Weil wieder einmal Bösewichter bundesweit, vor allem in Thüringen, Computersysteme lahmlegten, sieht die vorweihnachtliche Zeitung vom 23.12.2020 aus, als sei sie zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Der gesamte Drucktext ist längsgestreift unterlegt. Angeblich kann man sie unter www.otz.de. kosten- und streifenfrei im Netz lesen. Manchmal funktioniert dies, meist aber nicht.
Im Prinzip erfährt man aus diesem Blatt derzeit nur das Nötige, was in Essen oder Berlin vor sich geht; Lokalausgaben aus dem flachen Thüringer Land gibt es noch nicht wieder.
Erzählen wir ein bisschen davon, wie die Zeitung ihr Leben vorm Knast zubrachte. Mit »Zeitung« meinen wir »Ein Titel der Funke-Medien«. Die Bezeichnung stammt aus jener prächtigen Zeit, als verschiedene Tageszeitungen in Thüringen, unterschiedliche Namen und Herausgeber hatten: Das Volk, später Thüringer Allgemeine oder Thüringische Landeszeitung, oder Volkswacht, später Ostthüringer Nachrichten, schließlich Ostthüringer Zeitung.
Weil diese Tageszeitungen unterschiedliche Chefredakteure, unterschiedliche Mantelredaktionen, unterschiedliches Layout und natürlich auch mal unterschiedliche Inhalte transportierten, standen sie auch ein klein wenig in Konkurrenz zueinander. Doch nicht alle sollten sich um den gleichen Werbekuchen balgen. So arbeiteten – wie oben mitgeteilt – alle nach und nach gemeinsam als »Ein Titel der Funke-Medien« mit denselben Werbebannern, Anzeigenseiten und Lebensmittel-Großmarktaktionen.
Eines dieser Thüringer Blätter, das größte, bekam 1990 vom damals von den Redakteuren frei gewählten Chefredakteur ein neues Aussehen, hatte dieser Zeitungsmann doch einst auf der Krim Kunst studiert. Im nationalen Presseclub zu Berlin erschien er mit seinem Erfurter Blatt immer öfter als »Stimme des Ostens«. 2012 wurde er – wir spekulieren nicht zu viel – als Chef durch die damals schon einflussreiche FUNKE-Mediengruppe abgesägt. War es eine eigene Zeitungspolitik, die er machte? War seine Publizität den Presseklub-Kollegen, allesamt Westgewächse, zu überbordend? Die Solidaritätsaktionen der Erfurter Kollegen nützten nichts. Man wurde »gesundgeschrumpft«.
Auf jeden Fall war nun der Weg frei, die drei bis fünf thüringischen Zeitungsköpfe mit all den Funke-Medien in West und Nord wirklich zu vereinen: fünf Tageszeitungen in und um Essen, als WAZ-Gruppe bekannt. Dazu die Thüringer Zeitungen, Harzkurier und Braunschweiger Zeitung, zwei Hamburger Zeitungen und die Berliner Morgenpost. Hinzu kommen heutzutage allerlei Publikums- und Fachzeitschriften und eine Buchsparte namens »Klartext Verlag«.
Damit sind wir unversehens bei den gestreiften Blättern von heute, die in Thüringen endlich auch ein einheitliches Bild bieten. Es darf dasselbe UND das Gleiche drinstehen. Nach den Weihnachtsfeiertagen hatte sich der Titel in Versalien behauptet: NOTAUSGABE. Zunächst waren die Bilder konservativ braunstichig, dann zur Ausgabe am 30.12. wird statt NOTAUSGABE verkündet: »In dieser Ausgabe mehr Regionales«, und in der Silvesterausgabe heißt es, dass es derzeit immer noch nicht möglich sei, Lokalteile auszuliefern. »Wie es dennoch gelingt, jeden Tag eine Zeitung zu erstellen, erklärt Druckleiter Adria Soballa«, in eben jener Silvesterausgabe.
Was er nicht erklärt: Wie die digitalen Hacker-Werktätigen es geschafft haben, woran der Medien-Moloch seit Jahren werkelt: Eins zu werden: Konzernbrüder zur Sonne, zur Einheit, Funken zum Lichte empor.
Noch gibt es erstaunlich wenig Werbung in den Blättern, die ohne Lokalüberschriften ein fast einheitliches Bild von Eisenach bis Greiz bilden. Vielleicht müssen die vorgesehenen und dringend benötigten Werbe-Gelder derzeit auf verschlungenen Wegen vorfinanziert werden, so dass die Hacker-Werktätigen die Server freilassen und die Leitungen entflechten, damit die Essener Herren wieder ihr Licht leuchten lassen können.
(Anmerkung der Redaktion: Den allgemeinen Trend zu Monopolisierung, zur Ein-ebnung von Vielfalt beschreibt ein lesenswertes Buch von Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, Reclam 2018, 104 S., 6 €)