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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Stahlarbeiter wollen Verfassung anwenden

Die Ent­wick­lung bei Thys­sen­krupp ist dra­ma­tisch. In kur­zer Zeit wur­den 3600 von rund 30.000 Arbeits­plät­zen ver­nich­tet, jetzt kün­dig­te der Kon­zern 5000 Ent­las­sun­gen an. Ins­ge­samt sol­len 11.000 Stel­len gestri­chen wer­den. Das bri­ti­sche Unter­neh­men Liber­ty Steel wür­de gern die Stahl­spar­te der Thys­sen­krupp AG über­neh­men. Doch dage­gen regt sich Wider­stand – mit nicht all­täg­li­chen For­de­run­gen: Die IG Metall plä­diert für die Betei­li­gung des Staa­tes an der Stahl­in­du­strie als Schlüs­sel­in­du­strie. Und auch die SPD im nord­rhein-west­fä­li­schen Land­tag deu­tet in der Novem­ber­aus­ga­be der Zeit­schrift Land­tag intern etwas in die­ser Rich­tung an.

Fast ver­ges­se­ne Zita­te aus der Lan­des­ver­fas­sung von Nord­rhein-West­fa­len wer­den als Argu­men­te genutzt; dort wur­den die Leh­ren aus Krieg und Faschis­mus gezo­gen. In Arti­kel 27 heißt es: »Groß­be­trie­be der Grund­stoff­in­du­strie und Unter­neh­men, die wegen ihrer mono­pol­ar­ti­gen Stel­lung beson­de­re Bedeu­tung haben, sol­len in Gemein­ei­gen­tum über­führt wer­den.« Schlüs­sel­in­du­strien haben die­se beson­de­re Bedeu­tung. Auf der Grund­la­ge des Arti­kels könn­ten Betrie­be wie Thys­sen­krupp oder Rhein­me­tall ver­ge­sell­schaf­tet und damit ihr mör­de­ri­sches Wir­ken, zum Bei­spiel als Rüstungs­be­trieb, aber auch als Kli­ma­kil­ler, been­det werden.

Die Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Naziregimes/​Bund der Anti­fa­schi­stin­nen und Anti­fa­schi­sten (VVN-BdA), Lan­des­ver­ei­ni­gung Nord­rhein-West­fa­len, schrieb der IG Metall: »Eure For­de­rung nach ›Staats­ein­stieg‹ zur Ret­tung der Stand­or­te der Thys­sen­krupp AG fin­det unse­re vol­le Unter­stüt­zung.« Ver­wie­sen wird auch auf die anti­fa­schi­sti­sche VVN-BdA-Pro­gram­ma­tik: »Gegen Erwerbs­lo­sig­keit, kom­mu­na­le Ver­schul­dung, Bil­dungs­not­stand und Begün­sti­gung des Bank­ka­pi­tals muss die Lan­des­ver­fas­sung Richt­schnur sein.« In der Lan­des­ver­fas­sung von 1950, ver­ab­schie­det in einer Volks­ab­stim­mung, heißt es: »Im Mit­tel­punkt des Wirt­schafts­le­bens steht das Wohl des Men­schen. Der Schutz sei­ner Arbeits­kraft hat den Vor­rang vor dem Schutz mate­ri­el­len Besit­zes. Jeder­mann hat ein Recht auf Arbeit. Der Lohn muss der Lei­stung ent­spre­chen und den ange­mes­se­nen Lebens­be­darf des Arbei­ten­den und sei­ner Fami­lie decken. Für glei­che Tätig­keit und glei­che Lei­stung besteht Anspruch auf glei­chen Lohn, das gilt auch für Frau­en und Jugend­li­che.« (Arti­kel 24)

Stim­men aus der IG Metall besa­gen: »Wer einen Staats­ein­stieg aus­schließt, han­delt unver­ant­wort­lich.« (Jür­gen Ker­ner, Auf­sichts­rats­mit­glied für die IG Metall bei Thys­sen­krupp). Kir­stin Zeid­ler, Dort­mun­der Betriebs­rats­vor­sit­zen­de des Kon­zerns, erklär­te: »Wir brau­chen den Ein­stieg des Staa­tes für die Umstel­lung auf eine umwelt­freund­li­che, CO2-neu­tra­le Stahlproduktion.«

Die Umwelt­the­ma­tik ist rele­vant, denn sechs Pro­zent der CO2-Pro­duk­ti­on in Deutsch­land gehen auf die Stahl­pro­duk­ti­on zurück. Des­halb sol­le eine Was­ser­stoff-Pro­duk­ti­on auf­ge­baut wer­den, sagt Bun­des­wirt­schafts­mi­ni­ster Peter Alt­mai­er. Doch die ist noch nicht anwend­bar und wür­de die CO2-Pro­duk­ti­on ver­grö­ßern, denn die ist erheb­lich bei der Schaf­fung von Was­ser­stoff. Not­wen­dig ist eine »grü­ne« Stahl­pro­duk­ti­on, bei der weni­ger Koh­le und mehr erneu­er­ba­re Ener­gie ein­ge­setzt wird. Dies wird auch von Umwelt­be­we­gun­gen wie Fri­days for Future gefordert.

Lan­ge gehört die VVN-BdA zu den weni­gen poli­ti­schen Akteu­ren, die sich auf die ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Grund­la­gen in der tages­po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung berie­fen. Im Jahr 2000 gab es einen bemer­kens­wer­ten Brief­wech­sel in Sachen Lan­des­ver­fas­sung. Als die nord­rhein-west­fä­li­sche VVN-BdA die Lan­des­re­gie­rung auf­for­der­te, die Lan­des­ver­fas­sung gegen die IG-Far­ben-Nach­fol­ger AG ins Spiel zu brin­gen, da ließ sie der grü­ne Mini­ster Micha­el Ves­per wis­sen: Der Absatz des Arti­kels, der der Ver­hü­tung des Miss­brauchs wirt­schaft­li­cher Macht gewid­met ist, habe »nur noch dekla­ma­to­ri­sche Bedeu­tung«, denn die­se Ver­hü­tung sei bun­des­ge­setz­lich gere­gelt. Dies, obwohl die Lan­des­ver­fas­sung erst 1950 in einer Volks­ab­stim­mung beschlos­sen wur­de, ein Jahr nach der Schaf­fung des Grund­ge­set­zes. Und auch das Grund­ge­setz sieht die Mög­lich­keit der »Sozia­li­sie­rung« (Über­schrift des Arti­kels 15) vor: »Grund und Boden, Natur­schät­ze und Pro­duk­ti­ons­mit­tel kön­nen zum Zwecke der Ver­ge­sell­schaf­tung durch ein Gesetz … in Gemein­ei­gen­tum oder in ande­re For­men der Gemein­wirt­schaft über­führt werden.«

Nun erin­nern die Gewerk­schaf­ten an die Lan­des­ver­fas­sung und das Grund­ge­setz – und dies nicht nur aus »dekla­ma­to­ri­schen« Gründen.

 

Sie­he auch »Pro­gram­ma­ti­sche Eck­punk­te« der VVN-BdA NRW: https://nrw-archiv.vvn-bda.de/bilder/progr_eckpunkte_2017.pdf.