Was jetzt hier publiziert wird, ist eine Trouvaille für die Leserschaft. Fundstück als Bezeichnung war mir zu lasch, so kann man auch einen wiedergefundenen Regenschirm definieren. Die französische Vokabel aber hat eine Aura, und die prägt das gesamte Projekt des umtriebigen Wahllondoners Niko Rollmann, inzwischen lebt er wieder in Berlin. Er interviewte zwischen 1989 und 2016 unter anderem drei gerade noch rechtzeitig aus dem Hitler-Reich nach England emigrierte jüdische Intellektuelle: Freimut Schwarz, Fritz Beer, Peter Wayne. Die aufgezeichneten Gespräche beschreiben das Zufluchtsland, bieten aber auch Kommentare zur ehemaligen Heimat. Freimut Schwarz moniert zum Beispiel den Radikalen-Erlass, dem leider auch Willy Brandt zugestimmt hatte. England bleibt nicht ungeschoren, Margaret Thatcher wird wegen ihrer asozialen Politik hart rangenommen. Manche Details entbehren nicht einer gewissen Heiterkeit, die den Nazis Entkommenen boten den Briten ihre Mitarbeit an, die Verantwortlichen wussten nur nicht, wie man das am besten realisieren sollte. So fegte der damals schon prominente Arthur Koestler den Boden des Offizierskasinos.
Manchmal gingen verschiedene In-stanzen etwas ruppig mit dem erfolgsverwöhnten Koestler um. Gerhard Zwerenz saß in den 1966er Jahren mit dem Autor des Romans »Die Sonnenfinsternis« im erlauchten Hotel »Bayerischer Hof« zum Interview am Swimmingpool hoch über Münchens Dächern, als ein aufgeregter Angestellter die beiden Herren zum sofortigen Verlassen des Raumes aufforderte. Gerhard suchte zu vermitteln und verwies auf Koestlers Ruf. Darauf die Antwort: »Was kümmert mich Ihr weltberühmter Schriftsteller, wenn die eben hier im Haus eingecheckten Beatles schwimmen wollen.« Wobei die vier Pilzköpfe ja nichts weniger als Dummköpfe waren. Vielleicht hätten sie sogar mit dem inzwischen in London lebenden Koestler ein paar Worte wechseln mögen.
Wechseln muss ich die Perspektive, obwohl es den drei Interviewten nicht an Humor fehlt – Sie sind mit dem Leben davongekommen, das dennoch von Tragik umdüstert war. Deutlich wird das im Gespräch mit Fritz Beer. Rollmann-Frage: »Wie stehen Sie heutzutage zu den Deutschen?« – »Es ist schwierig, darüber zu reden – weil es etwas anspricht, was nicht bewältigt werden kann. Ich habe 27 Mitglieder meiner Familie im Holocaust verloren. Und ich habe es vom ersten Augenblick an für meine Aufgabe gehalten, für die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen einzutreten. Es gibt keinen anderen Ausweg, als dass die Menschen. die davon betroffen waren, zur Überwindung des Hasses beitragen.« So artikuliert sich ein Humanist. Auch er, wie die beiden anderen Gesprächsteilnehmer, leider schon verstorben. Es ist ihnen so erspart geblieben, vom gerade wieder aufflammenden Antisemitismus der zahlreichen Hirnamputierten auf unseren Straßen zu erfahren.
europäische ideen, Heft 158: »Londoner Gespräche – Freimut Schwarz, Fritz Beer, Peter Wayne. Aufgezeichnet von Niko Rollmann«, hrsg.: Andreas W. Mytze, 2020, 36 Seiten, 5 €, Bestellung über: awmytze@hotmail.com