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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Spott sei Dank!

Es war ein Geschenk zu sei­nem 76. Geburts­tag, über­reicht in mei­ner Hei­mat­stadt Frank­furt. Am 19. Juni 2023 erfuhr der bri­ti­sche Autor Sal­man Rush­die, dass er den Frie­dens­preis des Deut­schen Buch­han­dels erhält. Am 22. Okto­ber wur­de er in einer Fei­er­stun­de in der Pauls­kir­che für sein schrift­stel­le­ri­sches Leben geehrt. Rush­die, der seit dem Erschei­nen sei­nes Buches Die sata­ni­schen Ver­se um sein Leben fürch­ten muss­te, bedank­te sich mit einer Rede, in der er auf die Bedeu­tung von Frie­den und Mei­nungs­frei­heit einging.

»Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt hät­te, sie erle­ben zu müs­sen«, sag­te er. Es sei eine Zeit, in der die Mei­nungs­frei­heit von reak­tio­nä­ren, auto­ri­tä­ren, popu­li­sti­schen, dem­ago­gi­schen, halb­ge­bil­de­ten, nazi­sti­schen und acht­lo­sen Stim­men ange­grif­fen wer­de. »Eine Zeit, in der extre­mi­sti­sche Reli­gio­nen und bigot­te Ideo­lo­gien begin­nen, in Lebens­be­rei­che vor­zu­drin­gen, in denen sie nichts zu suchen haben.« Rush­die mein­te den poli­ti­schen Islam. Für Isla­mi­sten war und ist Sal­man Rush­die ein Satan.

Ein Jahr vor der Preis­ver­lei­hung, am 12. August 2022. hat­te er ein Atten­tat – moti­viert durch eine Fat­wa, die der ira­ni­sche Revo­lu­ti­ons­füh­rer Aja­tol­lah Cho­mei­ni am 14. Febru­ar l989 gegen ihn erlas­sen hat­te – im US-Staat New York knapp über­lebt. Seit­dem ist er auf einem Auge erblin­det. In den USA wie in Euro­pa zeig­te man sich nach dem Atten­tat empört über die­sen spä­ten Ver­such, den reli­giö­sen Bann­fluch Cho­mei­nis zu voll­strecken, wie man sich in west­li­chen Intel­lek­tu­el­len-Zir­keln schon immer empört zeig­te über die isla­mi­sche Gewohn­heit, reli­gi­ons­kri­ti­sche Gedan­ken mit Gewalt aus der Welt zu schaf­fen. Rush­die habe – so der jun­ge mos­le­mi­sche Irr­läu­fer spä­ter vor Gericht – »reli­giö­se Gefüh­le« verletzt.

Und dann Char­lie Heb­do. Hat­ten auch die Macher des fran­zö­si­schen Sati­re­ma­ga­zins isla­mi­sche Gefüh­le ver­letzt, als sie Moham­med-Kari­ka­tu­ren abdruck­ten? War das Mas­sa­ker im Jahr 2015 mit zwölf Toten nicht die Ant­wort ver­letz­ter Gläu­bi­ger auf die Pro­vo­ka­ti­on – eine Reak­ti­on dar­auf, weil sie ihre Reli­gi­on nicht respek­tiert sahen? Und der Päd­ago­ge Samu­el Paty, dem ein fana­ti­scher Irr­läu­fer vor knapp vier Jah­ren in einem Vor­ort von Paris den Kopf abschnitt, weil er sei­nen Schü­lern Moham­med-Kari­ka­tu­ren zeig­te und damit reli­giö­se Gefüh­le ver­letz­te – hat­te sich nicht auch die­ser Leh­rer irgend­wie als unbe­lehr­bar erwiesen?

Atten­ta­te, Mord­an­schlä­ge und Mas­sa­ker im Namen Allahs – wes­halb hat sich in der isla­mi­schen Glau­bens­welt kein macht­vol­ler Pro­test gegen das Abschlach­ten unbot­mä­ßi­ger Ungläu­bi­ger erho­ben? All das Grau­en­vol­le, das Schreck­li­che, das Fana­ti­sche hat natür­lich nichts mit dem Islam zu tun, wie gut­gläu­bi­ge Men­schen immer wie­der beteuern.

Und wie stehts mit der Reak­ti­on in den Brei­ten­gra­den des auf­ge­klär­ten Gei­stes? Also in Kul­tu­ren, die Kari­ka­tu­ren von Jesus Chri­stus und dem Papst mitt­ler­wei­le gelas­sen zur Kennt­nis neh­men, weil Kir­chen- und Reli­gi­ons­kri­tik nun mal den Ursprung der Auf­klä­rung bil­den – des »Aus­gangs des Men­schen aus sei­ner selbst­ver­schul­de­ten Unmün­dig­keit«, wie Imma­nu­el Kant anno 1784 formulierte?

Wir dür­fen gern in Erin­ne­rung rufen: Wir leben in kei­nem Got­tes-Staat, son­dern in einem Ver­fas­sungs­staat. Unser Staat schützt kei­nen Gott. Er schützt allein den Gläu­bi­gen, nicht aber den Glau­ben. Reli­gio­nen jeder Aus­prä­gung dür­fen samt deren irdi­scher Advo­ka­ten kri­ti­siert, belä­chelt, ja auch ver­spot­tet werden.

Frank­reich war das erste Land, in dem Got­tes­lä­ste­rung 1891 straf­frei wur­de. Es ist seit­her ein lai­zi­sti­sches Land. Auch Groß­bri­tan­ni­en, die Nie­der­lan­de, Däne­mark und Irland haben den Straf­tat­be­stand abge­schafft. In Euro­pa steht in Ita­li­en, Spa­ni­en, Grie­chen­land und Polen Blas­phe­mie nach wie vor unter Stra­fe. Auch in Deutsch­land und Österreich.

Im § 166 StGB der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gilt Got­tes­lä­ste­rung noch immer als Straf­tat­be­stand (ein Ver­ge­hen). Es macht sich straf­bar, »wer öffent­lich oder durch Ver­brei­ten von Schrif­ten den Inhalt des reli­giö­sen oder welt­an­schau­li­chen Bekennt­nis­ses ande­rer in einer Wei­se beschimpft, die geeig­net ist, den öffent­li­chen Frie­den zu stö­ren«, und wird »mit Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder mit Geld­stra­fe bestraft«.

Auch in Öster­reich kann, wer die Kir­che oder eine ande­re reli­giö­se Gemein­schaft ver­spot­tet, in Kon­flikt mit dem Gesetz kom­men – nach § 188 des Straf­ge­setz­bu­ches. Denn dort steht: »Wer öffent­lich eine Per­son oder eine Sache, die den Gegen­stand der Ver­eh­rung einer im Inland bestehen­den Kir­che oder Reli­gi­ons­ge­sell­schaft bil­det, oder eine Glau­bens­leh­re, einen gesetz­lich zuläs­si­gen Brauch oder eine gesetz­lich zuläs­si­ge Ein­rich­tung einer sol­chen Kir­che oder Reli­gi­ons­ge­sell­schaft unter Umstän­den her­ab­wür­digt oder ver­spot­tet, unter denen sein Ver­hal­ten geeig­net ist, berech­tig­tes Ärger­nis zu erre­gen, ist mit Frei­heits­stra­fe bis zu sechs Mona­ten oder mit Geld­stra­fe bis zu 360 Tages­sät­zen zu bestrafen.«

In Erin­ne­rung bleibt der Fall des Kari­ka­tu­ri­sten Ger­hard Hade­rer. Für sein Comic-Buch »Das Leben des Jesus« wur­de er 2002 nach die­sem oft »Blas­phe­mie-Para­graf« genann­ten Gesetz ange­zeigt. 2003 stell­te die Staats­an­walt­schaft Wien das Ver­fah­ren wie­der ein. Wer kle­ri­ka­le Ein­rich­tun­gen oder Gebräu­che ver­spot­tet, muss also kaum mehr mit einer Anzei­ge rech­nen. Nur wenn der Spott geeig­net ist, den öffent­li­chen Frie­den zu stö­ren, darf die Justiz eingreifen.

Es ist also durch­aus erlaubt, den gekreu­zig­ten Jesus als »Bal­ken­sepp« zu bezeich­nen, wenn dadurch kei­ne Chri­sten­men­schen in welt­li­chen Auf­ruhr gera­ten. Nur der »öffent­li­che Frie­de« darf dadurch nicht gestört wer­den. Kurz­um: Es kommt weni­ger auf die Ver­un­glimp­fung selbst an als auf die mög­li­che Reak­ti­on der Gläu­bi­gen. Frei­lich: Ver­ge­hen gegen den Blas­phe­mie-Para­graf wer­den hier­zu­lan­de nur noch sel­ten vor Gericht ver­han­delt. Wir leben in einer semi-säku­la­ren Gesell­schaft. Aller­dings nicht, wenn es um den Pro­phe­ten Moham­med geht. Dann trifft der Zorn der mos­le­mi­schen Reli­gi­ons­hü­ter alle, die sich hier «schul­dig« machen – nicht sel­ten durch Selbstjustiz.

Dabei ist offen­sicht­lich, dass es sich hier um eine gro­tes­ke Umkeh­rung des »Täter-Opfer-Prin­zips« han­delt, denn selbst­ver­ständ­lich wird der öffent­li­che Frie­de nicht durch kri­ti­sche Kari­ka­tu­ren oder Wort­mel­dun­gen gestört, son­dern durch reli­giö­se Fana­ti­ker, die nicht hin­neh­men wol­len, dass ihr Gott, lächer­lich gemacht oder ver­höhnt wer­den kann.

Nein, es steht nicht beson­ders gut um die Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft der Frei­heit, um den Ein­satz für frei­es Den­ken und Reden. Wer es wagt, dar­auf zu bestehen, dass die­se ver­spä­te­te Reli­gi­on unse­rer offe­nen Gesell­schaft feind­lich gegen­über­steht, bei dem wird »Isla­mo­pho­bie« dia­gno­sti­ziert – ein krank­haf­ter Zustand, der drin­gend ärzt­li­cher Kon­sul­ta­ti­on (oder eben staat­li­cher Ver­fol­gung) bedarf. Wen oder was aber »ver­letzt« der­je­ni­ge eigent­lich, der sich über tota­li­tä­re Glau­bens­sehn­süch­te lustig macht?

Dabei tut sol­cher Zeit­ge­nos­se – Genos­sin­nen auch – genau das, was des Demo­kra­ten Pflicht ist: Kampf dem Tota­li­ta­ris­mus, gegen Herr­schafts­ideo­lo­gie jeg­li­cher Cou­leur, die das Ende der Frei­heit bedeuteten.

Gegen den spi­ri­tu­el­len Islam ist gar nichts ein­zu­wen­den, gegen den poli­ti­schen Islam indes­sen alles, was Auf­klä­rung, Säku­la­ri­tät, Demo­kra­tie und Rechts­staat, was die Frei­heit gegen die Unfrei­heit ein­zu­wen­den hat.

Dass Sal­man Rush­die in mei­ner Hei­mat­stadt geehrt wur­de, war ein Zei­chen. Ein State­ment für eine offe­ne, libe­ra­le Gesell­schaft. Ein Tag, an dem ich dank­bar war, in die­ser Stadt zu leben.

Vom Autor gera­de erschie­nen: Hei­mat­kun­de. Fal­sche Wahr­hei­ten. Rich­ti­ge Lügen, Edi­ti­on Faust, 208 S., 22 €.