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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Tageszeitung im Knast-Anzug

Weil wie­der ein­mal Böse­wich­ter bun­des­weit, vor allem in Thü­rin­gen, Com­pu­ter­sy­ste­me lahm­leg­ten, sieht die vor­weih­nacht­li­che Zei­tung vom 23.12.2020 aus, als sei sie zu einer Haft­stra­fe ver­ur­teilt wor­den. Der gesam­te Druck­text ist längs­ge­streift unter­legt. Angeb­lich kann man sie unter www.otz.de. kosten- und strei­fen­frei im Netz lesen. Manch­mal funk­tio­niert dies, meist aber nicht.

Im Prin­zip erfährt man aus die­sem Blatt der­zeit nur das Nöti­ge, was in Essen oder Ber­lin vor sich geht; Lokal­aus­ga­ben aus dem fla­chen Thü­rin­ger Land gibt es noch nicht wieder.

Erzäh­len wir ein biss­chen davon, wie die Zei­tung ihr Leben vorm Knast zubrach­te. Mit »Zei­tung« mei­nen wir »Ein Titel der Fun­ke-Medi­en«. Die Bezeich­nung stammt aus jener präch­ti­gen Zeit, als ver­schie­de­ne Tages­zei­tun­gen in Thü­rin­gen, unter­schied­li­che Namen und Her­aus­ge­ber hat­ten: Das Volk, spä­ter Thü­rin­ger All­ge­mei­ne oder Thü­rin­gi­sche Lan­des­zei­tung, oder Volks­wacht, spä­ter Ost­thü­rin­ger Nach­rich­ten, schließ­lich Ost­thü­rin­ger Zei­tung.

Weil die­se Tages­zei­tun­gen unter­schied­li­che Chef­re­dak­teu­re, unter­schied­li­che Man­tel­re­dak­tio­nen, unter­schied­li­ches Lay­out und natür­lich auch mal unter­schied­li­che Inhal­te trans­por­tier­ten, stan­den sie auch ein klein wenig in Kon­kur­renz zuein­an­der. Doch nicht alle soll­ten sich um den glei­chen Wer­be­ku­chen bal­gen. So arbei­te­ten – wie oben mit­ge­teilt – alle nach und nach gemein­sam als »Ein Titel der Fun­ke-Medi­en« mit den­sel­ben Wer­be­ban­nern, Anzei­gen­sei­ten und Lebensmittel-Großmarktaktionen.

Eines die­ser Thü­rin­ger Blät­ter, das größ­te, bekam 1990 vom damals von den Redak­teu­ren frei gewähl­ten Chef­re­dak­teur ein neu­es Aus­se­hen, hat­te die­ser Zei­tungs­mann doch einst auf der Krim Kunst stu­diert. Im natio­na­len Pres­se­club zu Ber­lin erschien er mit sei­nem Erfur­ter Blatt immer öfter als »Stim­me des Ostens«. 2012 wur­de er – wir spe­ku­lie­ren nicht zu viel – als Chef durch die damals schon ein­fluss­rei­che FUN­KE-Medi­en­grup­pe abge­sägt. War es eine eige­ne Zei­tungs­po­li­tik, die er mach­te? War sei­ne Publi­zi­tät den Pres­se­klub-Kol­le­gen, alle­samt West­ge­wäch­se, zu über­bor­dend? Die Soli­da­ri­täts­ak­tio­nen der Erfur­ter Kol­le­gen nütz­ten nichts. Man wur­de »gesund­ge­schrumpft«.

Auf jeden Fall war nun der Weg frei, die drei bis fünf thü­rin­gi­schen Zei­tungs­köp­fe mit all den Fun­ke-Medi­en in West und Nord wirk­lich zu ver­ei­nen: fünf Tages­zei­tun­gen in und um Essen, als WAZ-Grup­pe bekannt. Dazu die Thü­rin­ger Zei­tun­gen, Harz­ku­rier und Braun­schwei­ger Zei­tung, zwei Ham­bur­ger Zei­tun­gen und die Ber­li­ner Mor­gen­post. Hin­zu kom­men heut­zu­ta­ge aller­lei Publi­kums- und Fach­zeit­schrif­ten und eine Buchspar­te namens »Klar­text Verlag«.

Damit sind wir unver­se­hens bei den gestreif­ten Blät­tern von heu­te, die in Thü­rin­gen end­lich auch ein ein­heit­li­ches Bild bie­ten. Es darf das­sel­be UND das Glei­che drin­ste­hen. Nach den Weih­nachts­fei­er­ta­gen hat­te sich der Titel in Ver­sa­li­en behaup­tet: NOTAUSGABE. Zunächst waren die Bil­der kon­ser­va­tiv braun­sti­chig, dann zur Aus­ga­be am 30.12. wird statt NOTAUSGABE ver­kün­det: »In die­ser Aus­ga­be mehr Regio­na­les«, und in der Sil­ve­ster­aus­ga­be heißt es, dass es der­zeit immer noch nicht mög­lich sei, Lokal­tei­le aus­zu­lie­fern. »Wie es den­noch gelingt, jeden Tag eine Zei­tung zu erstel­len, erklärt Druck­lei­ter Adria Sobal­la«, in eben jener Silvesterausgabe.

Was er nicht erklärt: Wie die digi­ta­len Hacker-Werk­tä­ti­gen es geschafft haben, wor­an der Medi­en-Moloch seit Jah­ren wer­kelt: Eins zu wer­den: Kon­zern­brü­der zur Son­ne, zur Ein­heit, Fun­ken zum Lich­te empor.

Noch gibt es erstaun­lich wenig Wer­bung in den Blät­tern, die ohne Lokal­über­schrif­ten ein fast ein­heit­li­ches Bild von Eisen­ach bis Greiz bil­den. Viel­leicht müs­sen die vor­ge­se­he­nen und drin­gend benö­tig­ten Wer­be-Gel­der der­zeit auf ver­schlun­ge­nen Wegen vor­fi­nan­ziert wer­den, so dass die Hacker-Werk­tä­ti­gen die Ser­ver frei­las­sen und die Lei­tun­gen ent­flech­ten, damit die Esse­ner Her­ren wie­der ihr Licht leuch­ten las­sen können.

 

(Anmer­kung der Redak­ti­on: Den all­ge­mei­nen Trend zu Mono­po­li­sie­rung, zur Ein-ebnung von Viel­falt beschreibt ein lesens­wer­tes Buch von Tho­mas Bau­er: Die Ver­eindeu­ti­gung der Welt. Über den Ver­lust an Mehr­deu­tig­keit und Viel­falt, Reclam 2018, 104 S., 6 €)