Sie war ein Erdbeben für Spaniens Sozialisten: die Parlamentswahl am 2. Dezember 2018 in Andalusien. Die Wahl war die erste seit 1982 in Andalusien, bei der ein linkes Bündnis keine Mehrheit bekam. Bis dato regierte Ministerpräsidentin Susana Díaz (Partido Socialista Obrero Español – PSOE) in einer Koalition mit dem Parteienbündnis »Adelante Andalucía«, bestehend aus Podemos, der Izquerda Unida (IU) sowie zwei Grünenparteien Izquierda Andalucista (Andalusische Linke) und Primavera Andaluza (Andalusischer Frühling). Nach der Wahl verfügt PSOE nur noch über 33 der insgesamt 109 Sitze im Parlament, »Adelante Andalucía« brachte es auf 17 Abgeordnete. Für die bürgerlichen Parteien Partido Popular (26 Sitze) und Ciudadanos (21 Sitze) war die Wahlniederlage der Linken die Chance, eine Regierung zu bilden. Dafür holten sie als Mehrheitsbeschaffer die Vox ins Boot. Vox feierte den Sieg in Andalusien als den Beginn einer zweiten »Reconquista«. Aus dem Stand errang die rechtsextremistische Partei zwölf Mandate. Der Schock erfasste ganz Spanien.
Bis zur Wahl 2018 in Andalusien waren sich die Wahlforscher einig, dass Rechte in Spanien keine Stimmen gewinnen würden. Die Erinnerungen an den Diktator Francisco Franco sind noch präsent und waren für viele bisher eine Hemmschwelle. Allerdings verhinderte bis heute besonders die Partido Popular (PP) eine Aufarbeitung des Franquismus. Anders als in Frankreich, Italien, Polen und Ungarn, neu auch Dänemark und Schweden, spielte bei der Wahl von Vox nur in Almería das Thema Migranten eine Rolle. In Almería, wo Gemüse in Plastik-Gewächshäusern für Europas Supermärkte angebaut wird, kommen die Arbeitskräfte aus Nordafrika und afrikanischen Äquatorstaaten.
Vox wird nicht Teil der PP-Ciudadanos-Regierung in Andalusien – die Absprache heißt: Unterstützung durch Vox. Ihre Wähler konnte Vox mit Themen wie Katalonienkonflikt, Einwanderung, Exhumierung von Franco sowie Kriminalität mobilisieren. Lautstark verkündete Vox, mit den Katalanen gehe die PSOE-Regierung in Madrid zu schonend um. Für die Vox-Politiker sind die in Madrid regierenden Sozialisten ebenso wie alle katalanischen Politiker »Spanienfeinde und Landesverräter«. Dabei hatte Pedro Sánchez gehofft, mit der Wahl in Andalusien Rückenwind für seine Politik zu bekommen. Dem ist aber nicht so.
Vor gut vierzig Jahren, am 6. Dezember 1978, stimmten die Spanier in einem Referendum der aktuell gültigen spanischen Verfassung zu. Sie war in der Zeit der »Transición« entstanden, der Periode des Übergangs von der Franco-Diktatur zu der heutigen parlamentarischen Monarchie.
Am 6. Dezember 2018 gab es im Parlament eine Premiere – es war das erste Mal, dass die spanische Königsfamilie gemeinsam unter der Kuppel des Parlaments saß. Das Protokoll sah die Anwesenheit des emeritierten und des amtierenden Königs nicht vor. Felipe VI. wollte so seinen Vater Juan Carlos für seine Rolle würdigen, die er beim Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie gespielt hatte. Verdrängt wurde damit, dass es Franco gewesen war, der Juan Carlos zum König von Spanien gekürt hatte. Auch nannte Felipe die spanische Verfassung einen »großen Pakt des Zusammenlebens und der Eintracht«, was angesichts der Probleme im Land wohl nicht ganz stimmt.
Erinnert sei daran, dass eine Regierung der PP unter Ministerpräsident Mariano Rajoy mit dem Artikel 155 der Verfassung eine gewählte Regionalregierung absetzte. Der Artikel ist kein Rest aus der Franco-Zeit, er wurde in Anlehnung an den Artikel 37 des Grundgesetzes der Bundesrepublik gefasst.
Mit ihrem Hungerstreik ab dem 1. Dezember im Lledonors-Gefängnis wollten der von Madrid abgesetzte katalanische Minister Jordi Turull und der Ex-Vorsitzende des ANC (Katalanische Nationalversammlung) Jordi Sánchez auf ihr Schicksal aufmerksam machen. In ihrer Erklärung warfen Turull und Sánchez dem spanischen Verfassungsgericht vor, ihr Berufungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu blockieren. Seit dem 3. Dezember beteiligten sich auch die früheren katalanischen Minister Joaquim Forn und Joseff Rull an dem Hungerstreik, den alle vier inhaftierten Katalanen kurz vor dem 21. Dezember beendeten.
Wie geplant begann am Morgen des 21. Dezember 2018 im alten Börsengebäude, der Lonja de Mar, unweit der Uferpromenade die erste Sitzung des spanischen Kabinetts in Barcelona. Ministerpräsident Pedro Sánchez und seine Minister wollten mit ihrer Reise demonstrieren, wie ernst sie die Wünsche und Forderungen der Katalanen nehmen. Für die Befürworter einer unabhängigen Republik Katalonien war das nur eine weitere Zumutung seitens der Zentralregierung aus Madrid. Ausgerechnet am Jahrestag der Regionalwahl vom 21. Dezember 2017 tagte die spanische Regierung in Barcelona. Ein Jahr zuvor hatten bei der Wahl erneut jene Parteien eine Mehrheit gewonnen, die für ein unabhängiges Katalonien eintreten.
Das »No pasáran« (Sie werden nicht durchkommen) aus dem spanischen Bürgerkrieg war am 21. Dezember 2018 der Ruf der Assemblea Nacional Catalana (ANC) und des Komitees zur Verteidigung der Republik. Geschützt wurde der Versammlungsort von der Policía Nacional und der Guardia Civil mit rund 10.000 Einsatzkräften. So konnten die Regierungsmitglieder ihren Sitzungsort ohne größere Schwierigkeiten betreten und verlassen, auch wenn am Morgen zeitweise mehr als 20 Straßen und Autobahnen in Katalonien und Barcelona blockiert waren und es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam.
Beschlossen wurden vom Kabinett 100 Millionen Euro für den Straßenbau in Katalonien. Verkündet wurde auch die Erhöhung des Mindestlohns und der Beamtengehälter. Der Flughafen El Prat erhält den Namen Josep Tarradellas. Der Mann wurde am 19. Januar 1899 in Cervelló in Katalonien geboren, war ab 1954 der Präsident der Generalitat im Exil und von 1977 bis 1980 Präsident der provisorischen Generalitat. Tarradellas starb am 10. Juni 1988 in Barcelona.
Am Abend des 20. Dezembers traf sich Pedro Sánchez mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra. Das Treffen in Barcelona war eine Geste guten Willens gegenüber der Regierung Torras.
Im Parlament von Madrid werden das katalanischen Wahlbündnis JxCat und der ERC der Minderheitsregierung von Pedro Sánchez bei den Haushaltsbeschlüssen helfen. Die Oppositionsparteien Partido Popular (PP) und Ciudadanos kritisieren, dass Sánchez den katalanischen Separatisten viel zu weit entgegenkomme, um sein politisches Überleben zu sichern. »Verrat an Spanien« heißt es dazu bei der PP.
In Madrid und Barcelona sind die Hoffnungen groß, dass sich die jüngste Entspannung als dauerhaft erweist. Die Spannungen werden jedoch wieder zunehmen, das zeigte schon die Überführung der politischen Gefangenen aus den katalanischen Haftanstalten in die Gefängnisse in Madrid. Es ist die Frage, was die Bilder der voraussichtlich ab 12. Februar auf der Anklagebank in Madrid sitzenden politischen Gefangenen in Katalonien auslösen werden. Die katalanische Regionalregierung jedenfalls hat angekündigt, dem Ministerpräsidenten eine Reihe von Lösungsvorschlägen im Konflikt zwischen Katalonien und Spanien zu übermitteln.