Jens Sparschuh ist ein pfiffiger Erzähler von Alltagsgeschichten, promovierter Philosoph, und er ist ein Schlitzohr. Sein neues Buch macht diesem Ruf alle Ehre. Es erzählt von Dr. Anton Lichtenau, Privatdozent für Philosophie – ein ruhiger, anspruchsloser und unpraktischer Zeitgenosse. Er hangelt sich gerade so durchs Leben: Rezensionen über Fachbücher, wenige Vorträge und vor allem Aushilfs-Vorlesungen an der Universität für Professor Breitenbach, den Chef der Abteilung Philosophie. Derzeit lebt Lichtenau zusammen mit Isabell, einer Verlagslektorin, die sich vor allem mit Trivialliteratur-Autoren herumplagt. Alles wenig spektakulär, aber genau beobachtet. Weder der Alltag dieser Akademiker noch der Uni-Betrieb oder das Gendern entgehen dem spöttischen Blick. Hinzu kommt: Lichtenau schätzt die Philosophie von Hans Vailinger und versucht, sie seinen Studenten nahezubringen. Vailingers Hauptwerk heißt »Die Philosophie des Als-Ob«. Es geht dabei um Hypothesen und Fiktionen, Mögliches und Unmögliches, Richtiges und Falsches. Etwa, dass sich Richtiges (erfolgreiches Handeln, Problemlösungen) mit falschen Annahmen erreichen lässt, dass Fiktives im Wirklichen seinen Platz hat. »Die Wahrheit ist nur der zweckmäßigste Irrtum«, ist eine der Thesen Vailingers.
Man glaubt es kaum: Im Unterschied zum fiktiven Lichtenau gab es Vailinger tatsächlich (1852-1933). Bis auf die Leute vom Fach dürfte ihn kaum einer kennen. Sparschuh, der von 1973 bis 1978 in Leningrad Philosophie studiert hat, spielt in seinem Buch anhand des unspektakulären Lebens von Lichtenau mit den Thesen Vailingers, spielt auch mit Autobiografischem und Fiktivem und lässt den Leser im Zweifel, wie ernst alles gemeint ist. Was wäre gewesen, beziehungsweise was wäre nicht passiert, wenn Lichtenau, wie vorgesehen, Philosophie in Leningrad studiert hätte? Wie fiktional dürfen die Figuren in den von Isabell lektorierten Büchern sein? Was hat ein Traum mit der Wirklichkeit zu tun? Wie Sparschuh mit seiner Beschreibung das Komische an Lichtenaus Leben ans Licht befördert, verquickt er spielend Vailingers Thesen mit der Art, wie Lichtenau auf sein Leben blickt. Das ist durchaus ernst gemeint und gleichzeitig heiter, leicht. So, wie es im Buch nicht geklärt wird, ob die Philosophie in den kulturwissenschaftlichen Studien ihren Platz behalten soll, so ungewiss bleibt es, ob Sparschuh vor allem seinen Spaß über die Nützlichkeit der Philosophie im wirklichen Leben treibt. Der Leser hat auf alle Fälle seinen Spaß daran.
Jens Sparschuh: Nicht wirklich. Ein Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, 221 S., 22 €.