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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Sprachrohr des frühen Industrieproletariats

Wenn heu­te von poli­ti­scher Lyrik des Vor­märz und der 1848-Revo­lu­ti­on die Rede ist, fal­len meist die Namen von Georg Her­wegh (1817-1875), Fer­di­nand Frei­li­grath (1810-1876) und August Hein­rich Hoff­mann von Fal­lers­le­ben (1798-1874), wäh­rend der sozia­li­sti­sche Jour­na­list und Lyri­ker Georg Weerth (1822-1856) sel­te­ner erwähnt wird. Auch im Vor­jahr nah­men die Feuil­le­tons kaum Notiz von sei­nem 200. Geburts­tag. Auf­grund sei­ner poli­tisch radi­ka­len Ver­se und sei­ner sati­ri­schen Adels­kri­tik wur­den er und sein Werk fast ein Jahr­hun­dert von der bür­ger­li­chen Lite­ra­tur­ge­schich­te gänz­lich tot­ge­schwie­gen. Der Grund lag sicher dar­in, dass Weerth als erster Dich­ter das frü­he Indu­strie­pro­le­ta­ri­at the­ma­ti­sier­te. Fried­rich Engels nann­te Weerth 1883 den »ersten und bedeu­tend­sten Dich­ter des deut­schen Pro­le­ta­ri­ats«. Doch trotz die­ser Wür­di­gung such­te man sei­nen Namen häu­fig ver­ge­bens in ein­schlä­gi­gen Lite­ra­tur­le­xi­ka. Erst nach 1945 änder­te sich das. Wäh­rend der Ost­ber­li­ner Ver­lag Volk und Welt bereits 1948 einen Band mit »Aus­ge­wähl­ten Wer­ken« (Hrsg. Bru­no Kai­ser) her­aus­brach­te, erschien die­se Aus­ga­be erst 1966 im west­deut­schen Insel-Ver­lag. Die fünf­bän­di­ge Aus­ga­be »Sämt­li­che Wer­ke« des Auf­bau Ver­la­ges (1956/​57) war über Jahr­zehn­te das Stan­dard­werk. Aber auch im ver­ein­ten Deutsch­land ist Weerth bis­her kein aner­kann­ter Klas­si­ker geworden.

Georg Weerth wur­de am 17. Febru­ar 1822 in Det­mold als Sohn eines Super­in­ten­den­ten gebo­ren. Nach dem Schul­ab­schluss begann er mit 14 Jah­ren eine kauf­män­ni­sche Leh­re in Elber­feld (heu­te Teil von Wup­per­tal). Die­ser Beruf hat ihm sein gan­zes Leben gefal­len, dane­ben hat er sich schon sehr früh für Lite­ra­tur inter­es­siert. So schloss er sich 1839 dem von Fer­di­nand Frei­li­grath gegrün­de­ten Lite­ra­ten-Kränz­chen an. 1840 fand er eine Anstel­lung als Buch­hal­ter bei einer Köl­ner Fir­ma; danach ging er nach Bonn, wo er eine Stel­le in der Fir­ma eines nahen Ver­wand­ten annahm. Neben­bei besuch­te Weerth Vor­le­sun­gen an der Bon­ner Uni­ver­si­tät und schrieb Bei­trä­ge für die Köl­ni­sche Zei­tung. Außer­dem erschie­nen erste Gedich­te in ver­schie­de­nen Zei­tun­gen und Zeitschriften.

Nach einem Zer­würf­nis mit dem ver­wandt­schaft­li­chen Brot­ge­ber wegen sei­nes Ein­tre­tens für die Pres­se­frei­heit und gegen die Ver­un­glimp­fun­gen von Juden ging Weerth Ende 1843 schließ­lich nach Brad­ford in York­shire (Nord­eng­land), um dort für zwei­ein­halb Jah­re als Kor­re­spon­dent in einem Tex­til­un­ter­neh­men zu arbei­ten. Brad­ford hat­te den Ruf, die »trau­rig­ste aller eng­li­schen Fabrik­städ­te« zu sein. Weerth lern­te hier die schlimm­sten sozia­len Gegen­sät­ze ken­nen. Die­se Zeit soll­te prä­gend für sei­ne wei­te­re Ent­wick­lung wer­den und ihn poli­ti­sie­ren. Er lern­te die hoch­ent­wickel­te indu­stri­el­le Pro­duk­ti­on, aber auch die Aus­beu­tung und das Elend des eng­li­schen Pro­le­ta­ri­ats ken­nen. Sei­ne Eng­land­be­rich­te wur­den in der Köl­ni­schen Zei­tung ver­öf­fent­licht. Bei einem Besuch in Man­che­ster traf er Fried­rich Engels, der ihn mit sozia­li­sti­schen und kom­mu­ni­sti­schen Ideen ver­traut mach­te. Ange­regt durch die andau­ern­de Freund­schaft beschäf­tig­te sich Weerth mit Poli­ti­scher Öko­no­mie und trieb eige­ne Stu­di­en in den Brad­for­der Elends­quar­tie­ren. Die Ergeb­nis­se sei­nes schrift­stel­le­ri­schen Schaf­fens in Eng­land bil­de­ten die »Skiz­zen aus dem sozia­len und poli­ti­schen Leben der Bri­ten« und die »Lie­der aus Lan­cashire«, ein elf­tei­li­ger Zyklus, der 1845 im Elber­fel­der Gesell­schafts­spie­gel erschien.

Von 1846 bis zur Febru­ar­re­vo­lu­ti­on 1848 arbei­te­te Weerth als Han­dels­ver­tre­ter in Brüs­sel, wo er fast täg­li­chen Umgang mit Karl Marx hat­te, den er bereits bei einer Rei­se im Som­mer 1845 ken­nen­ge­lernt hat­te. Die Begeg­nung mit Fried­rich Engels und Karl Marx bewog Weerth dazu, sich der kom­mu­ni­sti­schen Bewe­gung anzu­schlie­ßen. Er wur­de eines der ersten Mit­glie­der des »Bun­des der Kom­mu­ni­sten« und über­nahm für das gegrün­de­te »Kom­mu­ni­sti­sche Kor­re­spon­denz­ko­mi­tee« Kurier­dien­ste und Kon­takt­pfle­ge. Gro­ßes Auf­se­hen erreg­te Weerth mit der Rede »Im Namen der Arbei­ter« auf der Frei­han­dels­kon­fe­renz im Sep­tem­ber 1847 in Brüs­sel, wo er die Ideen des wis­sen­schaft­li­chen Sozia­lis­mus vortrug.

Als die Revo­lu­ti­on im Febru­ar 1848 in Paris aus­brach rei­ste Weerth sofort dahin in der Hoff­nung, dass die Revo­lu­ti­on »die Gestalt der Erde ändern« wer­de. Knapp vier Wochen spä­ter erreich­te die revo­lu­tio­nä­re Wel­le, die über ganz Euro­pa hin­weg­brau­ste, auch Deutsch­land. Im Mai arbei­te­te Weerth mit an der Neu­en Rhei­ni­schen Zei­tung, zu deren Redak­ti­on neben Marx und Engels auch sein alter Bekann­ter Frei­li­grath gehör­te. Weerth war ver­ant­wort­lich für das Feuil­le­ton. Die­ser anspruchs­vol­len Auf­ga­be ord­ne­te er sein lite­ra­ri­sches Wir­ken völ­lig unter. Trotz­dem erschien in der Zei­tung als Fort­set­zungs­ge­schich­te der Roman »Leben und Taten des berühm­ten Rit­ters Schnapp­hahn­ski«, eine Sati­re auf das preu­ßi­sche Jun­ker­tum. Die Geschich­te des kar­rie­re­süch­ti­gen Adli­gen Schnapp­hahn­ski, den er der Lächer­lich­keit preis­gab, brach­te Weerth jedoch eine gericht­li­che Ver­fol­gung ein.

Die Arbeit am Feuil­le­ton der Neu­en Rhei­ni­schen Zei­tung war zwei­fel­los der Höhe­punkt von Weerths lite­ra­ri­schem und publi­zi­sti­schem Schaf­fen. Doch mit dem Ver­bot der Zei­tung im April 1843 und der Nie­der­la­ge der Revo­lu­ti­on war sei­ne schrift­stel­le­ri­sche Lauf­bahn been­det. Des­il­lu­sio­niert und ver­bit­tert von den klein­deut­schen Zustän­den schrieb er an Marx: »An Revo­lu­tio­nen in Deutsch­land glau­be ich nun ein­mal nicht.« Weerth wand­te sich wie­der sei­nem kauf­män­ni­schen Beruf zu. Im Auf­trag einer Ham­bur­ger Fir­ma unter­nahm er zahl­rei­che Geschäfts­rei­sen in vie­le Län­der. Sie führ­ten ihn nach Hol­land, Eng­land und Schott­land, aber auch nach Spa­ni­en und Por­tu­gal. In Paris kam es zu einem kur­zen Tref­fen mit dem von ihm ver­ehr­ten Hein­rich Hei­ne. Dazwi­schen muss­te Weerth eine drei­mo­na­ti­ge Haft­stra­fe absit­zen, zu der er wegen sei­nes Romans »Schnapp­hahn­ski« ver­ur­teilt wor­den war.

Im Herbst 1851 traf er in Lon­don bzw. Man­che­ster sei­ne Kampf­ge­fähr­ten Marx und Engels wie­der. Ihre Bemü­hun­gen, Weerth zu neu­er poli­ti­scher und lite­ra­ri­scher Tätig­keit zu gewin­nen, waren jedoch erfolg­los. Wenig spä­ter ver­ließ er Euro­pa in Rich­tung »Neue Welt«, wo er die Agen­tur einer Fir­ma aus Man­che­ster über­nahm. In ihrem Auf­trag berei­ste er die Kari­bik und Süd­ame­ri­ka. 1855 kehr­te er noch ein­mal nach Euro­pa zurück, besuch­te die Fami­lie in Det­mold und auch Marx in Lon­don. Im März 1856 ent­schloss er sich dann, nach Kuba über­zu­sie­deln, um sich in Havan­na end­gül­tig nie­der­zu­las­sen. Doch schon nach kur­zer Zeit befiel ihn dort das Tro­pen­fie­ber. Georg Weerth starb am 30. Juli 1856 im Alter von 34 Jahren.

Georg Weerth nutz­te unter den Dich­tern des Vor­märz mit Kurz­pro­sa wie Repor­ta­gen, Feuil­le­ton und Par­odien sowie poli­ti­schen Gedich­ten am ent­schie­den­sten die bür­ger­lich-demo­kra­ti­sche Lite­ra­tur als Sprach­rohr des frei­heit­li­chen Den­kens. Mit sprü­hen­der Sati­re und Pole­mik griff er die bestehen­den Zustän­de an, ver­spot­te­te die Kon­ter­re­vo­lu­ti­on und das kom­pro­miss­be­rei­te Bür­ger­tum. Sei­ne beson­de­re Lei­stung lag aber dar­in, erst­mals das jun­ge Indu­strie­pro­le­ta­ri­at anschau­lich und über­zeu­gend in die deut­sche Lite­ra­tur ein­ge­führt zu haben.