Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Spaß an Philosophie

Jens Spar­schuh ist ein pfif­fi­ger Erzäh­ler von All­tags­ge­schich­ten, pro­mo­vier­ter Phi­lo­soph, und er ist ein Schlitz­ohr. Sein neu­es Buch macht die­sem Ruf alle Ehre. Es erzählt von Dr. Anton Lich­ten­au, Pri­vat­do­zent für Phi­lo­so­phie – ein ruhi­ger, anspruchs­lo­ser und unprak­ti­scher Zeit­ge­nos­se. Er han­gelt sich gera­de so durchs Leben: Rezen­sio­nen über Fach­bü­cher, weni­ge Vor­trä­ge und vor allem Aus­hilfs-Vor­le­sun­gen an der Uni­ver­si­tät für Pro­fes­sor Brei­ten­bach, den Chef der Abtei­lung Phi­lo­so­phie. Der­zeit lebt Lich­ten­au zusam­men mit Isa­bell, einer Ver­lags­lek­to­rin, die sich vor allem mit Tri­vi­al­li­te­ra­tur-Autoren her­um­plagt. Alles wenig spek­ta­ku­lär, aber genau beob­ach­tet. Weder der All­tag die­ser Aka­de­mi­ker noch der Uni-Betrieb oder das Gen­dern ent­ge­hen dem spöt­ti­schen Blick. Hin­zu kommt: Lich­ten­au schätzt die Phi­lo­so­phie von Hans Vai­lin­ger und ver­sucht, sie sei­nen Stu­den­ten nahe­zu­brin­gen. Vai­lin­gers Haupt­werk heißt »Die Phi­lo­so­phie des Als-Ob«. Es geht dabei um Hypo­the­sen und Fik­tio­nen, Mög­li­ches und Unmög­li­ches, Rich­ti­ges und Fal­sches. Etwa, dass sich Rich­ti­ges (erfolg­rei­ches Han­deln, Pro­blem­lö­sun­gen) mit fal­schen Annah­men errei­chen lässt, dass Fik­ti­ves im Wirk­li­chen sei­nen Platz hat. »Die Wahr­heit ist nur der zweck­mä­ßig­ste Irr­tum«, ist eine der The­sen Vailingers.

Man glaubt es kaum: Im Unter­schied zum fik­ti­ven Lich­ten­au gab es Vai­lin­ger tat­säch­lich (1852-1933). Bis auf die Leu­te vom Fach dürf­te ihn kaum einer ken­nen. Spar­schuh, der von 1973 bis 1978 in Lenin­grad Phi­lo­so­phie stu­diert hat, spielt in sei­nem Buch anhand des unspek­ta­ku­lä­ren Lebens von Lich­ten­au mit den The­sen Vai­lin­gers, spielt auch mit Auto­bio­gra­fi­schem und Fik­ti­vem und lässt den Leser im Zwei­fel, wie ernst alles gemeint ist. Was wäre gewe­sen, bezie­hungs­wei­se was wäre nicht pas­siert, wenn Lich­ten­au, wie vor­ge­se­hen, Phi­lo­so­phie in Lenin­grad stu­diert hät­te? Wie fik­tio­nal dür­fen die Figu­ren in den von Isa­bell lek­to­rier­ten Büchern sein? Was hat ein Traum mit der Wirk­lich­keit zu tun? Wie Spar­schuh mit sei­ner Beschrei­bung das Komi­sche an Lich­ten­aus Leben ans Licht beför­dert, ver­quickt er spie­lend Vai­lin­gers The­sen mit der Art, wie Lich­ten­au auf sein Leben blickt. Das ist durch­aus ernst gemeint und gleich­zei­tig hei­ter, leicht. So, wie es im Buch nicht geklärt wird, ob die Phi­lo­so­phie in den kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en ihren Platz behal­ten soll, so unge­wiss bleibt es, ob Spar­schuh vor allem sei­nen Spaß über die Nütz­lich­keit der Phi­lo­so­phie im wirk­li­chen Leben treibt. Der Leser hat auf alle Fäl­le sei­nen Spaß daran.

Jens Spar­schuh: Nicht wirk­lich. Ein Roman. Kie­pen­heu­er & Witsch, Köln 2023, 221 S., 22 €.