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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Stille, kein Ort

Vor mir liegt ein Buch, das mir schon vom Titel her aus der See­le spricht: »Die Ver­trei­bung der Stil­le. Leben mit der aku­sti­schen Umwelt­ver­schmut­zung« von Rüdi­ger Liedtke.

Ein wun­der­ba­rer Gegen­stand. Wie oft wäre Stil­le tat­säch­lich wohl­tu­end? Dabei den­ke ich nicht an manch geist­tö­ten­de Vor­le­sung an der Uni­ver­si­tät, der ich zum Glück ent­kom­men konn­te. Am schlimm­sten war schon damals die BWL, die nun gar nichts mit Wis­sen­schaft zu tun hat, son­dern ein Able­ger der Theo­lo­gie ist – die­se dient dem einen »Gott«, die ande­re dem des Pro­fits –, lau­ter Fächer, es gibt noch mehr (»Ost­eu­ro­pa-irgend­was«), die nicht an eine Uni­ver­si­tät gehören!

Schwei­gen ja! »Musik« in Kauf­häu­sern uner­träg­lich, in mei­nem Super­markt, den ich dar­auf­hin wech­seln muss­te, uner­träg­lich, lei­der auch in vie­len Hotels beim Früh­stück; ach der Lärm ist unend­lich. Schwei­gen bzw. reden wir von Musik, die der Ver­trei­bung der Stil­le dient, jene Stil­le, in der sich ein Gedan­ke ent­wickeln könn­te, den der Lärm ver­hin­dern soll. Reden wir, nicht schwei­gen, über das Fern­se­hen, eine ein­zi­ge Maschi­ne zu dem Zweck, die Kon­su­men­ten um Sinn und Ver­stand zu brin­gen; übers Ohr und Auge ihnen die täg­li­che Dosis Unter­hal­tung ein­zu­häm­mern, dass alles Gut ist und bit­te so blei­ben soll­te! Und wenn es schlecht ist, so soll­te es doch nicht anders wer­den oder erst in hun­dert Jahren.

Zur aku­sti­schen Umwelt­ver­schmut­zung, die auch eine gei­sti­ge ist, gehö­ren natür­lich auch, es war gera­de Wahl­kampf, 99 Pro­zent der uns beschal­len­den Poli­ti­ker und -innen. Ach, so viel fällt einem dazu ein!

Des­halb noch­mals mein Lieb­lings­stück: Erwin Schul­hoff »in futuram« (sie­he: Bek, Josef: Erwin Schul­hoff. Leben und Werk. Ver­dräng­te Musik, Bd. 8, von Bockel Ver­lag: Ham­burg 1994). Übri­gens so gespielt: tut­to in can­zo­ne con espres­sio­ne ad libi­tum, semp­re, sin al fine (Da ich beim Latein auch nicht zuge­hört habe, das über­setzt Goog­le: alles in Gesang mit Aus­druck ad libi­tum, immer, bis zum Ende!) Wo gab es das spä­ter noch einmal?

Fiel Karl Kraus, liest man, zu Hit­ler nichts ein, was nicht die gan­ze Wahr­heit ist, denn es gibt die »Drit­te Wal­pur­gis­nacht«, die die furcht­ba­re Stil­le spre­chend macht, und den Opfern, die sonst über­hört wer­den, das gehört auch zum Lärm, Auf­merk­sam­keit schenkt. Denn auch das gehört zum Lärm: die zu über­tö­nen, die um Hil­fe rufen.

Auch im Wahl­kampf hör­ten, wir die Fal­schen, die Lärm machen, weil nichts Gutes (für uns) aus ihrem Mun­de kommt, wir hör­ten nicht, was Not tut.