Františkovy Lázně (Franzensbad) ist immer eine Reise wert. Meine Frau und ich fahren schon seit über 15 Jahren gern dorthin. Anfangs waren es nur Aufenthalte über ein verlängertes Wochenende, inzwischen haben wir auch die Annehmlichkeiten einer einwöchigen Kurzkur mit Anwendungen für uns entdeckt. Zu den Anwendungen, die der Kurarzt individuell verordnen kann, gehört auch eine Kohlendioxid-Therapie. Dazu muss man in eine Art Plastesack steigen, der dann im Brustbereich von einer Schwester mit einem Koffergurt befestigt wird. Im Anschluss daran wird mittels eines Schlauches der Plastesack mit Kohlendioxid soweit aufgebläht, dass man den Eindruck hat, er würde bald platzen. Nunmehr muss das Gasgemisch etwa 15 Minuten einwirken, bis man von dem Sack wieder befreit wird. Auch wenn ich unmittelbar nichts spüre, soll die Sache hilfreich sein.
Bei unserem letzten Aufenthalt hatte ich allerdings ein merkwürdiges Erlebnis. Ich saß bereits mit zwei anderen Patienten auf einem Stuhl und war bereit, dass die Behandlung beginnen konnte. Ein Stuhl war noch frei. Jetzt kam ein tschechischer Bürger mit etwas Verspätung nach, öffnete die Tür zum Behandlungsraum, legte ein Grinsen auf und sagte mit bestem tschechischen Akzent »Oh, Holocaust!« Offensichtlich fand er das witzig und wartete auf eine Reaktion von uns dort Sitzenden, die allerdings ausblieb. Ich sah mich mit einem älteren Herrn aus dem Berliner Raum an, und wir waren fassungslos. Ich hatte zwei Tage vorher schon einmal mit ihm an gleicher Stelle gesessen, und wir waren ins Gespräch gekommen. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir auch, dass er einer jüdischen Familie entstammt und als Kind nur mit großem Glück der Deportation nach Auschwitz entkommen war. Zahlreiche seiner Familienmitglieder waren allerdings von den Nazis umgebracht worden. Inzwischen hatte der Tscheche auf dem leeren Stuhl Platz genommen, war in den Sack gestiegen und die Schwester kümmerte sich um ihn. Nachdem sie fertig war, versuchten wir ihn auf seine völlig deplatzierte Bemerkung anzusprechen, was allerdings an der Sprachbarriere scheiterte. Daraufhin beschlossen wir beide – als wäre es Gedankenübertragung – dieser Behandlung in Gegenwart des von uns Angesprochenen nicht weiter beizuwohnen. Nahezu gleichzeitig stiegen wir aus unserem Sack und verließen wortlos den Raum. Draußen konnte ich ihm nur mein Mitgefühl und mein Unverständnis für die ebenso flapsige wie völlig unangemessene Bemerkung ausdrücken. Auch wenn unser tschechischer Mitpatient nichts von der Geschichte der Familie meines Bekannten wissen konnte, waren wir uns einig darüber, dass die Sensibilität mancher Zeitgenossen – völlig unabhängig von ihrer Herkunft – sehr zu wünschen übrig lässt. Auch im deutschen Sprachgebrauch erlebte ich in jüngerer Zeit Bemerkungen, die aufhorchen lassen. Sätze wie »das glänzt wie ein Judenei« sind Gott sei Dank selten. Antisemitismus beginnt im Kleinen. Wehret den Anfängen!