Klamotten in unseren Konsumtempeln stammen, die Gewinne der Banken und Unternehmen, durch die alle irgendwie mit profitieren, was in den Kriegsgebieten passiert und in den Hungerzonen, wie viele Menschen täglich verdursten oder verrecken oder im Mittelmeer ertrinken, was alles schon durch die Klimakatastrophe vernichtet wurde, wie viele Arten täglich aussterben und wie viele Bäume vertrocknen, was geschieht, wenn die Büchse der Pandora wirklich einmal aufgemacht wird, weil ein verrückt gewordener Diktator auf einen der Roten Knöpfe drückt? Von denen es so schrecklich viele gibt, von den Knöpfen und den Diktatoren.
Glazers Film verzichtet bewusst darauf, eines der erfolgreichen Standard-Konzepte zu bedienen. Er hat keine Handlung. Vom ersten Bild an verweigert er konsequent jede Möglichkeit zu irgendeiner Form von Empathie. Was gezeigt wird, scheinbar banal in seiner Alltäglichkeit, ist auf verstörende Weise abstoßend. Ein Pelzmantel wird anprobiert, in der Tasche findet sich noch ein Lippenstift der Vorbesitzerin, den die neue Eigentümerin vor dem Spiegel prüft und nüchtern in die Schublade legt zu späterem Gebrauch. Die Zentralheizung wird als Errungenschaft vorgeführt, während der Schornstein drüben im Lager unablässig furchtbaren Qualm und lodernde Flammen in den Himmel speit. Eine Lieferung von Lebensmitteln aus dem Lager wird in der Speisekammer verstaut, Kuchen und Torten aus diesen Zutaten werden probiert. Im Garten wird Asche zur Düngung der Blumen untergegraben. Am Swimmingpool mit seinem grauenhaften Duschkopf feiern die Kinder eine Sommer-Party. Die Frau des Lagerkommandanten genießt und verteidigt die Dinge, die ihr Leben reich und angenehm machen. Es muss ihr nur gelingen auszublenden, was hinter der Mauer geschieht, so eindringlich es sich auch vernehmbar macht. Und dazu ist sie unter allen Umständen bereit.
Der Film wurde an Original-Schauplätzen in Polen gedreht. Das Drehbuch ist eine freie Adaption des gleichnamigen Romans The Zone of Interest (2014) des britischen Schriftstellers Martin Amis (1949 – 2023). Dargestellt wird das Alltagsleben von Hedwig Höß, der Frau des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, die sich um ihre Familie und ihren Haushalt kümmert und ihren Traum von einem Haus mit Garten hartnäckig gegen jeden Angriff verteidigt, besonders gegen die Realität, die sich auf unerträgliche Weise ständig bemerkbar macht. Auch der Ort ist konkret, es handelt sich um das Kommandantenhaus neben dem Vernichtungslager Auschwitz, das für den Film nachgebaut wurde. Die Verbrechen, die hier verübt wurden, sind beispiellos in der Geschichte der Menschheit. Der kleine Gebirgsfluss, der vorbeiströmt, die Sola, ein Nebenfluss der Weichsel, wird zu einem furchtbaren Schicksalssymbol. Beim Angeln, barfuß im Fluss watend, findet der Lagerkommandant das Gebiss eines der Mordopfer. Fluchtartig verlässt er den Ort, die Kinder, die im Wasser gespielt hatten, werden zu Hause gründlich abgeschrubbt. Sich selbst wäscht er das Gemächt, nachdem er eine junge Frau missbraucht hat. Als ließe sich Schuld abwaschen. Angesichts des rasch strömenden Flusses erklärt ihm seine Frau, dass sie ihr Spießer-Idyll um keinen Preis aufgeben will. Weil es ihr mehr bedeutet als alles andere, die Partnerschaft eingeschlossen.
Die Frage ist, wie kriegt man diese schreienden Kontraste in einer Person zusammen. Diese Aufgabe, vielleicht die schwerste für eine Schauspielerin, ist Sandra Hüller auf überzeugende Weise gelungen: die abstoßende Banalität des Bösen zu verkörpern, eine Unsympathin zu spielen, die ihr kleines Wohlstandsglück sogar angesichts eines beispiellosen Menschheitsverbrechens mit allen Mitteln verteidigt. Sie ist nicht naiv, sie weiß, was ihr Mann tut. Gefährlich droht sie ihren Dienstmädchen mit ihrer tödlichen Macht. Ihr ist bewusst, woher ihr Luxus kommt und was ihre Gegenleistung dafür ist. Aber nicht die Perspektive der Täter wird durch dieses Filmkunstwerk nachempfunden wie etwa in Jonathan Littells Buch Les Bienveillantes (2006, deutsch u. d. T. Die Wohlgesinnten, 2008), sondern die der Dulder und Schmarotzer. Was ist der Gewinn von Littells unerträglich grausamen Fiktionen des Mordens? Warum schlüpft eine Schauspielerin wie Corinna Harfouch in die Rolle der Magda Goebbels (Der Untergang, 2005), die ihre Kinder auf unbarmherzige Weise tötet, weil sie sich ein Leben ohne den Nationalsozialismus nicht vorstellen kann? Frazers Film ermöglicht einen ganz anderen Blick auf die Geschichte.
The Zone of Interest arbeitet auf zwei konkurrierenden Ebenen. Durch eine komplexe, mit großem Aufwand und Sachverstand geschaffene Klanglandschaft (auch für das Sound Design gab es einen Oscar) wird die Ebene der Bilder als verlogene Scheinwelt entlarvt. Schon im Vorspann wird das Gehör sensibilisiert für Hintergründiges und Zwischentöne. Man muss viel Geduld haben, diesen Film bis zum Ende anzusehen und anzuhören und wird am Ende nicht dafür belohnt. Es gibt keine Genugtuung, keine Wiedergutmachung, keinerlei Trost, auch wenn schließlich die Konsequenzen der Geschichte auf erlösende Weise angedeutet werden. Die Realität lässt sich nicht durch eine Mauer aussperren. Es hilft nichts, die schrecklichen Verbrechen auszublenden. Der grauenhafte Schornstein raucht, auch wenn die Gardinen zugezogen sind. Der Film ist kein Remake von Theodor Kotullas Verfilmung Aus einem deutschen Leben (1977) von Robert Merles Roman La mort est mon métier (1952, deutsch u. d. T. Der Tod ist mein Beruf, 1957). The Zone of Interest ist eine Parabel darauf, wie wir alle leben – oder besser: wie wir auf keinen Fall leben sollten.