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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Stoppt der Backstop den Brexit?

Was bei einer in jeder Hin­sicht unpro­fes­sio­nell aus­ge­stal­te­ten Volks­ab­stim­mung her­aus­kom­men kann, wis­sen wir seit dem Juni 2016: eine knap­pe Mehr­heit für den EU-Aus­tritt. Was aus dem Ende 2018 vor­ge­leg­ten Aus­tritts­ver­trag aus der EU wird, den zunächst sowohl Pre­mier­mi­ni­ste­rin May als auch die EU-Kom­mis­si­on als »beste und ein­zi­ge Lösung« für einen geord­ne­ten Aus­tritt betrach­te­ten, wis­sen wir noch nicht. Seit­dem am 15. Janu­ar bei der Abstim­mung im bri­ti­schen Par­la­ment die Regie­rung die histo­risch kra­chend­ste Nie­der­la­ge erlitt, als 432 Abge­ord­ne­te den mit der EU aus­ge­han­del­ten Aus­tritts­ver­trag ablehn­ten, gibt es bis­lang – noch – kei­ne Anzei­chen dafür, dass er im Unter­haus qua­si in letz­ter Minu­te doch noch abge­seg­net wird. Zwar über­stan­den die Pre­mier­mi­ni­ste­rin und ihre Tory-Regie­rung den von der Oppo­si­ti­on bean­trag­ten Miss­trau­ens­ent­scheid, aber nach eini­gem Hick­hack um einen soge­nann­ten Plan B, der kei­ner war, ver­setz­ten die Abge­ord­ne­ten bei einer tur­bu­len­ten Par­la­ments­sit­zung am 29. Janu­ar dem bereits abge­lehn­ten Aus­tritts­ver­trag einen zusätz­li­chen Tritt. Auch weil The­re­sa May ihre wochen­lang so fel­sen­fest schei­nen­de Posi­ti­on »Mein Deal, kein Deal oder kein Brexit« kur­zer­hand ad acta gelegt hat­te und sich statt des­sen für die Neu­ver­hand­lung des Back­stops – der Auf­fang­re­ge­lung für die nord­irisch-iri­sche Gren­ze – aus­sprach, stimm­ten die Abge­ord­ne­ten im Unter­haus schließ­lich einem Ände­rungs­an­trag von Gra­ham Bra­dy (Tories) mehr­heit­lich zu. Er for­dert die »Ent­fer­nung der Garan­tie für eine offe­ne Gren­ze zwi­schen Nord­ir­land und Irland aus dem Brexit-Abkom­men«, und für die soll und will die Regie­rungs­chefin nun sorgen.

Der Back­stop ist eine fest im Aus­tritts­ver­trag ver­an­ker­te Not­lö­sung für den Fall, dass sich Groß­bri­tan­ni­en und die EU nicht recht­zei­tig auf ein Han­dels­ab­kom­men eini­gen kön­nen. Er sieht vor, dass Nord­ir­land nach dem Brexit so lan­ge in der Zoll­uni­on mit der EU ver­blei­ben soll, wie es nötig ist, um eine Gren­ze mit Kon­trol­len zwi­schen Nord­ir­land und dem EU-Mit­glied Irland zu ver­mei­den. Die 500 Kilo­me­ter lan­ge »grü­ne« Gren­ze ist seit dem am 10. April 1998 geschlos­se­nen Kar­frei­tags­ab­kom­men mehr oder weni­ger unsicht­bar. Sie wird täg­lich von gut 23.000 Berufs­pend­lern über­quert, monat­lich von cir­ca 380.000 Last­wa­gen pas­siert und gewährt den pro­blem­lo­sen Waren­han­del im Wert von rund 5,5 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr. Da die ein­ge­schwo­re­nen Brexi­te­ers behaup­ten, ihr – noch – Ver­ei­nig­tes König­reich wür­de durch den Back­stop dau­er­haft in der Zoll­uni­on und damit an die EU gebun­den blei­ben – wobei der von ihnen gefor­der­te Aus­stieg aus der Zoll­uni­on zwangs­läu­fig Grenz­kon­trol­len erfor­der­lich macht, die aber so gut wie nie­mand will –, ist guter Rat teu­er. In den EU-Gre­mi­en gibt es bis­lang jeden­falls kei­ne Zustim­mung zu einer Neu­ver­hand­lung von Tei­len des mit der Regie­rung von The­re­sa May abge­schlos­se­nen Aus­tritts­ver­tra­ges. Im Übri­gen betrach­tet die EU, nicht zuletzt auf Wunsch und Druck des Mit­glied­staa­tes Repu­blik Irland, den Back­stop als unver­han­del­bar. Das von eini­gen Akteu­ren ver­lang­te EU-Ent­ge­gen­kom­men mit­tels einer zeit­li­chen Begren­zung des Back­stops zum Bei­spiel wür­de den Brexi­te­ers einen Ver­hand­lungs­vor­teil ver­schaf­fen, den in Brüs­sel kei­ner wünscht, weil nicht geneh­me Rege­lungs­vor­schlä­ge der EU durch schlich­tes Auf-Zeit-Spie­len aus­ge­bremst wer­den könn­ten. Die von ton­an­ge­ben­den Tories gegen­wär­tig viel­be­schwo­re­nen »alter­na­ti­ven Rege­lun­gen« und »tech­ni­schen Lösun­gen«, die die eigent­lich dem­nächst wie­der not­wen­di­gen klas­si­schen Grenz­kon­trol­len zwi­schen der bri­ti­schen Pro­vinz und der Repu­blik qua­si digi­tal unnö­tig machen sol­len, in allen Ehren. Die Ver­hand­ler der EU unter dem Beauf­trag­ten Michel Bar­nier hal­ten die­se Lösungs­vor­schlä­ge nach wie vor für unpraktikabel.

Von den diver­sen Ände­rungs­an­trä­gen, über die am 29. Janu­ar im Unter­haus abge­stimmt wur­de, kamen nur zwei durch. Der oben benann­te von Gra­ham Bra­dy und zusätz­lich der von sei­ner Tory-Par­tei­kol­le­gin Caro­li­ne Spel­man: »Ableh­nung eines Brexits ohne Abkom­men«. Kön­nen wir folg­lich davon aus­ge­hen, dass die im Aus­tritts­ver­trag vor­ge­se­he­ne min­de­stens zwei­jäh­ri­ge Über­gangs­frist – alles läuft so wei­ter wie bis­her – zum Tra­gen kommt? Die Mehr­heit der Par­la­men­ta­ri­er im Unter­haus wünscht in der Tat kei­nen har­ten Brexit – schau­en wir also, was noch alles pas­siert und auch pas­sie­ren muss, um in der noch ver­blei­ben­den knap­pen Zeit bis zum 29. März die ver­fah­re­ne Aus­tritts­vor­be­rei­tung auf einen ver­nünf­ti­gen Kurs zu bekom­men. Um den 14. Febru­ar wird sich das Unter­haus der Mate­rie wie­der anneh­men. Mehr­heit­lich abge­lehnt wur­de am 29. Janu­ar übri­gens der Ände­rungs­an­trag der Labour-Abge­ord­ne­ten Rachel Ree­ves. Er lau­te­te: »Der EU-Aus­tritt soll ver­scho­ben wer­den.« The­re­sa May bekräf­tigt ganz im Gegen­teil unent­wegt: Am 29. März 2019 wird Groß­bri­tan­ni­en die Euro­päi­sche Uni­on verlassen.

Ach ja. Gera­de erschien hier­zu­lan­de der neue Roman »Die Mau­er« (The Wall) des bri­ti­schen Best­sel­ler-Autors John Lan­che­ster in der deut­schen Über­set­zung von Doro­thee Mer­kel. In die­sem teils von der Kri­tik gelob­ten, teils als nicht über­zeu­gend gewer­te­ten Werk hat das Ver­ei­nig­te König­reich die EU längst ver­las­sen. Beschrie­ben wird das Post-Brexit-Bri­tan­ni­en als eine von einem mas­si­ven Schutz­wall ein­ge­heg­te Insel, die sowohl ille­ga­le Migran­ten drau­ßen hal­ten wie auch den immer stär­ke­ren Mee­res­was­ser­an­stieg abweh­ren will. Was der jun­ge Wach­mann Joseph Kava­nagh, der auf der Mau­er Dienst schiebt, alles erlebt und emp­fin­det, ver­ra­te ich nicht. Und zwar auch des­halb, weil wir gera­de die histo­risch bemer­kens­wer­te Erkennt­nis gewin­nen kön­nen, dass es viel leich­ter ist, in die mit dem Frie­dens­no­bel­preis aus­ge­zeich­ne­te Euro­päi­sche Uni­on ein­zu­tre­ten, als wie­der aus ihr aus­zu­tre­ten. Ganz zu schwei­gen von dem Brexit-Refe­ren­dum vom Juni 2016, das nach sei­ner Aus­füh­rung schier unlös­ba­re Pro­ble­me und jede Men­ge offe­ne Fra­gen auf­wirft, die unse­re in Wis­sens­ge­sell­schaf­ten sozia­li­sier­ten poli­ti­schen Akteu­re sowohl im aus­tritts­wil­li­gen Mit­glied­staat Groß­bri­tan­ni­en als auch im vom Aus­tritt irri­tier­ten Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa ziem­lich dumm aus­se­hen lassen.