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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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So nicht!

Fran­tiš­ko­vy Láz­ně (Fran­zens­bad) ist immer eine Rei­se wert. Mei­ne Frau und ich fah­ren schon seit über 15 Jah­ren gern dort­hin. Anfangs waren es nur Auf­ent­hal­te über ein ver­län­ger­tes Wochen­en­de, inzwi­schen haben wir auch die Annehm­lich­kei­ten einer ein­wö­chi­gen Kurz­kur mit Anwen­dun­gen für uns ent­deckt. Zu den Anwen­dun­gen, die der Kur­arzt indi­vi­du­ell ver­ord­nen kann, gehört auch eine Koh­len­di­oxid-The­ra­pie. Dazu muss man in eine Art Pla­stesack stei­gen, der dann im Brust­be­reich von einer Schwe­ster mit einem Kof­fer­gurt befe­stigt wird. Im Anschluss dar­an wird mit­tels eines Schlau­ches der Pla­stesack mit Koh­len­di­oxid soweit auf­ge­bläht, dass man den Ein­druck hat, er wür­de bald plat­zen. Nun­mehr muss das Gas­ge­misch etwa 15 Minu­ten ein­wir­ken, bis man von dem Sack wie­der befreit wird. Auch wenn ich unmit­tel­bar nichts spü­re, soll die Sache hilf­reich sein.

Bei unse­rem letz­ten Auf­ent­halt hat­te ich aller­dings ein merk­wür­di­ges Erleb­nis. Ich saß bereits mit zwei ande­ren Pati­en­ten auf einem Stuhl und war bereit, dass die Behand­lung begin­nen konn­te. Ein Stuhl war noch frei. Jetzt kam ein tsche­chi­scher Bür­ger mit etwas Ver­spä­tung nach, öff­ne­te die Tür zum Behand­lungs­raum, leg­te ein Grin­sen auf und sag­te mit bestem tsche­chi­schen Akzent »Oh, Holo­caust!« Offen­sicht­lich fand er das wit­zig und war­te­te auf eine Reak­ti­on von uns dort Sit­zen­den, die aller­dings aus­blieb. Ich sah mich mit einem älte­ren Herrn aus dem Ber­li­ner Raum an, und wir waren fas­sungs­los. Ich hat­te zwei Tage vor­her schon ein­mal mit ihm an glei­cher Stel­le geses­sen, und wir waren ins Gespräch gekom­men. Bei die­ser Gele­gen­heit erzähl­te er mir auch, dass er einer jüdi­schen Fami­lie ent­stammt und als Kind nur mit gro­ßem Glück der Depor­ta­ti­on nach Ausch­witz ent­kom­men war. Zahl­rei­che sei­ner Fami­li­en­mit­glie­der waren aller­dings von den Nazis umge­bracht wor­den. Inzwi­schen hat­te der Tsche­che auf dem lee­ren Stuhl Platz genom­men, war in den Sack gestie­gen und die Schwe­ster küm­mer­te sich um ihn. Nach­dem sie fer­tig war, ver­such­ten wir ihn auf sei­ne völ­lig deplat­zier­te Bemer­kung anzu­spre­chen, was aller­dings an der Sprach­bar­rie­re schei­ter­te. Dar­auf­hin beschlos­sen wir bei­de – als wäre es Gedan­ken­über­tra­gung – die­ser Behand­lung in Gegen­wart des von uns Ange­spro­che­nen nicht wei­ter bei­zu­woh­nen. Nahe­zu gleich­zei­tig stie­gen wir aus unse­rem Sack und ver­lie­ßen wort­los den Raum. Drau­ßen konn­te ich ihm nur mein Mit­ge­fühl und mein Unver­ständ­nis für die eben­so flap­si­ge wie völ­lig unan­ge­mes­se­ne Bemer­kung aus­drücken. Auch wenn unser tsche­chi­scher Mit­pa­ti­ent nichts von der Geschich­te der Fami­lie mei­nes Bekann­ten wis­sen konn­te, waren wir uns einig dar­über, dass die Sen­si­bi­li­tät man­cher Zeit­ge­nos­sen – völ­lig unab­hän­gig von ihrer Her­kunft – sehr zu wün­schen übrig lässt. Auch im deut­schen Sprach­ge­brauch erleb­te ich in jün­ge­rer Zeit Bemer­kun­gen, die auf­hor­chen las­sen. Sät­ze wie »das glänzt wie ein Juden­ei« sind Gott sei Dank sel­ten. Anti­se­mi­tis­mus beginnt im Klei­nen. Weh­ret den Anfängen!