Wenn heute von politischer Lyrik des Vormärz und der 1848-Revolution die Rede ist, fallen meist die Namen von Georg Herwegh (1817-1875), Ferdinand Freiligrath (1810-1876) und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), während der sozialistische Journalist und Lyriker Georg Weerth (1822-1856) seltener erwähnt wird. Auch im Vorjahr nahmen die Feuilletons kaum Notiz von seinem 200. Geburtstag. Aufgrund seiner politisch radikalen Verse und seiner satirischen Adelskritik wurden er und sein Werk fast ein Jahrhundert von der bürgerlichen Literaturgeschichte gänzlich totgeschwiegen. Der Grund lag sicher darin, dass Weerth als erster Dichter das frühe Industrieproletariat thematisierte. Friedrich Engels nannte Weerth 1883 den »ersten und bedeutendsten Dichter des deutschen Proletariats«. Doch trotz dieser Würdigung suchte man seinen Namen häufig vergebens in einschlägigen Literaturlexika. Erst nach 1945 änderte sich das. Während der Ostberliner Verlag Volk und Welt bereits 1948 einen Band mit »Ausgewählten Werken« (Hrsg. Bruno Kaiser) herausbrachte, erschien diese Ausgabe erst 1966 im westdeutschen Insel-Verlag. Die fünfbändige Ausgabe »Sämtliche Werke« des Aufbau Verlages (1956/57) war über Jahrzehnte das Standardwerk. Aber auch im vereinten Deutschland ist Weerth bisher kein anerkannter Klassiker geworden.
Georg Weerth wurde am 17. Februar 1822 in Detmold als Sohn eines Superintendenten geboren. Nach dem Schulabschluss begann er mit 14 Jahren eine kaufmännische Lehre in Elberfeld (heute Teil von Wuppertal). Dieser Beruf hat ihm sein ganzes Leben gefallen, daneben hat er sich schon sehr früh für Literatur interessiert. So schloss er sich 1839 dem von Ferdinand Freiligrath gegründeten Literaten-Kränzchen an. 1840 fand er eine Anstellung als Buchhalter bei einer Kölner Firma; danach ging er nach Bonn, wo er eine Stelle in der Firma eines nahen Verwandten annahm. Nebenbei besuchte Weerth Vorlesungen an der Bonner Universität und schrieb Beiträge für die Kölnische Zeitung. Außerdem erschienen erste Gedichte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.
Nach einem Zerwürfnis mit dem verwandtschaftlichen Brotgeber wegen seines Eintretens für die Pressefreiheit und gegen die Verunglimpfungen von Juden ging Weerth Ende 1843 schließlich nach Bradford in Yorkshire (Nordengland), um dort für zweieinhalb Jahre als Korrespondent in einem Textilunternehmen zu arbeiten. Bradford hatte den Ruf, die »traurigste aller englischen Fabrikstädte« zu sein. Weerth lernte hier die schlimmsten sozialen Gegensätze kennen. Diese Zeit sollte prägend für seine weitere Entwicklung werden und ihn politisieren. Er lernte die hochentwickelte industrielle Produktion, aber auch die Ausbeutung und das Elend des englischen Proletariats kennen. Seine Englandberichte wurden in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht. Bei einem Besuch in Manchester traf er Friedrich Engels, der ihn mit sozialistischen und kommunistischen Ideen vertraut machte. Angeregt durch die andauernde Freundschaft beschäftigte sich Weerth mit Politischer Ökonomie und trieb eigene Studien in den Bradforder Elendsquartieren. Die Ergebnisse seines schriftstellerischen Schaffens in England bildeten die »Skizzen aus dem sozialen und politischen Leben der Briten« und die »Lieder aus Lancashire«, ein elfteiliger Zyklus, der 1845 im Elberfelder Gesellschaftsspiegel erschien.
Von 1846 bis zur Februarrevolution 1848 arbeitete Weerth als Handelsvertreter in Brüssel, wo er fast täglichen Umgang mit Karl Marx hatte, den er bereits bei einer Reise im Sommer 1845 kennengelernt hatte. Die Begegnung mit Friedrich Engels und Karl Marx bewog Weerth dazu, sich der kommunistischen Bewegung anzuschließen. Er wurde eines der ersten Mitglieder des »Bundes der Kommunisten« und übernahm für das gegründete »Kommunistische Korrespondenzkomitee« Kurierdienste und Kontaktpflege. Großes Aufsehen erregte Weerth mit der Rede »Im Namen der Arbeiter« auf der Freihandelskonferenz im September 1847 in Brüssel, wo er die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus vortrug.
Als die Revolution im Februar 1848 in Paris ausbrach reiste Weerth sofort dahin in der Hoffnung, dass die Revolution »die Gestalt der Erde ändern« werde. Knapp vier Wochen später erreichte die revolutionäre Welle, die über ganz Europa hinwegbrauste, auch Deutschland. Im Mai arbeitete Weerth mit an der Neuen Rheinischen Zeitung, zu deren Redaktion neben Marx und Engels auch sein alter Bekannter Freiligrath gehörte. Weerth war verantwortlich für das Feuilleton. Dieser anspruchsvollen Aufgabe ordnete er sein literarisches Wirken völlig unter. Trotzdem erschien in der Zeitung als Fortsetzungsgeschichte der Roman »Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski«, eine Satire auf das preußische Junkertum. Die Geschichte des karrieresüchtigen Adligen Schnapphahnski, den er der Lächerlichkeit preisgab, brachte Weerth jedoch eine gerichtliche Verfolgung ein.
Die Arbeit am Feuilleton der Neuen Rheinischen Zeitung war zweifellos der Höhepunkt von Weerths literarischem und publizistischem Schaffen. Doch mit dem Verbot der Zeitung im April 1843 und der Niederlage der Revolution war seine schriftstellerische Laufbahn beendet. Desillusioniert und verbittert von den kleindeutschen Zuständen schrieb er an Marx: »An Revolutionen in Deutschland glaube ich nun einmal nicht.« Weerth wandte sich wieder seinem kaufmännischen Beruf zu. Im Auftrag einer Hamburger Firma unternahm er zahlreiche Geschäftsreisen in viele Länder. Sie führten ihn nach Holland, England und Schottland, aber auch nach Spanien und Portugal. In Paris kam es zu einem kurzen Treffen mit dem von ihm verehrten Heinrich Heine. Dazwischen musste Weerth eine dreimonatige Haftstrafe absitzen, zu der er wegen seines Romans »Schnapphahnski« verurteilt worden war.
Im Herbst 1851 traf er in London bzw. Manchester seine Kampfgefährten Marx und Engels wieder. Ihre Bemühungen, Weerth zu neuer politischer und literarischer Tätigkeit zu gewinnen, waren jedoch erfolglos. Wenig später verließ er Europa in Richtung »Neue Welt«, wo er die Agentur einer Firma aus Manchester übernahm. In ihrem Auftrag bereiste er die Karibik und Südamerika. 1855 kehrte er noch einmal nach Europa zurück, besuchte die Familie in Detmold und auch Marx in London. Im März 1856 entschloss er sich dann, nach Kuba überzusiedeln, um sich in Havanna endgültig niederzulassen. Doch schon nach kurzer Zeit befiel ihn dort das Tropenfieber. Georg Weerth starb am 30. Juli 1856 im Alter von 34 Jahren.
Georg Weerth nutzte unter den Dichtern des Vormärz mit Kurzprosa wie Reportagen, Feuilleton und Parodien sowie politischen Gedichten am entschiedensten die bürgerlich-demokratische Literatur als Sprachrohr des freiheitlichen Denkens. Mit sprühender Satire und Polemik griff er die bestehenden Zustände an, verspottete die Konterrevolution und das kompromissbereite Bürgertum. Seine besondere Leistung lag aber darin, erstmals das junge Industrieproletariat anschaulich und überzeugend in die deutsche Literatur eingeführt zu haben.