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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Staun!

Der Gebrauch der inflek­tier­ten Form in der Über­schrift könn­te den Ein­druck erwecken, es gehe im Fol­gen­den um Micky­maus-Spra­che, also »seufz!, stöhn!, zisch!« usw. Nein, es geht um Zbyněk Fišer, der sich aus Pro­test gegen den sta­li­ni­sti­schen Anti­se­mi­tis­mus Egon Bon­dy nann­te und der von 1930 bis 2007 leb­te. Er ist wahr­schein­lich die schrill­ste Figur, wel­che die an Käu­zen nicht arme tsche­chi­sche Lite­ra­tur her­vor­ge­bracht hat. Doch nicht des­we­gen das »Staun!«, son­dern ein­mal wegen Bon­dys über­aus pro­duk­ti­vem und unbe­küm­mert anmu­ten­dem Umgang mit der Spra­che. Sein zwei­stro­phi­ges Gedicht »Ich« endet so: »Ich weiß genau/​bin alte Sau/​Alles Übrig‘ ist Über­bau«. Zum ande­ren, weil man, mit die­sem Buch kon­fron­tiert, wirk­lich starr vor Stau­nen steht. Ein­mal dar­über, was man nicht weiß oder wuss­te, obwohl es mög­lich gewe­sen wäre, sich die Infor­ma­tio­nen zu beschaf­fen. Zwei­tens dar­über, was für Lebens­läu­fe in einem Land mit »real-exi­stie­ren­dem Sozia­lis­mus« mög­lich waren, gemeint ist die ČSSR. Nach deren Auf­lö­sung wech­sel­te Bon­dy 1993 aus Tsche­chi­en nach Bra­tis­la­va, in die Slo­wa­kei. Dafür gab es beruf­li­che und wohl noch mehr pri­va­te Grün­de. Egon Bon­dy bewahr­te sich damit vor Debat­ten und pein­li­chen Nach­fra­gen, denn zu sei­nem wüsten Leben gehör­te auch die zeit­wei­li­ge Infor­man­ten­tä­tig­keit für den tsche­cho­slo­wa­ki­schen Staats­si­cher­heits­dienst. Jan Fak­tor schreibt in sei­nem über­aus kennt­nis­rei­chen, tief­grün­di­gen und vor allem mit maß­vol­ler Sym­pa­thie ver­fass­ten Nach­wort, dass Bon­dys Sta­tus »Agent« in etwa dem »Inof­fi­zi­el­len Mit­ar­bei­ter« ent­sprä­che. (Aller­dings war die Mit­ar­beit Bon­dys wohl nie ein gro­ßes Geheimnis.)

Über­haupt kann das Nach­wort nicht genug gelobt wer­den. Es gibt die Ori­en­tie­rung, ohne die man sich in Bon­dys Erin­ne­rungs­text über sei­ne dich­te­ri­schen Anfangs­jah­re nicht zurecht­fin­den wür­de und ohne die man sie wohl auch nicht rich­tig ein­stu­fen könn­te. Denn Egon Bon­dy hat nach eige­nem Bekun­den »Die ersten zehn Jah­re« (gespie­gelt wird die Zeit zwi­schen 1947 und 1957) an sie­ben Arbeits­nach­mit­ta­gen nie­der­ge­schrie­ben. Und wenn man »Vater des tsche­chi­schen Under­grounds« ist oder so bezeich­net wird, dann ver­steht sich eine sub­jek­ti­ve Dar­stel­lung ohne Kom­pro­mis­se, dann wird so pro­vo­zie­rend geschrie­ben, wie man das erwar­ten darf, dann ist auch ein wenig Selbst­ge­fäl­lig­keit erlaubt. Dass im Buch zusätz­lich Aus­zü­ge aus Tage­bü­chern (1949-1950) zu lesen sind, das bringt den Text in ein Licht, das sozu­sa­gen eine »objek­ti­ve­re« Bewer­tung des Gele­se­nen mög­lich macht.

Dass man Bon­dys Auf­zeich­nun­gen über­haupt lesen kann, das darf man getrost als eine muti­ge ver­le­ge­ri­sche Tat bezeich­nen. Denn selbst­ver­ständ­lich ist es nicht, dass sol­che Bücher gewagt wer­den, und dies mit der Ent­schlos­sen­heit zum »Spe­zi­el­len«, bei sorg­fäl­ti­ger Gestal­tung und tief­grün­di­ger Beglei­tung durch Nach­wort und Erklä­rungs­ap­pa­rat. Aber genau das soll ja Lite­ra­tur eigent­lich lei­sten, dass sie uns über­ra­schen­de Kon­fron­ta­tio­nen ermöglicht.

Wie gesagt, ich hat­te und hät­te es nicht für mög­lich gehal­ten, dass Künst­ler in den zur Debat­te ste­hen­den »frü­hen Jah­ren« eines sich eta­blie­ren­den sta­li­ni­sti­schen Regimes so leben konn­ten, wie es Egon Bon­dy für April 1947 schil­dert. Er fut­tert einen Hack­fleisch­bra­ten auf einer Kunst­ver­eins­ter­ras­se: »Ich hat­te mei­nen famo­sen modi­schen, maß­ge­schnei­der­ten Anzug aus teu­rem Stoff und mei­ne berühm­ten wei­ßen maß­ge­schnei­der­ten Schu­he an, trug mei­ne berühm­te teu­re ame­ri­ka­ni­sche Kra­wat­te und eine teu­re Son­nen­bril­le. Ver­mut­lich hat­te ich bei all der Auf­ma­chung einen klei­nen ele­gan­ten fünf­ecki­gen roten Stern am Revers stecken, so wie damals bei Par­tei­ge­nos­sen und Sym­pa­thi­san­ten üblich.« Denn natür­lich wur­de die­ser Dan­dy auch Mit­glied der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei. Aber sei­ne Träu­me von Mar­xis­mus, Sur­rea­lis­mus, Kunst, Dich­tung, Phi­lo­so­phie waren Schäu­me: »Auch wenn ich immer noch Illu­sio­nen über eine mar­xi­sti­sche Rich­tig­stel­lung heg­te, war ich mir über den Cha­rak­ter unse­res Regimes schon im Herbst 1948 im Kla­ren. Die ter­ro­ri­sti­sche Ver­fol­gung durch die Poli­zei hat­te noch nicht ange­fan­gen, aber in den Zei­tun­gen wim­mel­te es von Hetz­ar­ti­keln jeg­li­cher Cou­leur …« Egon Bon­dy löste das Pro­blem auf sei­ne Wei­se, indem er ein Außen­sei­ter­le­ben führ­te. In des­sen Beschrei­bung riecht es gewal­tig nach Alko­hol, Räu­ber­pi­sto­le und Wei­ber­ge­schich­te, frei­lich fes­selnd zu lesen. Zum Bei­spiel die Geschich­te dar­über, wie er dem Mili­tär­dienst ent­ging, eine Über­bie­tung der Schwe­jk­schen Pos­se. Dabei war ihm die fürch­ter­li­che Situa­ti­on sei­nes Lan­des bewusst, er wuss­te von den Schau­pro­zes­sen, den Ver­fol­gun­gen, den Hun­dert­tau­sen­den in den Haft­an­stal­ten und Lagern. Aber: »Ver­mut­lich schaff­ten es nur Kri­mi­nel­le und Alko­ho­li­ker, ent­spannt auf der Ober­flä­che jener Zeit zu glei­ten – und ich war einer davon.«

Es ist gut, dass Jan Fak­tor für den Anhang des Buches eine Aus­wahl aus den Gedich­ten Bon­dys getrof­fen hat. Die­se sind bei­na­he das Beste am Buch. Bon­dy sprach per­fekt Deutsch, über­setz­te Chri­sti­an Mor­gen­stern ins Tsche­chi­sche und schrieb auch auf Deutsch. Es sind Tex­te vol­ler Vul­ga­ri­tät, von ver­meint­li­cher Ein­fach­heit und unge­mei­ner Treff­si­cher­heit. Im eben­falls samt Über­schrift deutsch geschrie­be­nen Text »Der jüdisch-faschi­sti­sche-bol­sche­wi­sti­sche Bon­dy schreibt auch ein­mal phil­an­thro­pisch« sind die­se immer noch zum Lachen rei­zen­den Ver­se zu lesen: »Vor allem lebe Wil­helm Pieck/​ich selbst bin auch ein biss­chen dick«. Ich konn­te nicht umhin, mir vor­zu­stel­len, wie die­se Zei­len zu einer Zeit gewirkt hät­ten, als Pieck als Prä­si­den­ten­fo­to in den Amts­stu­ben der DDR hing.

Es war also mög­lich, sol­che (und noch schär­fe­re) Ver­se zu schrei­ben, es war mög­lich, so zu leben, wie Egon Bon­dy es tat. Dar­um das »Staun!« Dem Gug­golz Ver­lag sei Dank für die Mög­lich­keit, Egon Bon­dy näher ken­nen­zu­ler­nen und mit gebüh­ren­dem Abstand zu bestau­nen. Das Stau­nen gilt auch der Über­set­zungs­kunst von Eva Profousová.

 Egon Bon­dy: Die ersten zehn Jah­re. Aus dem Tsche­chi­schen von Eva Pro­fou­so­vá. Mit einer Gedicht­aus­wahl von Jan Fak­tor, Über­set­zung der Gedich­te gemein­sam mit Annet­te Simon. Gug­golz Ver­lag, Ber­lin 2023, 236 S., 23 €.