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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Taten statt Siegerposen

Das som­mer­li­che Wet­ter mein­te es gut mit den zur Ehrung Niko­lai Erasto­witsch Ber­sarins Ver­sam­mel­ten, als die Uhr der nahen Fried­richs­fel­der Kir­che die zwölf­te Tages­stun­de ver­kün­de­te und die Ein­wei­hung der Gedenk­ta­fel für den ersten Ber­li­ner Stadt­kom­man­dan­ten ein­lei­te­te. Offi­zi­el­le der Bot­schaft der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on, Par­la­men­ta­ri­er des Senats und des Stadt­be­zirks Lich­ten­berg, Mit­glie­der von Ver­bän­den, Ver­ei­nen, Par­tei­en und Bür­ger, die es für ange­bracht hiel­ten, ver­sam­mel­ten sich an der Fried­richs­fel­der Kreu­zung, an der 75 Jah­re zuvor der sowje­ti­sche Gene­ral­oberst durch einen tra­gi­schen Ver­kehrs­un­fall mit sei­nem Dienst­mo­tor­rad zu Tode gekom­men war.

Es war bekannt, dass Ber­sa­rin gern und lei­den­schaft­lich selbst fuhr, sich kurz und ent­schlos­sen in alles Mög­li­che per­sön­lich ein­misch­te und auch kein Geg­ner des Alko­hols war. Die Tat­sa­che, dass er bei dem Unfall nicht sei­ne Offi­ziers­uni­form, son­dern einen Mon­teur­an­zug trug, deu­tet dar­auf hin, dass er sich spon­tan für die Fahrt ent­schie­den hat­te, als er am frü­hen Mor­gen an der heu­ti­gen Kreu­zung Stra­ße am Tier­par­k/Al­fred-Kowal­ke-Stra­ße in hoher Geschwin­dig­keit gegen einen Mili­tär­kon­voi krach­te. Wie dem auch sei: Was er in sei­ner nur 55-tägi­gen Amts­füh­rung als Ber­li­ner Stadt­kom­man­dant gelei­stet hat, ist aller Aner­ken­nung und der dau­er­haf­ten Doku­men­ta­ti­on wert.

Ber­sa­rin war, wie der Lich­ten­ber­ger Bür­ger­mei­ster Micha­el Grunst aus­führ­te, kein Reprä­sen­tant von Sie­ger­po­sen, son­dern ein Mann prak­ti­scher Taten und unmit­tel­ba­rer Hil­fe­lei­stun­gen. Er hat­te mit sei­nen Sol­da­ten der 5. Stoß­ar­mee den Oder­brücken­kopf bei Küstrin über­wun­den, am 16. April 1945 in Mar­zahn die Stadt­gren­ze erreicht, am 2. Mai die Ber­li­ner Kapi­tu­la­ti­on erkämpft und war bereits am 24. Mai wäh­rend der noch andau­ern­den End­kämp­fe von Mar­schall Shu­kow zum Stadt­kom­man­dan­ten ernannt wor­den. Die Umstel­lung vom mili­tä­ri­schen Befehls­ha­ber zum Kom­mu­nal­po­li­ti­ker, noch dazu unter den dama­li­gen Umstän­den, fiel ihm nicht leicht. Als gebür­ti­ger Sankt Peters­bur­ger hat­te er erlebt, was die deut­sche Wehr­macht und die SS sei­nem Land und des­sen Men­schen ange­tan hat­ten. Er woll­te jedoch nicht Glei­ches mit Glei­chem vergelten.

Nach dem Ver­bot der Nazi­par­tei orga­ni­sier­te er die Anlie­fe­rung und Ver­tei­lung von Lebens­mit­teln sowie die Her­an­schaf­fung von Milch­kü­hen, die Repa­ra­tur der Strom- und Was­ser­ver­sor­gung und die Wie­der­in­be­trieb­nah­me eini­ger Lini­en des städ­ti­schen Nah­ver­kehrs. Er berief den ersten Ber­li­ner Nach­kriegs-Magi­strat, dem Arthur Wer­ner (als Ober­bür­ger­mei­ster), Pfar­rer Hein­rich Grü­ber, Archi­tekt Hans Scharoun und spä­ter der Chir­urg Fer­di­nand Sau­er­bruch ange­hör­ten. Er erlaub­te die Durch­füh­rung von Got­tes­dien­sten und die Wie­der­eröff­nung von Kinos und befahl die Thea­ter-Inten­dan­ten zu sich. Am 14. Mai 1945 beriet er mit Ernst Legal, Gustaf Gründ­gens, Paul Wege­ner, Vic­tor de Kowa und Heinz Rüh­mann über die Zukunft der Büh­nen. Es ist vor­ran­gig sein Ver­dienst, dass das Deut­sche Thea­ter bereits am 9. Sep­tem­ber 1945 den Thea­ter­be­trieb mit Les­sings »Nathan der Wei­se« wie­der auf­neh­men konnte.

Die Histo­ri­ker Jür­gen Hof­mann und Götz Aly wür­dig­ten in ihren Bei­trä­gen die Ver­dien­ste Niko­lai Ber­sarins um das Kriegs­en­de und den Neu­an­fang und um die Stadt Ber­lin. Sie erin­ner­ten dar­an, dass er 1975 postum mit der Ehren­bür­ger­wür­de aus­ge­zeich­net wor­den war, die ihm jedoch wegen histo­risch unhalt­ba­rer Anschul­di­gun­gen ent­zo­gen und im Jah­re 2003 vom Senat erneut zuer­kannt wor­den war.

Nicht zu ver­ges­sen sind die Ver­dien­ste Ber­sarins um den Ber­li­ner Pfer­de­sport. Ohne sein Zutun wäre die Renn­bahn Karls­horst wahr­schein­lich längst ver­schwun­den. Ber­sa­rin, der das Gelän­de zunächst für mili­tä­ri­sche Zwecke und zur Kar­tof­fel- und Mate­ri­al­la­ge­rung genutzt hat­te, unter­stütz­te die Wie­der­auf­nah­me des Renn­be­trie­bes und ver­an­lass­te die Umset­zung von Pfer­de­fut­ter von Mari­en­dorf nach Karlshorst.

Die Refe­ren­ten fan­den Zustim­mung für den nicht neu­en Vor­schlag, ein aus­sa­ge­kräf­ti­ges Denk­mal für Ber­sa­rin zu errich­ten. Es soll­te – so Aly – vor dem Schloss­neu­bau und dem Reichs­tag ste­hen; dort also, wo die Rot­ar­mi­sten die Nie­der­wer­fung Hit­ler­deutsch­lands voll­ende­ten. Das erschie­ne auch mir sinn­vol­ler als die »Ein­heits­wip­pe« – es sei denn, Fried­rich II. reprä­sen­tier­te hoch zu Ross auf dem einen und Ber­sa­rin mit nach­ge­stal­te­ter Bei­wa­gen­ma­schi­ne auf dem ande­ren Flü­gel ein Stück posi­ti­ver Ber­li­ner Geschichte.

Eine Lau­da­tio ver­dien­te im Zusam­men­hang mit der Wür­di­gung Niko­lai Ber­sarins in den musea­len Dar­stel­lun­gen auch der Direk­tor des Deutsch-Rus­si­schen Muse­ums, Jörg Mor­ré, der sei­ne Mühe damit haben dürf­te, die Kriegs- und Nach­kriegs­ge­schich­te und die damit ver­bun­de­nen histo­ri­schen Per­sön­lich­kei­ten auf­grund der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen und Ten­den­zen ver­tret­bar auszubilanzieren.

Und noch etwas bleibt zu ergän­zen: Wäh­rend der Ver­an­stal­tung ereig­ne­te sich auf der Kreu­zung akku­rat 75 Jah­re danach erneut ein Ver­kehrs­un­fall, der den Ein­satz von Poli­zei, Not­arzt und Feu­er­wehr erfor­der­te. Es ist zu hof­fen und zu wün­schen, dass die Betrof­fe­nen kei­ne ernst­haf­ten Kör­per­schä­den erlit­ten haben und bald wie­der genesen.

Daten zu Niko­lai Erasto­witsch Ber­sa­rin: gebo­ren am 1. April 1904 in St. Peters­burg, gestor­ben am 16. Juni 1945 in Ber­lin, beer­digt auf dem Nowo­de­witsch-Fried­hof in Mos­kau. Armee­an­ge­hö­ri­ger seit sei­nem 14. Lebensjahr.