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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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SOS Italien

Das inzwi­schen welt­weit ver­brei­te­te SARS-CoV-2 bestimmt seit dem 21. Febru­ar die Aus­zeit in Ita­li­en. Seit­dem hat die Regie­rung die Abschot­tungs­maß­nah­men der Bevöl­ke­rung Woche um Woche ver­stärkt, aller­dings mit fata­len regio­na­len Ver­zö­ge­run­gen. Der schon am 31. Janu­ar auf­grund einer War­nung der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on vor einer Virus­epi­de­mie für sechs Mona­te erklär­te Not­stand hat­te die admi­ni­stra­ti­ven Kom­pe­ten­zen zunächst über­for­dert. Inzwi­schen zählt Ita­li­en die mei­sten Infi­zier­ten, Erkrank­ten und Toten in Euro­pa. Die Ster­be­ra­te liegt am 26. März bei zehn Pro­zent der Infi­zier­ten, gegen­über noch 0,5 Pro­zent in Deutsch­land und einem Welt­durch­schnitt von 4 Pro­zent. Alle fra­gen: Warum?

Ich ver­mu­te, dass sich die Ster­be­ra­te über­all pro­por­tio­nal zu den spe­zi­fi­schen Bedin­gun­gen ver­hält, die das Virus in einem Kon­text vor­fin­det, das heißt sie ist auch ört­lich, zeit­lich und alters­grup­pen­be­zo­gen zu dif­fe­ren­zie­ren. Ein For­scher der Ober­sten Gesund­heits­be­hör­de (Isti­tu­to Supe­rio­re del­la Sani­tà), Gra­zia­no Onder, weist in einer Stu­die, die soeben in der Fach­zeit­schrift Jama ver­öf­fent­licht wur­de, dar­auf hin, dass zum einen die Erhe­bungs­me­tho­den in den ein­zel­nen Staa­ten unter­schied­lich sind und man in Ita­li­en bei den Toten oft nicht unter­schei­de, ob sie an oder mit dem Coro­na­vi­rus gestor­ben sei­en. Zum ande­ren tre­te eine Dis­kre­panz zwi­schen der Ster­be­ra­te in Ita­li­en und Chi­na in der­sel­ben Ver­brei­tungs­pha­se des Virus nur bei den über 70- und 80-Jäh­ri­gen auf, die der 60- bis 69-Jäh­ri­gen lie­ge in bei­den Län­dern bei 3,5 Prozent.

Es kann nur kom­ple­xe Ant­wor­ten auf die obi­ge Fra­ge geben. An erster Stel­le muss zwei­fel­los die medi­zi­ni­sche Aus­gangs­la­ge genannt wer­den, und das heißt die inzwi­schen extrem unter­fi­nan­zier­te und ent­spre­chend unzu­rei­chen­de Aus­rü­stung des gesam­ten natio­na­len Sani­täts­sy­stems, des­sen Effi­zi­enz und Exzel­lenz in Nord­ita­li­en einst gelobt wur­de. Die fol­gen­den Zah­len eines Berich­tes von 2018 über »40 Jah­re Natio­na­les Gesund­heits­sy­stem« spre­chen Bän­de: Die einst 530.000 Bet­ten (1981) redu­zier­te man auf 365.000 (1992) und bis auf 191.000 im Jah­re 2017, der letz­ten offi­zi­el­len Zah­len­an­ga­be. Die Zahl der Kran­ken­haus­bet­ten sank also von noch 5,8 je 1000 Ein­woh­ner (1998) auf 3,6 (2017). Zum Ver­gleich: In Deutsch­land ste­hen heu­te trotz auch dort erheb­li­cher Kür­zun­gen immer noch sechs Bet­ten pro 1000 Ein­woh­ner bereit.

Es waren die Brüs­se­ler Auf­la­gen der letz­ten Jahr­zehn­te, fixiert im soge­nann­ten Fis­kal­pakt (2012), die zu mas­si­ven Spar­maß­nah­men im gesam­ten Wohl­fahrts­sek­tor geführt und das Gesund­heits­sy­stem und die For­schung in beson­de­rem Maße getrof­fen haben. Das öffent­li­che Gesund­heits­we­sen ist sehen­den Auges kaputt­ge­spart wor­den. Allein zwi­schen 1999 und 2009 wur­den 50 Pro­zent der Kran­ken­häu­ser im Nor­den und 23 Pro­zent im Süden geschlos­sen. Inzwi­schen gibt es in den 8000 Gemein­den des Lan­des über­haupt nur noch 1000 gro­ße Kran­ken­häu­ser, zu 51,8 Pro­zent in staat­li­cher und zu 48,2 Pro­zent in pri­va­ter Hand. Vor allem die Regie­run­gen von Mario Mon­ti (2012) und Matteo Ren­zi (2015) haben die­se staat­lich finan­zier­ten Pri­va­ti­sie­run­gen geför­dert, sie wur­den zu regel­rech­ten Pfrün­den für Weni­ge, beglei­tet von einer Fül­le von Kor­rup­ti­ons­skan­da­len. Vor­rei­ter dabei war die Lom­bar­dei unter Füh­rung der For­za Ita­lia und der Lega.

Die heu­te tra­gisch anmu­ten­de Dra­ma­tik der Aus­gangs­la­ge vor allem in der Lom­bar­dei erschließt sich allein schon aus der Zahl der in den Kran­ken­häu­sern zur Ver­fü­gung ste­hen­den cir­ca 5000 Inten­siv­bet­ten für 60 Mil­lio­nen Ita­lie­ner gegen­über 28.000 Inten­siv­bet­ten in Deutsch­land für 81 Mil­lio­nen Ein­woh­ner. Die­se weni­ger als drei Pro­zent der Gesamt­bet­ten­zahl Ita­li­ens ent­spre­chen nur knapp einem Drit­tel des euro­päi­schen Durch­schnitts, und die­se Bet­ten sind schon von den übli­chen Kran­ken im Win­ter stark bis über­be­an­sprucht. Erst in den letz­ten Wochen konn­te man den Bestand auf nun fast 9000 erhö­hen. Der Zustand ist seit Jah­ren bekannt, eben­so wie die dün­ne Per­so­nal­decke. Zehn­tau­send jun­ge, gut aus­ge­bil­de­te Ärz­te fan­den kei­ne Stel­len mehr und wan­der­ten aus. Nimmt man noch den Umstand dazu, dass jetzt im Febru­ar nur ein Bruch­teil an nöti­ger Aus­stat­tung vor­han­den war, es an Atem­ge­rä­ten und Schutz­klei­dung fehl­te und fehlt, so ist ver­ständ­lich, dass sich fast zehn Pro­zent des bis zum Umfal­len erschöpf­ten Kli­nik­per­so­nals inzwi­schen ange­steckt haben – in eini­gen Struk­tu­ren sogar bis zu 50 Pro­zent – und die Kran­ken­häu­ser (neben den zu 70 Pro­zent pri­va­ten Alters­hei­men) damit selbst zur größ­ten Ansteckungs­ge­fahr gewor­den sind.

Hin­zu kommt, dass die stark indu­stria­li­sier­te Po-Ebe­ne seit Jahr­zehn­ten zu den Gebie­ten mit der stärk­sten Luft­ver­schmut­zung in Euro­pa gehört, die der von Wuhan ähnelt. Der aktu­el­le Not­stand ist dort aus­ge­bro­chen, wo die Lun­gen der Men­schen schon seit lan­gem bela­stet sind und auch die Infek­ti­ons­ge­fah­ren mit allen mög­li­chen Viren höher sind als anders­wo. Genannt wird als erhöh­ter Risi­ko­fak­tor auch das rela­tiv hohe Lebens­al­ter der Ita­lie­ner. Die Alters­hei­me gerie­ten in unhalt­ba­re Situa­tio­nen, als sich auch dort das Pfle­ge­per­so­nal rasch infi­zier­te und kaum Ersatz bereit­stand; die Ster­be­ra­te stieg also an, auch ohne Coro­na-Infek­ti­on. (Eine qua­li­fi­zier­te Pfle­ge­kraft wird übri­gens mit 13 Euro brut­to pro Stun­de entlohnt.)

Die anfäng­li­chen Bit­ten um rasche Hil­fe an die euro­päi­schen Nach­barn ver­hall­ten unge­hört, erste Trans­port­flug­zeu­ge mit Mate­ri­al, Ärz­ten und Pfle­gern tra­fen Mit­te März aus Chi­na sowie aus Kuba und Russ­land ein, das US-Mili­tär stell­te dann immer­hin zehn Inten­siv­bet­ten in Avia­no, sei­nem Atom­waf­fen­de­pot im Vene­to, zur Ver­fü­gung, und deut­sche Bun­des­län­der wol­len 18 Inten­siv­pa­ti­en­ten aufnehmen.

In Ita­li­en hat die­se Not­la­ge all die ande­ren schwer­wie­gen­den Pro­ble­me des Lan­des aus dem Blick­feld ver­drängt – alle Medi­en pro­pa­gie­ren das Virus mit unge­zähl­ten zu Hil­fe geru­fe­nen Medi­zin-Exper­ten, die den bis­he­ri­gen Man­gel an wis­sen­schaft­li­cher Kom­pe­tenz im öffent­li­chen Dis­kurs wett­zu­ma­chen ver­su­chen und dem Fern­seh­pu­bli­kum Ver­trau­en ein­flö­ßen sol­len. Sie sug­ge­rie­ren Kom­pe­tenz und Sicher­heit, was die Poli­ti­ker schon seit lan­gem nicht mehr ver­mö­gen. Aber dabei tre­ten auch alle Dis­kre­pan­zen zwi­schen Ver­tre­tern der Wis­sen­schaft, die ja meist nur über par­ti­el­le und vor­läu­fi­ge Ergeb­nis­se ver­fü­gen, und den soge­nann­ten Exper­ten zuta­ge, von denen kla­re (Vor-)Aussagen erwar­tet wer­den. Der Umstand, dass bei­de in dem heik­len polit-öko­no­mi­schen Kon­text auch nicht neu­tral sind, führt oft zu wider­sprüch­li­chen Aus­sa­gen, die das Publi­kum mehr ver­un­si­chern als beru­hi­gen. Aber alle Maß­nah­men der Poli­tik wer­den nun von die­sen Exper­ten bestimmt.

Die all­abend­lich um 18 Uhr vom Zivil­schutz (Pro­te­zio­ne Civi­le) ver­kün­de­ten Zah­len der Infi­zier­ten und Ver­stor­be­nen – unkom­men­tiert wie Bör­sen­da­ten – sind nur vage aus­sa­ge­fä­hig, denn die Zahl aller Infi­zier­ten ist unbe­kannt und wohl weit unter­schätzt. Der Chef des Zivil­schut­zes selbst spricht von einer min­de­stens 10-mal höhe­ren Zahl Infi­zier­ter, denn die Bevöl­ke­rung ist nicht syste­ma­tisch gete­stet wor­den, auch dafür man­gel­te und man­gelt es immer noch am nöti­gen Material.

Aber die Zah­len zei­gen einen Trend an und stim­men die Bevöl­ke­rung auf den natio­na­len Not­stand ein, der die Dis­zi­plin aller ein­for­dert. Poli­ti­ker und Medi­en bedie­nen sich mili­tä­ri­scher Rhe­to­rik: Es ist von einem Krieg gegen einen unsicht­ba­ren Feind die Rede, gegen den die vor­der­ste Front­li­nie der Medi­zin in den Schüt­zen­grä­ben der Hos­pi­tä­ler hero­isch unter Ein­satz des Lebens kämpft und die von der Hei­mat­front ohne Wenn und Aber unter­stützt wer­den muss. Inzwi­schen sind auch Mili­tär­ärz­te im Ein­satz, Feld­la­za­ret­te wer­den errich­tet, Sol­da­ten trans­por­tie­ren Sär­ge und kon­trol­lie­ren die Straßen.

Der Not­stand, für den es in Ita­li­en kei­ne spe­zi­fi­sche Gesetz­ge­bung gibt, wird von Regie­rungs­chef Giu­sep­pe Con­te mit Exper­ten-Teams gema­nagt. Sei­ne pre­kä­re Koali­ti­on aus Demo­kra­ten und der Fünf-Ster­ne-Bewe­gung blieb bis­her im Hin­ter­grund (zum Teil auch unter Qua­ran­tä­ne wie PD-Chef Zingaretti).

Das Par­la­ment ist wegen der Infek­ti­ons­ge­fahr wochen­lang de fac­to nicht mehr zusam­men­ge­tre­ten. Der par­tei­lo­se Con­te erhält inzwi­schen Zustim­mungs­wer­te um 61 Pro­zent und steht als neu­er »Mann am Steu­er« auch des­halb wei­ter­hin unter poli­ti­schem Beschuss von­sei­ten der rech­ten Oppo­si­ti­on, die an den Ent­schei­dun­gen betei­ligt sein und selbst gern das Steu­er über­neh­men möchte.

Sal­vi­nis Lega, die alle nörd­li­chen Regio­nen regiert, konn­te von ihrem dor­ti­gen Kri­sen­ma­nage­ment bis­her nicht spür­bar pro­fi­tie­ren. Daher sitzt sie der Regie­rung in Rom mit radi­ka­len For­de­run­gen im Nacken, anstatt jene regio­na­le Hand­lungs­au­to­no­mie unter Beweis zu stel­len, die sie seit lan­gem for­dert, aber jetzt nicht aus­zu­üben weiß.

Dass es nun bei allen Maß­nah­men in den ver­gan­ge­nen Wochen auch unter den ein­zel­nen Regio­nen unend­lich vie­le Wider­sprü­che gab, man offen­bar zu spät und zöger­lich han­del­te und zum Bei­spiel nicht ver­hin­der­te, dass bei der Abschot­tung der ersten »roten Zonen« Zehn­tau­sen­de vom Nor­den zu ihren Fami­li­en in den Süden ent­flie­hen konn­ten (was auch in Frank­reich pas­sier­te), war – unter den gege­be­nen Bedin­gun­gen – wohl kaum ver­meid­bar. So konn­te die Virus-Wel­le auch das noch viel ärme­re Süd­ita­li­en über­rol­len. Dort fürch­tet man neue Her­de der Infek­ti­on, wenn sie im Nor­den abeb­ben soll­te, und es gibt bereits ent­spre­chen­de Mel­dun­gen aus Kam­pa­ni­en, Kala­bri­en, Sizi­li­en und Sardinien.

An Anlass zu Kri­tik man­gelt es nicht, doch die bleibt in der bri­san­ten Situa­ti­on im Hin­ter­grund oder tum­melt sich in den Sozia­len Medi­en. Die Dis­zi­plin der Bür­ger beim Haus­hü­ten ist erstaun­lich groß, zumin­dest soweit ich es an mei­nem Platz in Vene­dig erken­nen kann, von dem aus man sich seit dem 22. März mit einem neu­en Pas­sier­schein (es gibt nach jedem Dekret eine neue Vari­an­te des­sel­ben) noch im Umkreis von 200 Metern bewe­gen darf. Über 90 Pro­zent der Befrag­ten hal­ten laut einer Umfra­ge von Iivo Dia­man­ti (Repubbli­ca, 23.3.2020) die seit vier Wochen ver­schärf­ten Ein­schrän­kun­gen für not­wen­dig, auch wenn wich­ti­ge kon­sti­tu­tio­nel­le Grund­rech­te in Ita­li­en vor­erst außer Kraft gesetzt sind.

Die EU hat ihre natio­na­len Ego­is­men wie­der­um unter Beweis gestellt, als sie die Schen­gen-Regeln aus­setz­te und nach und nach die Außen­gren­zen der EU und vie­le natio­na­le Gren­zen für Men­schen, nicht für Waren, schlie­ßen ließ. Durch das jüng­ste umstrit­te­ne ita­lie­ni­sche Regie­rungs­de­kret ist seit dem 22. März auch ein Groß­teil der Indu­strie­pro­duk­ti­on ein­ge­stellt, vor­erst bis Anfang April. Über die schwie­ri­ge Ent­schei­dung, wel­che Pro­duk­ti­ons­ket­ten unter­bro­chen wer­den kön­nen und wel­che nicht, gab es star­ke Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den Unter­neh­mern. Die Gewerk­schaf­ten streik­ten in der Lom­bar­dei und in Lati­um zwei Tage lang, weil Beschäf­tig­te de fac­to ohne Infek­ti­ons­schutz arbei­ten, und erreich­ten eine weit­ge­hen­de Ein­be­zie­hung auch der Rüstungs­in­du­strie, die bis­her als unver­zicht­bar gilt.

Die EU muss­te nach anfäng­li­chem Zögern und Zau­dern ihre ins Mark der Natio­nen ein­schnei­den­den Finanz­re­strik­tio­nen lockern, sogar den hei­li­gen Fis­kal­pakt, aller­dings bis­her nur auf Zeit. Vor allem Deutsch­land und sei­ne nörd­li­chen Nach­barn stel­len sich des­sen defi­ni­ti­ver Auf­he­bung immer noch ent­ge­gen, eben­so auch den von neun EU-Staa­ten unter Füh­rung Frank­reichs, Ita­li­ens und Spa­ni­ens gefor­der­ten Euro- oder Coro­na-Bonds zur gemein­sa­men Finan­zie­rung eines euro­päi­schen Wie­der­auf­baus. Brüs­sel gestat­te­te Ita­li­en nur, die bis­he­ri­ge 3-Pro­zent-Mar­ke der Neu­ver­schul­dung zu über­schrei­ten – damit Gel­der für die Unter­stüt­zung des zer­stör­ten Wirt­schafts­kreis­laufs im März in Höhe von rund 25 Mil­li­ar­den Euro per Dekret bereit­ge­stellt wer­den konn­ten. Ein zwei­tes Paket ist für April in Aus­sicht gestellt. Aber das wird nicht rei­chen – und der ehe­ma­li­ge EZB-Chef Mario Draghi for­der­te in der Finan­cial Times »ein völ­li­ges Umden­ken ange­sichts die­ser mensch­li­chen Tra­gö­die poten­ti­ell bibli­schen Aus­ma­ßes« – eine Schock­the­ra­pie für einen Wech­sel zu größt­mög­li­cher Staats­in­ter­ven­ti­on, euro­pa­weit, um Fol­gen abzu­weh­ren wie aus den 1920er Jah­ren – und gerich­tet sind sei­ne Wor­te wohl vor allem an Berlin.

Sich Mut zusin­gen­de Men­schen auf Bal­kons sah ich bis­her nur in Fern­seh-Spots. Und die schö­nen Fotos der groß­ar­ti­gen men­schen­lee­ren Plät­ze in den ita­lie­ni­schen Städ­ten zei­gen nicht die deso­la­ten Gas­sen der Peri­phe­rie, nicht die Obdach­lo­sen, die armen Fami­li­en, deren Kin­der kein Home­lear­ning am Bild­schirm erreicht, nicht die Lager der Migran­ten und nicht die stark über­be­leg­ten Gefäng­nis­se, in denen kürz­lich Revol­ten aus­bra­chen, die mit 17 Toten endeten.

Vie­len wird nach und nach klar, dass es sich nach dem noch nicht abseh­ba­ren Ende der Pan­de­mie nicht um eine Rück­kehr in ein Vor­her han­deln kann und wird. Der Bestand der EU steht auf dem Spiel, wenn es kei­ne Über­win­dung der natio­na­len Ego­is­men gibt. Man darf gespannt sein, ob aus einem so klei­nen Virus etwas gro­ßes Neu­es ent­ste­hen kann oder ob sich in Zukunft eine ver­stärk­te Ungleich­heit mit jener »Fobo­cra­zia«, einer Herr­schaft der Angst, aus­brei­ten wird, von der die römi­sche Phi­lo­so­phin Dona­tel­la Di Cesa­re anläss­lich mög­li­cher Not­stands­re­gime im Espres­so vom 15. März schreibt. Dort hat der Kari­ka­tu­rist Altan am 22. März eine sei­ner genia­len Zeich­nun­gen plat­ziert: »Die Welt? – fragt sein bra­ver Bür­ger – »Waschen wir uns gründ­lich die Hän­de (= sche­ren wir uns nicht drum), dann sind wir in Sicherheit.«

(»Il Mon­do? – Laviam­o­ce­ne accu­ra­ta­men­te le mani e sia­mo al sicuro.«)