Der GAU in Tschernobyl inspirierte Wolfgang Ehmke zu seinem Buch »Tanz den Super-GAU«. Das ist jetzt in einer überarbeiteten Version neu erschienen – und nach wie vor top-aktuell.
Der Staatspräsident ist genervt. Ständig protestieren die Staatsfeinde gegen die Atomkraft – am geplanten Endlager in Überall oder am Atomkraftwerk in Anderswo. Aber die Propagandamaschine läuft. Polizisten mischen sich inkognito unter die Demonstrierenden und sorgen für Gewalteskalationen. Ein Journalist der ZEITUNG, also die mit den fetten Buchstaben, sorgt dafür, dass die Demonstranten pauschal als Chaoten diffamiert werden. Schließlich soll in Anderswo doch noch ein zweiter Kraftwerksblock gebaut werden.
Dann melden erste Quellen in Nordland, dass es in Rotland einen großen Atomunfall gegeben habe. Schnell werden die Experten einberufen, darunter Professor Remm von der Grenzwertekommission, Dr. Scheuer von der Kraftwerksunion, Dr. Unrath (Chemische Industrie) und nicht zu vergessen, immer dabei, des Staatspräsidenten Freund Martin Esser von der ZEITUNG. Alle sind sich einig: »In Rotland wird es einige Tausend Tote geben. Bei uns geht es glimpflicher ab … Problematisch sind Milch und Milchprodukte und alle Blattpflanzen, vor allem nach dem ersten Regen … Ich schlage die Sprachregelung ›Keine Gefahr – vorbeugende Maßnahmen‹ vor, ergänzte Remm seinen Vortrag. Ich will hier nicht weiter ins Detail gehen, aber zwei Dinge sind klar: Erstens, wir können der Gefahr nicht ausweichen, deshalb ist sie keine. Und zweitens, wir sind besorgt und sorgen für einige Verhaltensmaßregelungen.«
Noch bevor die Bevölkerung davon erfährt, treffen sich kurze Zeit später einige der Honoratioren wieder im Supermarkt und kämpfen um die letzten Paletten H-Milch. Währenddessen läuft die gezielte Kampagne der ZEITUNG an. Erst mal Angst machen und nach ein paar Tagen feststellen, dass es gar nicht so schlimm ist. Blöderweise tritt dann nach einem Unfall aber auch noch am eigenen Atomkraftwerk in Anderswo radioaktive Strahlung aus – und lässt sich nur mit großen Mühen als Teil der rotländischen Atomwolke ausgeben.
Die Demonstrationen machen härtere Maßnahmen notwendig. Ganz zufällig fällt während der Fußball-Weltmeisterschaft im ganzen Land kurzfristig der Strom aus, und quasi direkt im Anschluss verkündet der Staatspräsident, dass sich das in Zukunft nur mit dem Bau des zweiten Kern-Reaktorblocks vermeiden lasse. Geht doch. Aber dass sich angesichts der Unfähigkeit einiger Akteure überhaupt noch Ordnung aufrechterhalten lässt, ist teilweise wohl eher dem Zufall geschuldet.
Das liest sich gut und flott. Wer 1986 schon alt genug war, wird die Umstände wiedererkennen. Wer heute alt und aufmerksam genug ist, wird einige Vorgehensweisen wiedererkennen.
Egal, um was für eine Katastrophe es geht. Die Darstellung der Figuren und der Hintergründe ist so grotesk, dass sie schon wieder lustig ist, und auch in der gegenwärtigen Zeit ist »Tanz den Super-GAU« eine gute Lektüre.
Wolfgang Ehmke: »Tanz den Super-GAU«, überarbeitete Neuauflage, Verlagsgesellschaft Köhring, 120 Seiten, 8,90 €. Vor einem Jahr erschien bereits Ehmkes Beziehungsroman »Der Kastor kommt!«, Verlagsgesellschaft Köhring 131 Seiten, 8,90 €. Bezug über: buero@bi-luechow-dannenberg.de