»Es ist, als hätte Putin eine Streubombe über Berlin abgeworfen«, beschreibt die FAZ das »Taurus-Desaster« über das Mithören – nicht abhören (Wanzen!) – einer Telefonschalte höchster Offiziere der deutschen Luftwaffe durch den russischen Geheimdienst. In den Medien dominieren die immergleichen Reaktionen: Der »böse« Putin und der »gute« Westen. In der ARD-Sendung »Hart aber fair« mit dem Titel »Putin droht und spioniert« kann zur Hysterie gesteigerte Propaganda live miterlebt werden: Ein ehemals Friedensbewegter, der sich dafür »schämt« und bekennt, durch »Erkenntnis« nun die »richtige« Haltung einzunehmen, »Panzer-Toni« (so der Moderator), Anton Hofreiter, und die außer sich geratende CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler treffen auf den Linken Jan van Aaken und einen Vertreter aus der Friedensarbeit der Kirche, zwischen ihnen Oberst André Wüstner, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes. Serap-Güler überschlägt sich fast: »Der Kanzler ist ein Sicherheitsrisiko«, »die Sicherheit in Europa ist gefährdet«, »Putin macht in der Ukraine nicht halt«. Alles klar?!
Was für die deutsche Bevölkerung auch wichtig wäre, neben dem, was sie über Putins wahre Absichten alles zu glauben veranlasst werden soll, überliest man fast im Kommentar von Berthold Kohler in der FAZ. So detailliert – wie durch das abgehörte und mitgeschnittene Gespräch – sei man noch nicht informiert worden, weder über die Einsatzmöglichkeiten des Taurus in der Ukraine noch über die Aktivitäten der Verbündeten dort und auch nicht darüber, was die Luftwaffe über den Verteidigungsminister denkt. Zwar liegen »Fakten über Aktivitäten der Verbündeten« lange auf dem Tisch, die Medien hätten nur ihre Verantwortung wahrnehmen müssen und wäre durch gute Recherche auf vorliegende Quellen gestoßen! Genau das wird aus gutem Grund verabsäumt, sonst würden die »Interessen« und »Handlungen« des »Westens« in der Ukraine zu offenbar. Und das »Böse« anderswo wird gebrandmarkt, um das eigene »Böse« unter den Teppich zu kehren. Stattdessen eine immer weiter sich drehende Spirale, die »Eskalation« heißt. Natürlich eskaliert nur der »böse Putin«, wobei der Begriff anderes ausdrückt, als bewusst gemacht werden soll. Wir finden eine Erklärung, wenn wir den Begriff Eskalation als einen Prozess verstehen, bei dem eine Situation oder ein Konflikt immer weiter an Intensität zunimmt. Im Prinzip ist dieser Prozess ein Aktions-Reaktion-Mechanismus, der nur mit Hilfe (oder durch Einsicht) der Mediation, jedenfalls einer vernunftgeleiteten Vermittlung, gelöst werden kann. Deshalb hören wir in den Medien zwar vom Wunsch nach Waffenstillstand und Verhandlungen, der aber sogleich von einer Art Meinungsdiktatur niedergemacht wird. Deshalb wird der ehemalige ukrainische Botschafter Melnyk von deutschen Medien gern zitiert, vor allem, wenn es gegen Taurus-Verweigerer wie Mützenich (SPD) geht, der sich vor seinen Kanzler stellt und noch etwas weiter geht, indem er mehr diplomatische Bemühungen anmahnt, während die kopfschüttelnde Außenministerin auf der Regierungsbank mithört.
Der Nato-Westen, an der Spitze skandinavische, baltische, osteuropäische und deutsche Regierungsvertreter und Medien fordern unisono, Putins Armee müsse sich zuerst zurückziehen, was sie nicht tut und was auch nicht wahrscheinlich ist. Die weiße Fahne könnte deshalb klug und vernünftig sein, denn ohne neuen Nachschub an Soldaten für die Ukraine ist kein Aufhalten der russischen Armee in Sicht. Dieser Nachschub ist schwer mobilisierbar. Russlands Präsident bietet immer wieder Verhandlungen an, signalisiert seine Art von »Kompromissbereitschaft«, ohne das Eroberte preiszugeben. Die dominierende Position des Westens, allen voran deutscher Kriegsantreiber, ist damit aktuell nicht vereinbar. Der Papst appelliert an die Klugheit. Was das mitgehörte Generalstelefonat offenbart, sind Überlegungen, die Eskalationsspirale weiterzutreiben: Wie sehr das deutsche Militär, ob ohne oder mit Auftrag des Verteidigungsministers, über konkretere Eingriffe der Bundeswehr in den Krieg nachdenkt und allerlei mögliche oder unmögliche Handlungen auslotet, die juristisch eine direkte Teilnahme bedeuten könnten oder eben gerade noch nicht! Über solcherlei »Kinderkram« dürfte Putin nicht zu beeindrucken sein, er zeigt sich selbstbewusst. Er allein entscheidet darüber, wann sein Kipp-Punkt der Eskalationsstufe erreicht ist, denn seine Armee ist auf dem Vormarsch, und der kann nur aufgehalten werden mit massivem Einsatz frischer Soldaten. Mit »Taurus« und mehr Munition könnten sie »nur« verzögern, aber den Krieg nicht gewinnen, die Toten und Opfer auf beiden Seiten und die Naturzerstörung potenzierten sich. Auch beim Einsatz westlicher Marschflugkörper obliegt es Putin und der russischen Armee, wann er und wie er den nächsten Schritt der Steigerung wählt. Das heißt, wie wir es drehen und wenden, der Angreifer hat die Oberhoheit über den Weitergang des Krieges.
Dessen sich bewusst zu sein oder zu werden, führt zu verzweifelten Reaktionen: Zur Hysterie und einer krankhaften Reaktion, die zwei Jahre lang, unterstützt von Kriegsbräuten und Kriegsherren des Westens, Oberhand zu gewinnen suchte. Transatlantische Denker und Strategen haben lange diese konfliktreichen Situationen vorausgedacht und Planungen angestellt, auf welche Art und Weise die »westliche« Welt ihre dominante Rolle unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika sichern oder gar ausbauen kann. Doch ist das unmöglich. Nicht nur Biden scheint in lichten Momenten zu begreifen, was die New York Times schon im ersten Jahr des Kriegs kolportiert hat, dass mit Putin auch ein Atomschlag »kalkuliert« werden müsse. In seine Rede zur Lage der russischen Nation legte Putin diesen Gedanken kürzlich erneut dar, der zwar eine psychologische Komponente hat, indem er Angst erzeugt, gleichwohl rational ernst zu nehmen ist. Diesen Gedanken auszublenden wie die Kiesewetter-Strack-Zimmermann-Hofreiter-Fraktion und große Teile transatlantischer »Sicherheitsexperten«, offenbart eine psychisch-politische Störung, die aufgrund mangelnder Erziehung zum Frieden ausbricht und »Sicherheit« durch Kriegsantreiben erreichen will, wo doch »sowieso« Kriege mit Verhandlungen enden, wie sie selbst sagen.
Deshalb sind auch die Forderungen des Papstes, Kriege durch Verhandeln möglichst schnell zu beenden, um dadurch viele weitere Tote zu verhindern, im Kern richtig. Stattdessen auch hier Mechanismen der Abwehr dieses auf Waffenstillstand und Friedensherstellung gerichteten Gedankens. Sogleich werden ihm Nazi-Vergleiche entgegengeschleudert (Außenminister der Ukraine, Kuleba), eine Verdrehung des Begriffs, der gebraucht wird, um jede Kritik schon im Keim zu ersticken. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) »schämt sich als Katholikin«¸ Katrin Göring-Eckardt (Grüne) glaubt, der Papst akzeptiere »die Auslöschung der Ukraine«, und Roderich Kiesewetter verunglimpft, indem er behauptet – wider besseres Wissen –, »das Oberhaupt der katholischen Kirche« stelle »sich auf die Seite des Aggressors«. Was nur als mutwillige, geistige Verwirrung in der Bevölkerung säende Fehlinterpretationen zu bewerten ist. Denn während der Papst Verhandlungen durch Waffenstillstand vorschlägt, fordern jene, erst dann zu verhandeln, wenn Putin sich aus der Ukraine zurückgezogen hat. »Verhandeln« aber bedeutet, »um etwas verhandeln«, »sich einigen«. Da ein Atomschlag nicht zu berechnen und ihm nichts entgegenzusetzen ist, außer Vernichtung, spricht aus dem Kirchenoberhaupt Vernunft und Weitsicht.
Erinnerte sich »der Westen« an Putins Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 zurück, dürfte er erkennen, worin die Sicherheits-Ansprüche des russischen Präsidenten bestehen und dass er solche geostrategischen Interessen mit vielen Regierungen in der Welt teilt. Dass der »Westen« damals nicht über seine Forderungen verhandelt hat, ist ein schwerer historischer Fehler, von denen es einige gibt. Putin mag besondere Machtgelüste haben, Menschenwürde missachten, Opposition ausschalten, Gegner bis zum Tode drangsalieren, ein Rückzug aus der Ukraine ist nicht zu erwarten. Wo der Machtgedanke zum Äußersten gebracht, Eskalation zum letzten Mittel der Wahl werden kann, Waffenruhe aber nur zu erreichen ist mit Rationalität und Vernunft, da bleibt nur die Losung: »Sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen«. Dafür konkrete Vorstellungen, Strategien und diplomatische Fähigkeiten zu haben, ist es höchste Zeit! Die Zerstörung Europas ist keine Alternative!