Irgendwann hatte ich mich an einer elektronischen Abstimmung beteiligt. Das führte augenscheinlich zur Speicherung meiner Mail-Adresse, weshalb ich nun im 24-Stunden-Takt um die Beantwortung einer Frage gebeten werde. Es genügt, eine der fünf Optionen anzuklicken, die reichen von »Ja, auf jeden Fall« bis zum absoluten Gegenteil. Da es schnell geht, lässt man sich darauf ein.
Das Institut, das diese Online-Umfragen zur »Meinungs- und Marktforschung« vornimmt, wurde in der Vergangenheit gelegentlich von Konkurrenzunternehmen kritisiert, weil es sich um »nichtprobabilistische Stichproben« handele, welche – im Unterschied zu »Zufallsstichproben« – »willkürliche oder systematische Stichproben« darstellten. Verstehe diesen Quark, wer will, ich jedenfalls tue es nicht, wobei ich wohl auch nicht zur Gruppe gehöre, die mit diesem Fachchinesisch kommuniziert. Ich lasse mich lediglich von den Umfrageresultaten amüsieren oder ärgern. Zudem bin ich weit davon entfernt, den Überbringer der Nachricht zu attackieren. Er kann am wenigsten dafür, ob das Resultat nun erfreulich oder niederschmetternd ist. Schließlich bildet die Botschaft nur das Urteilsvermögen der Befragten ab. Und da es sich immer um einige Tausend Menschen handelt, wie man stets in Echtzeit sieht, kann man den Befund durchaus repräsentativ nennen.
So wurde ich beispielsweise am Nachmittag eines ziemlichen trüben Februarsonntags um die Beantwortung der Frage gebeten, ob ich meine, »dass Russland unter Wladimir Putin eine Gefahr für Deutschland« darstelle. Nun hätte man mich auch fragen können, ob ich denke, dass es auf der Erde stinken würde, wenn der Mond aus Käse wäre, oder ob Joe Biden die 100 Meter in 9,8 Sekunden laufen könnte oder nicht. »Meinen« kann man alles, es ist für den Gang der Geschichte gottlob unerheblich.
Allerdings scheint es nicht unerheblich, wenn bei der Beantwortung existentieller Fragen wie die von Krieg und Frieden eine Stimmung sichtbar wird, die einem schier den Atem stocken lässt. Denn auf die erwähnte Putin-Frage antworteten 34,4 Prozent der bis dahin über fünftausend befragten Menschen mit »Ja, auf jeden Fall«. Nahm man noch die 16,0 Prozent dazu, die mit »Eher ja« reagiert hatten, hieß das, inzwischen fürchtet sich die Hälfte der deutschen Bevölkerung vor »dem Russen«, weil er ja eine Gefahr für Deutschland sei, also unser demokratisches Gemeinwesen bedrohe.
Das also ist das Resultat der seit Monaten andauernden Kriegshysterie, die in deutschen Medien Tag um Tag geschürt wird. Bravo, ihr Stahlhelmer aus ARD, ZDF und den anderen Medien, die einen Konflikt mit der Ukraine, mit dem Baltikum und an der polnischen Grenze herbeischreien. Die ihr in Talkshows und Diskussionsrunden dummes Gefühlsgedöns über die vermeintliche Aggressivität von Personen und ganzen Völkerschaften verbreitet, die ihr Ängste schürt und zugleich verharmlost, indem ihr über Kriege schwadroniert wie über Apfelstrudel mit Vanillesauce. Diese Saat ist aufgegangen, jeder zweite Deutsche hat sich von der Kriegshysterie bereits infizieren lassen. (Sollte man nicht auch diese Inzidenzzahlen täglich vermelden?)
Übrigens, die nachgeschobene Frage lautet immer: »Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?« Die geringste Zustimmung von allen Parteien erhielt hier die Linke mit 5,8 Prozent. Die Zeiten scheinen erkennbar vorüber, als sie mal als konsequente Friedenspartei galt. Denn das Umfrageergebnis zeigt doch auch: Fast jeder zweite Bundesbürger glaubt eben nicht an eine vermeintliche Bedrohung aus dem Osten. Das ist doch ein Potential, aus der sich die untergegangene Friedensbewegung neu erheben könnte und müsste! Erheben wie Phönix aus der Asche.
Stattdessen rieselt diese Asche aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Phönix und trübt den Blick für die wahren Kriegstreiber.