Erneut in seiner jüngeren Geschichte sieht sich Iran der Gefahr eines US-Krieges gegenüber. Die aktuell allerdings noch umso gravierender ist, als sich im Bunde mit der Trump-Administration auf regionaler Ebene zwischen Israel und den arabischen Golfstaaten eine vor allem auch militärisch mächtige anti-iranische-Achse ausprägt. Die ohnehin von Konflikten und Kriegen gebeutelte Nah- und Mittelostregion gerät dadurch noch mehr in den Strudel immer gefährlicherer Destabilisierungsdynamiken mit weitreichenden Wirkungen – auch bis zu uns nach Europa und Deutschland. Zwar brüstet sich der US-Präsident damit, einen bereits angelaufenen Militärschlag quasi in letzter Minute unterbunden zu haben und im Übrigen auch überhaupt keinen Krieg zu wollen. Derweil läuft aber die US-Militärmaschinerie auf Hochtouren, und nichts deutet auf eine Entschärfung des anti-iranischen Konfrontationskurses hin. Nicht umsonst mehren sich die Stimmen – auch in den USA selbst –, die nachdrücklich vor einem Krieg gegen Iran und dessen unabsehbaren Folgen warnen.
Einseitige Schuldzuweisungen zur Rechtfertigung
Gemäß Trump verfolgt Iran »eine regionale Agenda der Aggression und Expansion« und trägt damit die Verantwortung für »Chaos, Tod und Zerstörung« in Nah- und Mittelost. Dass die USA mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg 2003 gegen Irak die eigentliche Ursache dafür sind, kommt ihm selbstverständlich nicht in den Sinn. Für den US-Präsidenten scheint ohnehin nur das »Recht des Stärkeren« zu gelten, nicht aber das universell geltende Völkerrecht.
Was interessiert ihn schon der Umstand, mit seinem im Mai 2018 verfügten Ausstieg aus dem sogenannten Atomabkommen, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), die UN-Sicherheitsratsresolution 2231 (2015) verletzt und mithin Völkerrecht gebrochen zu haben. Dabei ist er sich der Unterstützung durch Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gewiss, die wie er von Anfang an gegen JCPOA zu Felde zogen. Unablässig drängt die Allianz europäische und andere Regierungen dazu, Iran weltweit zu isolieren.
Mit seinem Ausstieg aus JCPOA ordnete Trump zugleich die Wiederbelebung jener Strafmaßnahmen an, die nach dem erfolgreichen Abschluss des Atomabkommens Anfang 2016 außer Kraft gesetzt worden waren. Inzwischen sind die Wirtschaftssanktionen und das Ölembargo gegen Iran wieder voll in Gang gesetzt. Auch gilt für Trump erneut das Prinzip: Wer Geschäfte mit Iran macht, macht keine Geschäfte mit den USA! Anderenfalls drohen der Verlust des Zugangs zum US-Markt oder auch der Ausschluss aus dem dollarbasierten Finanzsystem. Die Verhängung immer weiterer Sanktionen gehört anscheinend für ihn zum Alltagsgeschäft. So folgte dem Abschuss der augenscheinlich doch in iranisches Hoheitsgebiet eingedrungenen US-Drohne flugs die Verhängung von Sanktionen gegen acht Kommandeure der Islamischen Revolutionsgarden. Gleichfalls sanktioniert wurden der Oberste Religionsführer Ali Khamenei und dessen unmittelbares Umfeld. Trump hält solche Sanktionen für eine »starke und proportionale Antwort auf die ständigen provokativen Akte Irans«, die solange fortgesetzt würden, wie Teheran »seine gefährlichen Aktivitäten und Aspirationen« nicht aufgäbe. Zwar war es Trump, der aus JCPOA ausgestiegen ist; aber weil er dessen Zustandekommen als miesen Deal ansieht, vermeint er sich im Recht. Auch dazu, Iran mit Krieg zu bedrohen, indem er eine massierte Kriegsmaschinerie und Truppenverbände vor die iranische Küste im Persischen Golf beordert sowie unter Umgehung des Kongresses einen Rüstungsliefervertrag mit Saudi-Arabien über ein Volumen von acht Milliarden Dollar genehmigt.
Anti-Iran-Konfrontation zur Durchsetzung von »Keep America great!«?
So kritisch man Trumps jetzige Iran-Politik bewerten muss; so steht sie nicht minder im Kontext bisheriger feindseliger US-Politik gegenüber Teheran. Und zwar begründet 1979 mit dem Sturz des von der CIA 1953 an die Macht geputschten Schahs und der nachfolgenden Proklamierung der Islamischen Republik. Alles Bestreben, die damit einhergehende Verschiebung der nah- und mittelöstlichen Kräftebalance zu Lasten US-amerikanischen Einflusses und seiner regionalen Verbündeten zu korrigieren, blieben bislang erfolglos. So hatten die evangelikalen Christen, auf die sich Trump besonders stützt und denen sich Außenminister Mike Pompeo und Vizepräsident Mike Pence zugehörig fühlen, bereits George W. Bush zu einem Krieg gegen Iran zu drängen versucht. Der Neokonservative John Bolton wollte Iran schon vor einem Jahrzehnt lieber bombardieren, als mit ihm einen Atom-Deal abzuschließen, und er macht es sich jetzt zu einer vordringlichen Aufgabe, den vom Washingtoner politischen Establishment schon so lange ersehnten Regime-Wechsel in Teheran endlich herbeizuführen. Entsprechend dem Trumpschen Anspruch, Amerika nicht nur wieder »groß zu machen«, sondern es »groß zu halten«.
Auf jeden Fall aber soll Iran, koste es was es wolle, in die Botmäßigkeit gegenüber den USA gezwungen werden. Was konkret hieße, einem umfassenden Waffenkontrollmechanismus zuzustimmen, die Unterstützung für die Machthaber in Damaskus komplett einzustellen, die Kooperation mit Gruppierungen wie Hisbollah in Libanon, Hamas im Gaza-Streifen oder Huthi in Jemen sofort zu beenden sowie sich zum Abschluss eines neuen, an US-Vorgaben ausgerichteten Vertrages bereit zu zeigen.
In einem von Außenminister Pompeo im Mai 2018 gegenüber Iran verkündeten 12-Punkte-Forderungskatalog sind diese wie weitere Auflagen – so der Stopp sämtlicher Nuklearaktivitäten, einschließlich der Urananreicherung in geringen Mengen und die Einstellung des Raketenprogramms – als Voraussetzung für ein Ende der Sanktionen formuliert. Während Saudi-Arabien oder auch Israel ihr Rüstungsarsenal beständig erweitern und sogar kriegerisch einsetzen, soll Iran offenkundig völlig entmilitarisiert sein; bloß weil er im Verständnis der USA als missliebig eingestuft ist.
Schließlich soll Iran auch nicht davon irritiert sein, wenn die USA auf die Schaffung einer Nahöstlichen Strategischen Allianz (Middle East Strategic Alliance – MESA) hinwirken, als erklärtem Bollwerk »gegen die iranische Aggression, gegen Terrorismus und Extremismus, für die Gewährleistung der Stabilität in der Region«. Verschiedentlich schon als »Arabische NATO« bezeichnet, in die neben den Golfstaaten auch Ägypten und Jordanien einbezogen werden sollen, mit Israel als strategischem Verbündeten.
Wer Frieden will, muss auf Dialog und Interessenausgleich setzen
Niemand sollte sich deshalb wundern, wenn sich das Mullah-Regime in Iran nicht so einfach in die Knie zwingen lässt. Die Spielräume, die es für seinen tatsächlich gewachsenen Einfluss heute nutzt, sind in hohem Maße das Ergebnis verfehlter US- wie übriger westlicher Politik. Seien es nun der Krieg 2003 gegen Irak, die Missachtung der legitimen palästinensischen Interessen durch Israel oder die Instrumentalisierung der innersyrischen Auseinandersetzungen für die Anzettelung eines Regime Change in Damaskus.
Warum eigentlich wurde westlicherseits wie seitens Israels oder anderer Staaten der Region der vom iranischen Außenminister Zarif wiederholt, darunter auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2018, unterbreitete und von UN-Generalsekretär António Guterres goutierte Vorschlag zur Initiierung eines Dialogprozesses in der Golfregion nicht aufgegriffen? Speziell die Bundesregierung hätte für sich hier ein wichtiges Wirkungsfeld erschließen können, ihrer für sich beanspruchten Konfliktlösungskompetenz vor allem auch unter Nutzung ihrer derzeitigen Präsenz im UN-Sicherheitsrat gerecht zu werden.
Allein Bekenntnisse, am JCPOA festhalten zu wollen, ohne jedoch gleichzeitig zu entschlossenem Handeln bereit zu sein, reichen jedenfalls nicht aus.
Stattdessen Iran davor zu warnen, seinerseits aus JCPOA auszusteigen und auf eine »unbegrenzte« Urananreicherung zu optieren, ist scheinheilig. Das lässt sich nur als Versuch werten, die eigene Verantwortung dabei zu kaschieren und letztlich Trump die weltpolitische Agenda allein bestimmen zu lassen.
Prof. Dr. sc. phil. Karin Kulow, Studium der Arabistik und Islamwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Langjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit zur Entwicklung politischer Systeme in arabischen Nahostländern an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Berlin (Ost). Vielfältige ehrenamtliche Tätigkeit, darunter als Mitglied im »Gesprächskreis Frieden« der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Aktuelle Publikationen: Karin Kulow: »Politisches Erdbeben in Nah- und Mittelost? Wozu die anti-iranische Achse führen kann«, in WeltTrends, Das außenpolitische Journal, Potsdam, November 2018, S. 4 – 8; Karin Kulow: »US-Sanktionen gegen Iran: Bis hin zum ›heißen‹ Krieg und völligen Chaos in der Nah- und Mittelostregion?«, https://isw.muenchen.de, 30. Mai 2019.