Unter dem Titel »Wegspur Fontane – Eine Nachlese im Ruppiner Land« hat Till Sailer seinen Beitrag zum Jubiläumsjahr vorgelegt. Es ist nicht das erste Mal, dass der 1942 geborene Schriftsteller und Musiker sich dem Leben bedeutender Künstler widmet. Auch seine Kinderbücher zu Mozart und Bach und seine Romane »So groß die Last – Zwölf Kapitel Paul Gerhardt« sowie »In Liebe – Ihr Johannes Brahms« schlugen tragende Brücken in die Kulturgeschichte. Sailer sieht sich als Vermittler und Übersetzer. Sein Fundus an Geschichten und Anekdoten ist groß und noch lange nicht ausgeschöpft, wie das Fontane-Buch wieder einmal zeigt. Klarer Stil, freundlicher Blick auf widerstreitende Perspektiven, anhaltende Neugier und Hingabe bei einmal gewecktem Interesse machen den 168 Seiten starken Band zu einem besonderen Leseerlebnis. Beschaulichkeit in diesem wohlverstandenen Sinne hat nichts Langweiliges an sich.
Der Spurenleser wird zum Spurenleger, sobald der Nächste kommt. Diese Erfahrung erhebt Sailer zum Gestaltungsprinzip. Wohl orientiert er sich an den Wegen Fontanes und rückt sie ins Blickfeld des heutigen Lesers. Doch zugleich wendet er sich jenen zu, die dergleichen bereits vor ihm taten, vor allem Franz Fühmann, Joachim Seyppel und Lothar Lang. Sailer ruft nicht nur ihre Eindrücke wach, sondern nimmt sich auch ihrer Biografien und Zeitumstände an, der Gründe, weshalb sie auf märkischen Pfaden wandelten.
Pflege der literarischen und kulturhistorischen Erbschaft war manchmal nur ein Grund in der DDR, Historisches in Augenschein zu nehmen. Manchmal war es auch ein Wandern gegen die Zeitläufte, gegen eine eher harsche Gegenwart, eine bröselnde Utopie, eine Sprachlosigkeit, wo Weitersprechen auch Gefahr bedeutete, die Autoren Zuflucht in der Vergangenheit nehmen ließ. Oder es war, wie bei Christian Graf von Krockow in Wendezeiten, die differenzierte Wahrnehmung, von der Sailer sich herausgefordert fühlt.
Der Autor macht in seinem Buch keinen Hehl aus eigenen Anschauungen – von den Sujets ebenso wie ihren Betrachtern. Überdies geht er auf Schatzsuche und entdeckt neue Künstler, wie Matthias Zágon Hohl-Stein, oder beteiligt sich an der Entzauberung solcher Verheißungsstätten wie dem Rheinsberger Atomkraftwerk, das seit Jahrzehnten zurückgebaut und dekontaminiert wird. Auch eigene Erinnerungen kommen ins Spiel: vom berüchtigten 11. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 1965 über den Einmarsch von Truppen der Warschauer Vertragsstaaten 1968 in die CSSR bis zur Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976. Menschen, die sich wandeln unter dem Druck der Ereignisse. Menschen, die ihren Verhaltensmustern folgen; wer war Fontane? Lässt sich jede literarische Eloge als Abbild seiner Überzeugungen lesen? Auch hier gräbt Sailer nach in Briefen und Aufzeichnungen und wird fündig.
Das flache Land unweit Berlins war schon immer ein Hort freier Geister. Von Georg Heym bis Erich Arendt, von Kurt Tucholsky bis Eva Strittmatter, von den Arnims bis Günter de Bruyn macht Till Sailer neugierig auf sie, die Verehrten und die Vergessenen. Wo das Preußentum heimisch war, waren es auch die Kinder und Enkel des Kriegs. Große Wälder, viel Platz zum Schießen und Bombenwerfen Üben. Vielleicht war es mehr der Ärger über den Radau, den die Tiefflieger machten, als der Abscheu gegenüber dem Militär, dass eine Bürgerbewegung wie FREIe HEIDe schließlich stärker war als Bundespolitik und Bundeswehr. Aber auch das ist eine Erfahrung, die bewahrt sein will.
Der Band, den Till Sailer mit Fotos von Elke Lang vorgelegt hat, wird Fontane gerecht, weil er weit über den Autor und sein Werk hinausgeht. »Weit hinaus über alles Erwartete«, wie es bei Fontane im Schlusswort der »Wanderungen« heißt. Man wünscht dem einen wie dem anderen, dass es würdige Nachfolger gibt.
Till Sailer: »Wegspur Fontane. Eine Nachlese im Ruppiner Land«, vvb Verlag für Berlin-Brandenburg, 168 Seiten, 19,90 €
Henry-Martin Klemt, Jahrgang 1960, lebt als Journalist und Schriftsteller in Frankfurt (Oder). Zuletzt erschienen von ihm biografische und autobiografische Gedichte unter dem Titel »wurzelland.wo« sowie das Äthiopien-Tagebuch »Das Licht des 13. Mondes«. Außerdem gab er aus dem Nachlass die Gedichte von Klaus-Dieter Schönewerk (»Museum für Wunder«) und Eva Schönewerk (»Liebe muß der Wahrheit Schwester sein«) heraus.