Es war ein Geschenk zu seinem 76. Geburtstag, überreicht in meiner Heimatstadt Frankfurt. Am 19. Juni 2023 erfuhr der britische Autor Salman Rushdie, dass er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Am 22. Oktober wurde er in einer Feierstunde in der Paulskirche für sein schriftstellerisches Leben geehrt. Rushdie, der seit dem Erscheinen seines Buches Die satanischen Verse um sein Leben fürchten musste, bedankte sich mit einer Rede, in der er auf die Bedeutung von Frieden und Meinungsfreiheit einging.
»Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt hätte, sie erleben zu müssen«, sagte er. Es sei eine Zeit, in der die Meinungsfreiheit von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, nazistischen und achtlosen Stimmen angegriffen werde. »Eine Zeit, in der extremistische Religionen und bigotte Ideologien beginnen, in Lebensbereiche vorzudringen, in denen sie nichts zu suchen haben.« Rushdie meinte den politischen Islam. Für Islamisten war und ist Salman Rushdie ein Satan.
Ein Jahr vor der Preisverleihung, am 12. August 2022. hatte er ein Attentat – motiviert durch eine Fatwa, die der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini am 14. Februar l989 gegen ihn erlassen hatte – im US-Staat New York knapp überlebt. Seitdem ist er auf einem Auge erblindet. In den USA wie in Europa zeigte man sich nach dem Attentat empört über diesen späten Versuch, den religiösen Bannfluch Chomeinis zu vollstrecken, wie man sich in westlichen Intellektuellen-Zirkeln schon immer empört zeigte über die islamische Gewohnheit, religionskritische Gedanken mit Gewalt aus der Welt zu schaffen. Rushdie habe – so der junge moslemische Irrläufer später vor Gericht – »religiöse Gefühle« verletzt.
Und dann Charlie Hebdo. Hatten auch die Macher des französischen Satiremagazins islamische Gefühle verletzt, als sie Mohammed-Karikaturen abdruckten? War das Massaker im Jahr 2015 mit zwölf Toten nicht die Antwort verletzter Gläubiger auf die Provokation – eine Reaktion darauf, weil sie ihre Religion nicht respektiert sahen? Und der Pädagoge Samuel Paty, dem ein fanatischer Irrläufer vor knapp vier Jahren in einem Vorort von Paris den Kopf abschnitt, weil er seinen Schülern Mohammed-Karikaturen zeigte und damit religiöse Gefühle verletzte – hatte sich nicht auch dieser Lehrer irgendwie als unbelehrbar erwiesen?
Attentate, Mordanschläge und Massaker im Namen Allahs – weshalb hat sich in der islamischen Glaubenswelt kein machtvoller Protest gegen das Abschlachten unbotmäßiger Ungläubiger erhoben? All das Grauenvolle, das Schreckliche, das Fanatische hat natürlich nichts mit dem Islam zu tun, wie gutgläubige Menschen immer wieder beteuern.
Und wie stehts mit der Reaktion in den Breitengraden des aufgeklärten Geistes? Also in Kulturen, die Karikaturen von Jesus Christus und dem Papst mittlerweile gelassen zur Kenntnis nehmen, weil Kirchen- und Religionskritik nun mal den Ursprung der Aufklärung bilden – des »Ausgangs des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«, wie Immanuel Kant anno 1784 formulierte?
Wir dürfen gern in Erinnerung rufen: Wir leben in keinem Gottes-Staat, sondern in einem Verfassungsstaat. Unser Staat schützt keinen Gott. Er schützt allein den Gläubigen, nicht aber den Glauben. Religionen jeder Ausprägung dürfen samt deren irdischer Advokaten kritisiert, belächelt, ja auch verspottet werden.
Frankreich war das erste Land, in dem Gotteslästerung 1891 straffrei wurde. Es ist seither ein laizistisches Land. Auch Großbritannien, die Niederlande, Dänemark und Irland haben den Straftatbestand abgeschafft. In Europa steht in Italien, Spanien, Griechenland und Polen Blasphemie nach wie vor unter Strafe. Auch in Deutschland und Österreich.
Im § 166 StGB der Bundesrepublik Deutschland gilt Gotteslästerung noch immer als Straftatbestand (ein Vergehen). Es macht sich strafbar, »wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören«, und wird »mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«.
Auch in Österreich kann, wer die Kirche oder eine andere religiöse Gemeinschaft verspottet, in Konflikt mit dem Gesetz kommen – nach § 188 des Strafgesetzbuches. Denn dort steht: »Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.«
In Erinnerung bleibt der Fall des Karikaturisten Gerhard Haderer. Für sein Comic-Buch »Das Leben des Jesus« wurde er 2002 nach diesem oft »Blasphemie-Paragraf« genannten Gesetz angezeigt. 2003 stellte die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren wieder ein. Wer klerikale Einrichtungen oder Gebräuche verspottet, muss also kaum mehr mit einer Anzeige rechnen. Nur wenn der Spott geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, darf die Justiz eingreifen.
Es ist also durchaus erlaubt, den gekreuzigten Jesus als »Balkensepp« zu bezeichnen, wenn dadurch keine Christenmenschen in weltlichen Aufruhr geraten. Nur der »öffentliche Friede« darf dadurch nicht gestört werden. Kurzum: Es kommt weniger auf die Verunglimpfung selbst an als auf die mögliche Reaktion der Gläubigen. Freilich: Vergehen gegen den Blasphemie-Paragraf werden hierzulande nur noch selten vor Gericht verhandelt. Wir leben in einer semi-säkularen Gesellschaft. Allerdings nicht, wenn es um den Propheten Mohammed geht. Dann trifft der Zorn der moslemischen Religionshüter alle, die sich hier «schuldig« machen – nicht selten durch Selbstjustiz.
Dabei ist offensichtlich, dass es sich hier um eine groteske Umkehrung des »Täter-Opfer-Prinzips« handelt, denn selbstverständlich wird der öffentliche Friede nicht durch kritische Karikaturen oder Wortmeldungen gestört, sondern durch religiöse Fanatiker, die nicht hinnehmen wollen, dass ihr Gott, lächerlich gemacht oder verhöhnt werden kann.
Nein, es steht nicht besonders gut um die Verteidigungsbereitschaft der Freiheit, um den Einsatz für freies Denken und Reden. Wer es wagt, darauf zu bestehen, dass diese verspätete Religion unserer offenen Gesellschaft feindlich gegenübersteht, bei dem wird »Islamophobie« diagnostiziert – ein krankhafter Zustand, der dringend ärztlicher Konsultation (oder eben staatlicher Verfolgung) bedarf. Wen oder was aber »verletzt« derjenige eigentlich, der sich über totalitäre Glaubenssehnsüchte lustig macht?
Dabei tut solcher Zeitgenosse – Genossinnen auch – genau das, was des Demokraten Pflicht ist: Kampf dem Totalitarismus, gegen Herrschaftsideologie jeglicher Couleur, die das Ende der Freiheit bedeuteten.
Gegen den spirituellen Islam ist gar nichts einzuwenden, gegen den politischen Islam indessen alles, was Aufklärung, Säkularität, Demokratie und Rechtsstaat, was die Freiheit gegen die Unfreiheit einzuwenden hat.
Dass Salman Rushdie in meiner Heimatstadt geehrt wurde, war ein Zeichen. Ein Statement für eine offene, liberale Gesellschaft. Ein Tag, an dem ich dankbar war, in dieser Stadt zu leben.
Vom Autor gerade erschienen: Heimatkunde. Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen, Edition Faust, 208 S., 22 €.