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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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The Zone of Interest

Die bri­tisch-ame­ri­ka­nisch-pol­ni­sche Kopro­duk­ti­on The Zone of Inte­rest (2023, deut­scher Kino­start 29. Febru­ar 2024) mit San­dra Hül­ler und Chri­sti­an Frie­del in den Haupt­rol­len ist ein groß­ar­ti­ges Film-Kunst­werk und zu Recht als bester inter­na­tio­na­ler Film aus­ge­zeich­net, auch wenn das Mas­sen-Publi­kum in den Kinos aus­bleibt. Was hier zu sehen und zu hören ist, was die­sen Schau­spie­lern unter der Regie von Jona­than Gla­zer auf über­zeu­gen­de Wei­se gelang, liegt eben auch außer­halb der Zone des Interesses.

Was ist es denn, was all­ge­mein inter­es­siert? Woher die Roh­stof­fe kom­men für unse­re Luxus­pro­duk­te und auf wel­che Wei­se sie gewon­nen wur­den, woher die preis­wer­ten Lebens­mit­tel und Kla­mot­ten in unse­ren Kon­sum­tem­peln stam­men, die Gewin­ne der Ban­ken und Unter­neh­men, durch die alle irgend­wie mit pro­fi­tie­ren, was in den Kriegs­ge­bie­ten pas­siert und in den Hun­ger­zo­nen, wie vie­le Men­schen täg­lich ver­dur­sten oder ver­recken oder im Mit­tel­meer ertrin­ken, was alles schon durch die Kli­ma­ka­ta­stro­phe ver­nich­tet wur­de, wie vie­le Arten täg­lich aus­ster­ben und wie vie­le Bäu­me ver­trock­nen, was geschieht, wenn die Büch­se der Pan­do­ra wirk­lich ein­mal auf­ge­macht wird, weil ein ver­rückt gewor­de­ner Dik­ta­tor auf einen der Roten Knöp­fe drückt? Von denen es so schreck­lich vie­le gibt, von den Knöp­fen und den Diktatoren.

Gla­zers Film ver­zich­tet bewusst dar­auf, eines der erfolg­rei­chen Stan­dard-Kon­zep­te zu bedie­nen. Er hat kei­ne Hand­lung. Vom ersten Bild an ver­wei­gert er kon­se­quent jede Mög­lich­keit zu irgend­ei­ner Form von Empa­thie. Was gezeigt wird, schein­bar banal in sei­ner All­täg­lich­keit, ist auf ver­stö­ren­de Wei­se absto­ßend. Ein Pelz­man­tel wird anpro­biert, in der Tasche fin­det sich noch ein Lip­pen­stift der Vor­be­sit­ze­rin, den die neue Eigen­tü­me­rin vor dem Spie­gel prüft und nüch­tern in die Schub­la­de legt zu spä­te­rem Gebrauch. Die Zen­tral­hei­zung wird als Errun­gen­schaft vor­ge­führt, wäh­rend der Schorn­stein drü­ben im Lager unab­läs­sig furcht­ba­ren Qualm und lodern­de Flam­men in den Him­mel speit. Eine Lie­fe­rung von Lebens­mit­teln aus dem Lager wird in der Spei­se­kam­mer ver­staut, Kuchen und Tor­ten aus die­sen Zuta­ten wer­den pro­biert. Im Gar­ten wird Asche zur Dün­gung der Blu­men unter­ge­gra­ben. Am Swim­ming­pool mit sei­nem grau­en­haf­ten Dusch­kopf fei­ern die Kin­der eine Som­mer-Par­ty. Die Frau des Lager­kom­man­dan­ten genießt und ver­tei­digt die Din­ge, die ihr Leben reich und ange­nehm machen. Es muss ihr nur gelin­gen aus­zu­blen­den, was hin­ter der Mau­er geschieht, so ein­dring­lich es sich auch ver­nehm­bar macht. Und dazu ist sie unter allen Umstän­den bereit.

Der Film wur­de an Ori­gi­nal-Schau­plät­zen in Polen gedreht. Das Dreh­buch ist eine freie Adap­ti­on des gleich­na­mi­gen Romans The Zone of Inte­rest (2014) des bri­ti­schen Schrift­stel­lers Mar­tin Amis (1949 – 2023). Dar­ge­stellt wird das All­tags­le­ben von Hed­wig Höß, der Frau des Lager­kom­man­dan­ten von Ausch­witz, Rudolf Höß, die sich um ihre Fami­lie und ihren Haus­halt küm­mert und ihren Traum von einem Haus mit Gar­ten hart­näckig gegen jeden Angriff ver­tei­digt, beson­ders gegen die Rea­li­tät, die sich auf uner­träg­li­che Wei­se stän­dig bemerk­bar macht. Auch der Ort ist kon­kret, es han­delt sich um das Kom­man­dan­ten­haus neben dem Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz, das für den Film nach­ge­baut wur­de. Die Ver­bre­chen, die hier ver­übt wur­den, sind bei­spiel­los in der Geschich­te der Mensch­heit. Der klei­ne Gebirgs­fluss, der vor­bei­strömt, die Sola, ein Neben­fluss der Weich­sel, wird zu einem furcht­ba­ren Schick­sals­sym­bol. Beim Angeln, bar­fuß im Fluss watend, fin­det der Lager­kom­man­dant das Gebiss eines der Mord­op­fer. Flucht­ar­tig ver­lässt er den Ort, die Kin­der, die im Was­ser gespielt hat­ten, wer­den zu Hau­se gründ­lich abge­schrubbt. Sich selbst wäscht er das Gemächt, nach­dem er eine jun­ge Frau miss­braucht hat. Als lie­ße sich Schuld abwa­schen. Ange­sichts des rasch strö­men­den Flus­ses erklärt ihm sei­ne Frau, dass sie ihr Spie­ßer-Idyll um kei­nen Preis auf­ge­ben will. Weil es ihr mehr bedeu­tet als alles ande­re, die Part­ner­schaft eingeschlossen.

Die Fra­ge ist, wie kriegt man die­se schrei­en­den Kon­tra­ste in einer Per­son zusam­men. Die­se Auf­ga­be, viel­leicht die schwer­ste für eine Schau­spie­le­rin, ist San­dra Hül­ler auf über­zeu­gen­de Wei­se gelun­gen: die absto­ßen­de Bana­li­tät des Bösen zu ver­kör­pern, eine Unsym­path­in zu spie­len, die ihr klei­nes Wohl­stands­glück sogar ange­sichts eines bei­spiel­lo­sen Mensch­heits­ver­bre­chens mit allen Mit­teln ver­tei­digt. Sie ist nicht naiv, sie weiß, was ihr Mann tut. Gefähr­lich droht sie ihren Dienst­mäd­chen mit ihrer töd­li­chen Macht. Ihr ist bewusst, woher ihr Luxus kommt und was ihre Gegen­lei­stung dafür ist. Aber nicht die Per­spek­ti­ve der Täter wird durch die­ses Film­kunst­werk nach­emp­fun­den wie etwa in Jona­than Lit­tel­ls Buch Les Bien­veil­lan­tes (2006, deutsch u. d. T. Die Wohl­ge­sinn­ten, 2008), son­dern die der Duld­er und Schma­rot­zer. Was ist der Gewinn von Lit­tel­ls uner­träg­lich grau­sa­men Fik­tio­nen des Mor­dens? War­um schlüpft eine Schau­spie­le­rin wie Corin­na Har­fouch in die Rol­le der Mag­da Goeb­bels (Der Unter­gang, 2005), die ihre Kin­der auf unbarm­her­zi­ge Wei­se tötet, weil sie sich ein Leben ohne den Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht vor­stel­len kann? Fra­zers Film ermög­licht einen ganz ande­ren Blick auf die Geschichte.

The Zone of Inte­rest arbei­tet auf zwei kon­kur­rie­ren­den Ebe­nen. Durch eine kom­ple­xe, mit gro­ßem Auf­wand und Sach­ver­stand geschaf­fe­ne Klang­land­schaft (auch für das Sound Design gab es einen Oscar) wird die Ebe­ne der Bil­der als ver­lo­ge­ne Schein­welt ent­larvt. Schon im Vor­spann wird das Gehör sen­si­bi­li­siert für Hin­ter­grün­di­ges und Zwi­schen­tö­ne. Man muss viel Geduld haben, die­sen Film bis zum Ende anzu­se­hen und anzu­hö­ren und wird am Ende nicht dafür belohnt. Es gibt kei­ne Genug­tu­ung, kei­ne Wie­der­gut­ma­chung, kei­ner­lei Trost, auch wenn schließ­lich die Kon­se­quen­zen der Geschich­te auf erlö­sen­de Wei­se ange­deu­tet wer­den. Die Rea­li­tät lässt sich nicht durch eine Mau­er aus­sper­ren. Es hilft nichts, die schreck­li­chen Ver­bre­chen aus­zu­blen­den. Der grau­en­haf­te Schorn­stein raucht, auch wenn die Gar­di­nen zuge­zo­gen sind. Der Film ist kein Remake von Theo­dor Kotul­las Ver­fil­mung Aus einem deut­schen Leben (1977) von Robert Mer­les Roman La mort est mon métier (1952, deutsch u. d. T. Der Tod ist mein Beruf, 1957). The Zone of Inte­rest ist eine Para­bel dar­auf, wie wir alle leben – oder bes­ser: wie wir auf kei­nen Fall leben sollten.