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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Spanien aktuell

Sie war ein Erd­be­ben für Spa­ni­ens Sozia­li­sten: die Par­la­ments­wahl am 2. Dezem­ber 2018 in Anda­lu­si­en. Die Wahl war die erste seit 1982 in Anda­lu­si­en, bei der ein lin­kes Bünd­nis kei­ne Mehr­heit bekam. Bis dato regier­te Mini­ster­prä­si­den­tin Sus­a­na Díaz (Part­ido Socia­li­sta Obre­ro Espa­ñol – PSOE) in einer Koali­ti­on mit dem Par­tei­en­bünd­nis »Adel­an­te Anda­lucía«, bestehend aus Pode­mos, der Izquer­da Uni­da (IU) sowie zwei Grü­nen­par­tei­en Izquier­da Anda­lu­ci­s­ta (Anda­lu­si­sche Lin­ke) und Pri­ma­ve­ra Anda­lu­za (Anda­lu­si­scher Früh­ling). Nach der Wahl ver­fügt PSOE nur noch über 33 der ins­ge­samt 109 Sit­ze im Par­la­ment, »Adel­an­te Anda­lucía« brach­te es auf 17 Abge­ord­ne­te. Für die bür­ger­li­chen Par­tei­en Part­ido Popu­lar (26 Sit­ze) und Ciu­da­d­a­nos (21 Sit­ze) war die Wahl­nie­der­la­ge der Lin­ken die Chan­ce, eine Regie­rung zu bil­den. Dafür hol­ten sie als Mehr­heits­be­schaf­fer die Vox ins Boot. Vox fei­er­te den Sieg in Anda­lu­si­en als den Beginn einer zwei­ten »Recon­qui­sta«. Aus dem Stand errang die rechts­extre­mi­sti­sche Par­tei zwölf Man­da­te. Der Schock erfass­te ganz Spanien.

Bis zur Wahl 2018 in Anda­lu­si­en waren sich die Wahl­for­scher einig, dass Rech­te in Spa­ni­en kei­ne Stim­men gewin­nen wür­den. Die Erin­ne­run­gen an den Dik­ta­tor Fran­cis­co Fran­co sind noch prä­sent und waren für vie­le bis­her eine Hemm­schwel­le. Aller­dings ver­hin­der­te bis heu­te beson­ders die Part­ido Popu­lar (PP) eine Auf­ar­bei­tung des Fran­qu­is­mus. Anders als in Frank­reich, Ita­li­en, Polen und Ungarn, neu auch Däne­mark und Schwe­den, spiel­te bei der Wahl von Vox nur in Alme­ría das The­ma Migran­ten eine Rol­le. In Alme­ría, wo Gemü­se in Pla­stik-Gewächs­häu­sern für Euro­pas Super­märk­te ange­baut wird, kom­men die Arbeits­kräf­te aus Nord­afri­ka und afri­ka­ni­schen Äquatorstaaten.

Vox wird nicht Teil der PP-Ciu­da­d­a­nos-Regie­rung in Anda­lu­si­en – die Abspra­che heißt: Unter­stüt­zung durch Vox. Ihre Wäh­ler konn­te Vox mit The­men wie Kata­lo­nien­kon­flikt, Ein­wan­de­rung, Exhu­mie­rung von Fran­co sowie Kri­mi­na­li­tät mobi­li­sie­ren. Laut­stark ver­kün­de­te Vox, mit den Kata­la­nen gehe die PSOE-Regie­rung in Madrid zu scho­nend um. Für die Vox-Poli­ti­ker sind die in Madrid regie­ren­den Sozia­li­sten eben­so wie alle kata­la­ni­schen Poli­ti­ker »Spa­ni­en­fein­de und Lan­des­ver­rä­ter«. Dabei hat­te Pedro Sán­chez gehofft, mit der Wahl in Anda­lu­si­en Rücken­wind für sei­ne Poli­tik zu bekom­men. Dem ist aber nicht so.

Vor gut vier­zig Jah­ren, am 6. Dezem­ber 1978, stimm­ten die Spa­ni­er in einem Refe­ren­dum der aktu­ell gül­ti­gen spa­ni­schen Ver­fas­sung zu. Sie war in der Zeit der »Tran­si­ción« ent­stan­den, der Peri­ode des Über­gangs von der Fran­co-Dik­ta­tur zu der heu­ti­gen par­la­men­ta­ri­schen Monarchie.

Am 6. Dezem­ber 2018 gab es im Par­la­ment eine Pre­mie­re – es war das erste Mal, dass die spa­ni­sche Königs­fa­mi­lie gemein­sam unter der Kup­pel des Par­la­ments saß. Das Pro­to­koll sah die Anwe­sen­heit des eme­ri­tier­ten und des amtie­ren­den Königs nicht vor. Feli­pe VI. woll­te so sei­nen Vater Juan Car­los für sei­ne Rol­le wür­di­gen, die er beim Über­gang von der Fran­co-Dik­ta­tur zur Demo­kra­tie gespielt hat­te. Ver­drängt wur­de damit, dass es Fran­co gewe­sen war, der Juan Car­los zum König von Spa­ni­en gekürt hat­te. Auch nann­te Feli­pe die spa­ni­sche Ver­fas­sung einen »gro­ßen Pakt des Zusam­men­le­bens und der Ein­tracht«, was ange­sichts der Pro­ble­me im Land wohl nicht ganz stimmt.

Erin­nert sei dar­an, dass eine Regie­rung der PP unter Mini­ster­prä­si­dent Maria­no Rajoy mit dem Arti­kel 155 der Ver­fas­sung eine gewähl­te Regio­nal­re­gie­rung absetz­te. Der Arti­kel ist kein Rest aus der Fran­co-Zeit, er wur­de in Anleh­nung an den Arti­kel 37 des Grund­ge­set­zes der Bun­des­re­pu­blik gefasst.

Mit ihrem Hun­ger­streik ab dem 1. Dezem­ber im Lle­do­nors-Gefäng­nis woll­ten der von Madrid abge­setz­te kata­la­ni­sche Mini­ster Jor­di Turull und der Ex-Vor­sit­zen­de des ANC (Kata­la­ni­sche Natio­nal­ver­samm­lung) Jor­di Sán­chez auf ihr Schick­sal auf­merk­sam machen. In ihrer Erklä­rung war­fen Turull und Sán­chez dem spa­ni­schen Ver­fas­sungs­ge­richt vor, ihr Beru­fungs­ver­fah­ren vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) zu blockie­ren. Seit dem 3. Dezem­ber betei­lig­ten sich auch die frü­he­ren kata­la­ni­schen Mini­ster Joa­quim Forn und Jos­eff Rull an dem Hun­ger­streik, den alle vier inhaf­tier­ten Kata­la­nen kurz vor dem 21. Dezem­ber beendeten.

Wie geplant begann am Mor­gen des 21. Dezem­ber 2018 im alten Bör­sen­ge­bäu­de, der Lon­ja de Mar, unweit der Ufer­pro­me­na­de die erste Sit­zung des spa­ni­schen Kabi­netts in Bar­ce­lo­na. Mini­ster­prä­si­dent Pedro Sán­chez und sei­ne Mini­ster woll­ten mit ihrer Rei­se demon­strie­ren, wie ernst sie die Wün­sche und For­de­run­gen der Kata­la­nen neh­men. Für die Befür­wor­ter einer unab­hän­gi­gen Repu­blik Kata­lo­ni­en war das nur eine wei­te­re Zumu­tung sei­tens der Zen­tral­re­gie­rung aus Madrid. Aus­ge­rech­net am Jah­res­tag der Regio­nal­wahl vom 21. Dezem­ber 2017 tag­te die spa­ni­sche Regie­rung in Bar­ce­lo­na. Ein Jahr zuvor hat­ten bei der Wahl erneut jene Par­tei­en eine Mehr­heit gewon­nen, die für ein unab­hän­gi­ges Kata­lo­ni­en eintreten.

Das »No pasá­ran« (Sie wer­den nicht durch­kom­men) aus dem spa­ni­schen Bür­ger­krieg war am 21. Dezem­ber 2018 der Ruf der Assem­blea Nacio­nal Cata­l­a­na (ANC) und des Komi­tees zur Ver­tei­di­gung der Repu­blik. Geschützt wur­de der Ver­samm­lungs­ort von der Policía Nacio­nal und der Guar­dia Civil mit rund 10.000 Ein­satz­kräf­ten. So konn­ten die Regie­rungs­mit­glie­der ihren Sit­zungs­ort ohne grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten betre­ten und ver­las­sen, auch wenn am Mor­gen zeit­wei­se mehr als 20 Stra­ßen und Auto­bah­nen in Kata­lo­ni­en und Bar­ce­lo­na blockiert waren und es zu Zusam­men­stö­ßen zwi­schen Sicher­heits­kräf­ten und Demon­stran­ten kam.

Beschlos­sen wur­den vom Kabi­nett 100 Mil­lio­nen Euro für den Stra­ßen­bau in Kata­lo­ni­en. Ver­kün­det wur­de auch die Erhö­hung des Min­dest­lohns und der Beam­ten­ge­häl­ter. Der Flug­ha­fen El Prat erhält den Namen Josep Tar­ra­del­las. Der Mann wur­de am 19. Janu­ar 1899 in Cer­vel­ló in Kata­lo­ni­en gebo­ren, war ab 1954 der Prä­si­dent der Gene­ra­li­tat im Exil und von 1977 bis 1980 Prä­si­dent der pro­vi­so­ri­schen Gene­ra­li­tat. Tar­ra­del­las starb am 10. Juni 1988 in Barcelona.

Am Abend des 20. Dezem­bers traf sich Pedro Sán­chez mit dem kata­la­ni­schen Regio­nal­prä­si­den­ten Quim Tor­ra. Das Tref­fen in Bar­ce­lo­na war eine Geste guten Wil­lens gegen­über der Regie­rung Torras.

Im Par­la­ment von Madrid wer­den das kata­la­ni­schen Wahl­bünd­nis JxCat und der ERC der Min­der­heits­re­gie­rung von Pedro Sán­chez bei den Haus­halts­be­schlüs­sen hel­fen. Die Oppo­si­ti­ons­par­tei­en Part­ido Popu­lar (PP) und Ciu­da­d­a­nos kri­ti­sie­ren, dass Sán­chez den kata­la­ni­schen Sepa­ra­ti­sten viel zu weit ent­ge­gen­kom­me, um sein poli­ti­sches Über­le­ben zu sichern. »Ver­rat an Spa­ni­en« heißt es dazu bei der PP.

In Madrid und Bar­ce­lo­na sind die Hoff­nun­gen groß, dass sich die jüng­ste Ent­span­nung als dau­er­haft erweist. Die Span­nun­gen wer­den jedoch wie­der zuneh­men, das zeig­te schon die Über­füh­rung der poli­ti­schen Gefan­ge­nen aus den kata­la­ni­schen Haft­an­stal­ten in die Gefäng­nis­se in Madrid. Es ist die Fra­ge, was die Bil­der der vor­aus­sicht­lich ab 12. Febru­ar auf der Ankla­ge­bank in Madrid sit­zen­den poli­ti­schen Gefan­ge­nen in Kata­lo­ni­en aus­lö­sen wer­den. Die kata­la­ni­sche Regio­nal­re­gie­rung jeden­falls hat ange­kün­digt, dem Mini­ster­prä­si­den­ten eine Rei­he von Lösungs­vor­schlä­gen im Kon­flikt zwi­schen Kata­lo­ni­en und Spa­ni­en zu übermitteln.