Der Gebrauch der inflektierten Form in der Überschrift könnte den Eindruck erwecken, es gehe im Folgenden um Mickymaus-Sprache, also »seufz!, stöhn!, zisch!« usw. Nein, es geht um Zbyněk Fišer, der sich aus Protest gegen den stalinistischen Antisemitismus Egon Bondy nannte und der von 1930 bis 2007 lebte. Er ist wahrscheinlich die schrillste Figur, welche die an Käuzen nicht arme tschechische Literatur hervorgebracht hat. Doch nicht deswegen das »Staun!«, sondern einmal wegen Bondys überaus produktivem und unbekümmert anmutendem Umgang mit der Sprache. Sein zweistrophiges Gedicht »Ich« endet so: »Ich weiß genau/bin alte Sau/Alles Übrig‘ ist Überbau«. Zum anderen, weil man, mit diesem Buch konfrontiert, wirklich starr vor Staunen steht. Einmal darüber, was man nicht weiß oder wusste, obwohl es möglich gewesen wäre, sich die Informationen zu beschaffen. Zweitens darüber, was für Lebensläufe in einem Land mit »real-existierendem Sozialismus« möglich waren, gemeint ist die ČSSR. Nach deren Auflösung wechselte Bondy 1993 aus Tschechien nach Bratislava, in die Slowakei. Dafür gab es berufliche und wohl noch mehr private Gründe. Egon Bondy bewahrte sich damit vor Debatten und peinlichen Nachfragen, denn zu seinem wüsten Leben gehörte auch die zeitweilige Informantentätigkeit für den tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienst. Jan Faktor schreibt in seinem überaus kenntnisreichen, tiefgründigen und vor allem mit maßvoller Sympathie verfassten Nachwort, dass Bondys Status »Agent« in etwa dem »Inoffiziellen Mitarbeiter« entspräche. (Allerdings war die Mitarbeit Bondys wohl nie ein großes Geheimnis.)
Überhaupt kann das Nachwort nicht genug gelobt werden. Es gibt die Orientierung, ohne die man sich in Bondys Erinnerungstext über seine dichterischen Anfangsjahre nicht zurechtfinden würde und ohne die man sie wohl auch nicht richtig einstufen könnte. Denn Egon Bondy hat nach eigenem Bekunden »Die ersten zehn Jahre« (gespiegelt wird die Zeit zwischen 1947 und 1957) an sieben Arbeitsnachmittagen niedergeschrieben. Und wenn man »Vater des tschechischen Undergrounds« ist oder so bezeichnet wird, dann versteht sich eine subjektive Darstellung ohne Kompromisse, dann wird so provozierend geschrieben, wie man das erwarten darf, dann ist auch ein wenig Selbstgefälligkeit erlaubt. Dass im Buch zusätzlich Auszüge aus Tagebüchern (1949-1950) zu lesen sind, das bringt den Text in ein Licht, das sozusagen eine »objektivere« Bewertung des Gelesenen möglich macht.
Dass man Bondys Aufzeichnungen überhaupt lesen kann, das darf man getrost als eine mutige verlegerische Tat bezeichnen. Denn selbstverständlich ist es nicht, dass solche Bücher gewagt werden, und dies mit der Entschlossenheit zum »Speziellen«, bei sorgfältiger Gestaltung und tiefgründiger Begleitung durch Nachwort und Erklärungsapparat. Aber genau das soll ja Literatur eigentlich leisten, dass sie uns überraschende Konfrontationen ermöglicht.
Wie gesagt, ich hatte und hätte es nicht für möglich gehalten, dass Künstler in den zur Debatte stehenden »frühen Jahren« eines sich etablierenden stalinistischen Regimes so leben konnten, wie es Egon Bondy für April 1947 schildert. Er futtert einen Hackfleischbraten auf einer Kunstvereinsterrasse: »Ich hatte meinen famosen modischen, maßgeschneiderten Anzug aus teurem Stoff und meine berühmten weißen maßgeschneiderten Schuhe an, trug meine berühmte teure amerikanische Krawatte und eine teure Sonnenbrille. Vermutlich hatte ich bei all der Aufmachung einen kleinen eleganten fünfeckigen roten Stern am Revers stecken, so wie damals bei Parteigenossen und Sympathisanten üblich.« Denn natürlich wurde dieser Dandy auch Mitglied der Kommunistischen Partei. Aber seine Träume von Marxismus, Surrealismus, Kunst, Dichtung, Philosophie waren Schäume: »Auch wenn ich immer noch Illusionen über eine marxistische Richtigstellung hegte, war ich mir über den Charakter unseres Regimes schon im Herbst 1948 im Klaren. Die terroristische Verfolgung durch die Polizei hatte noch nicht angefangen, aber in den Zeitungen wimmelte es von Hetzartikeln jeglicher Couleur …« Egon Bondy löste das Problem auf seine Weise, indem er ein Außenseiterleben führte. In dessen Beschreibung riecht es gewaltig nach Alkohol, Räuberpistole und Weibergeschichte, freilich fesselnd zu lesen. Zum Beispiel die Geschichte darüber, wie er dem Militärdienst entging, eine Überbietung der Schwejkschen Posse. Dabei war ihm die fürchterliche Situation seines Landes bewusst, er wusste von den Schauprozessen, den Verfolgungen, den Hunderttausenden in den Haftanstalten und Lagern. Aber: »Vermutlich schafften es nur Kriminelle und Alkoholiker, entspannt auf der Oberfläche jener Zeit zu gleiten – und ich war einer davon.«
Es ist gut, dass Jan Faktor für den Anhang des Buches eine Auswahl aus den Gedichten Bondys getroffen hat. Diese sind beinahe das Beste am Buch. Bondy sprach perfekt Deutsch, übersetzte Christian Morgenstern ins Tschechische und schrieb auch auf Deutsch. Es sind Texte voller Vulgarität, von vermeintlicher Einfachheit und ungemeiner Treffsicherheit. Im ebenfalls samt Überschrift deutsch geschriebenen Text »Der jüdisch-faschistische-bolschewistische Bondy schreibt auch einmal philanthropisch« sind diese immer noch zum Lachen reizenden Verse zu lesen: »Vor allem lebe Wilhelm Pieck/ich selbst bin auch ein bisschen dick«. Ich konnte nicht umhin, mir vorzustellen, wie diese Zeilen zu einer Zeit gewirkt hätten, als Pieck als Präsidentenfoto in den Amtsstuben der DDR hing.
Es war also möglich, solche (und noch schärfere) Verse zu schreiben, es war möglich, so zu leben, wie Egon Bondy es tat. Darum das »Staun!« Dem Guggolz Verlag sei Dank für die Möglichkeit, Egon Bondy näher kennenzulernen und mit gebührendem Abstand zu bestaunen. Das Staunen gilt auch der Übersetzungskunst von Eva Profousová.
Egon Bondy: Die ersten zehn Jahre. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Mit einer Gedichtauswahl von Jan Faktor, Übersetzung der Gedichte gemeinsam mit Annette Simon. Guggolz Verlag, Berlin 2023, 236 S., 23 €.