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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Socialist Green New Deal

Im berühm­ten eng­li­schen See­bad Brigh­ton gehen seit dem spä­ten 18. Jahr­hun­dert nam­haf­te Schrift­stel­ler ein und aus. 1775 etwa staun­te der deut­sche Dich­ter Georg Chri­stoph Lich­ten­berg über den im Som­mer viel fre­quen­tier­ten see­luf­ti­gen Ort am Ärmel­ka­nal, und Theo­dor Fon­ta­ne befand 1844: »Brigh­ton ist die schön­ste Stadt, die ich jemals ken­nen­lern­te.« Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker ken­nen die Stadt mit dem ein­zi­gen Wahl­kreis, der durch die Grü­nen (Green Par­ty) im Par­la­ment ver­tre­ten ist, seit Jahr­zehn­ten auch als Anzie­hungs­punkt für Par­tei­ta­ge. Die Labour Par­ty hält seit 1921 in grö­ße­ren und klei­ne­ren Abstän­den ihre all­jähr­li­che Kon­fe­renz in Brigh­ton ab – seit gut 40 Jah­ren häu­fig alter­nie­rend mit Black­pool und Liverpool.

Auf dem Ende Sep­tem­ber in Brigh­ton abge­hal­te­nen Par­tei­tag ging es zwar auch um den Brexit und die damit ver­bun­de­nen, von den deut­schen Leit­me­di­en eif­rig kom­men­tier­ten und hoch­sti­li­sier­ten Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten. Fakt ist, dass sich Labour anders als die Libe­ral­de­mo­kra­ten nicht auf den EU-Ver­bleib fest­ge­legt hat und die Ent­schei­dung über das wei­te­re Vor­ge­hen auf einer spä­te­ren Kon­fe­renz tref­fen will. Fest­ge­legt hat die nach wie vor von Gewerk­schaf­te­rin­nen und Gewerk­schaf­tern gepräg­te alte Arbei­ter­par­tei beim Par­tei­tag in Brigh­ton dafür wahr­lich Histo­ri­sches, was bezeich­nen­der­wei­se kaum berich­tet wur­de. Soll­te Labour bei den wohl schon bald anste­hen­den Neu­wah­len allein oder in einer Koali­ti­on an die Macht kom­men, wird das Ver­ei­nig­te König­reich als erstes gro­ßes Austeri­täts­land dem Neo­li­be­ra­lis­mus mehr oder weni­ger hef­tig an die Gur­gel gehen. Schon der Beschluss, das Ver­bot von Pri­vat­schu­len ins Par­tei­pro­gramm auf­zu­neh­men, spricht Bän­de. In ihnen wer­den zwar nur sie­ben Pro­zent der Schü­le­rin­nen und Schü­ler unter­rich­tet und erzo­gen, aber die­se klei­ne Grup­pe stell­te bis­her immer­hin gut 65 Pro­zent der höhe­ren Rich­ter, 52 Pro­zent der Staats­se­kre­tä­re und mehr als 40 Pro­zent der Zei­tungs­ko­lum­ni­sten. Allein die legen­dä­re Eli­te­schu­le Eton hat bis­lang zwan­zig Pre­mier­mi­ni­ster her­vor­ge­bracht – sämt­lich Tories übri­gens, und einer von ihnen ist der auch als Kolum­nist auf­fäl­lig gewor­de­ne Boris Johnson …

Mit gro­ßer Mehr­heit haben die Dele­gier­ten im Rah­men von »Labour’s Socia­list Green New Deal« das Ziel von Net­to-Null-CO2-Emis­sio­nen ab dem Jahr 2030 beschlos­sen. Ein­schließ­lich einer Indu­strie­stra­te­gie, die grü­ne Ener­gie­er­zeu­gung und den Aus­bau hoch­qua­li­fi­zier­ter Arbeits­plät­ze im pri­va­ten Sek­tor prio­ri­siert. Beschlos­sen wur­de dar­über hin­aus ein – aus der Sicht der hie­si­gen SPD zwei­fel­los unglaub­lich radi­ka­les – Wirt­schafts­pro­gramm. Es beinhal­tet nichts Gerin­ge­res als die Wie­der­ver­staat­li­chung der Post­dien­ste, Eisen­bah­nen, Ener­gie- und Was­ser­ver­sor­ger sowie die Wie­der­ein­glie­de­rung von Regie­rungs­auf­ga­ben und Berei­chen des natio­na­len Gesund­heits­sy­stems, die in wach­sen­dem Maße an Fremd­an­bie­ter ver­ge­ben wor­den sind.

Da ein post­neo­li­be­ra­les Wirt­schafts­um­bau­pro­gramm nicht zum Null­ta­rif ver­wirk­licht wer­den kann, beschlos­sen die Dele­gier­ten eine durch die Kre­dit­auf­nah­me von bis zu 250 Mil­li­ar­den Pfund hohe Haus­halts­expan­si­on, die lang­fri­sti­ge Inve­sti­tio­nen über eine staat­li­che Inve­sti­ti­ons­bank ermög­li­chen soll. Sie beschlos­sen, die Bank of Eng­land zu ver­pflich­ten, durch eine Mischung von Kre­dit­zie­len, Zins­po­li­tik und ande­ren Maß­nah­men ein jähr­li­ches Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tum von drei Pro­zent zu ermög­li­chen. Das Kapi­tal dürf­te sich nicht zuletzt durch den Beschluss her­aus­ge­for­dert füh­len, die immer grö­ße­re Ungleich­heit bei den Ein­kom­men durch die Erhö­hung von Ein­kom­men- und Ver­mö­gen­steu­ern zu stop­pen und zugleich die Lohn- und Gehalts­ver­hand­lungs­macht durch eine Ver­än­de­rung der Regu­lie­rung der Arbeits­märk­te zu stärken.

Die Labour Par­ty, soviel ist sicher, hat für die Zei­ten nach dem Brexit-Gescha­che­re bemer­kens­wer­te Plä­ne im Köcher. Wenn in Par­la­ment und Regie­rung der »Jahr­markt der Eitel­kei­ten« end­lich ein Ende hat – den Fort­set­zungs­ro­man schrieb Wil­liam Make­peace Thackeray 1847/​48 übri­gens in Brigh­ton – rückt der sozia­li­stisch-öko­lo­gi­sche Neu­start der Labour Par­ty hof­fent­lich auch hier­zu­lan­de nach­hal­tig ins Debattengeschehen.