Anfang Februar hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter während eines Aufenthaltes in der Ukraine der Journalistin Katja Theise im Auftrag der Deutschen Welle ein Interview gegeben, das es in sich hatte. Auch wenn Kiesewetter bereits zuvor beim eingeübten Kanon mit seinen Bundestagskollegen Agnes Strack-Zimmermann, Michael Roth und Anton Hofreiter eine stets verlässlich kraftvolle Stimme im bellizistischen Liedgut gegeben hat, so überrascht sein kriegsbegeisterter Sound diesmal doch gewaltig. Was von ihm wohl auch genauso beabsichtigt sein dürfte. Auf die Frage, welche Folgen es für die Ukraine haben könnte, »wenn die USA keine Hilfe mehr für die Ukraine leisten«, antwortet Kiesewetter: »Die Alternative, wenn die Ukraine es nicht schaffen würde, wäre furchtbar. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer würden das Land verlassen, sie würden den Zusammenhalt der europäischen Staaten gefährden. Sie würden aber zeigen, dass der Westen nicht in der Lage ist, einem Diktator wie Putin, der Hunderttausende seiner eigenen Soldaten sinnlos opfert in einem furchtbaren Blutvergießen, Einhalt zu gebieten. Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. (…) Es wird an der Zeit, dass die russische Bevölkerung begreift, dass sie einen Diktator hat, der die Zukunft Russlands opfert, (…), dass dies ein Land ist, das im Grunde genommen den Krieg in die Welt trägt, statt eine Friedensmacht zu werden.« Kiesewetter unterminiert damit ganz unverfroren die noch immer (auch ihn) rechtlich bindenden Bestimmungen des Friedensgebotes des Grundgesetzes und der UN-Charta, wonach neben militärischen Maßnahmen zwangsläufig immer auch solche bemüht werden müssen, die auf Diplomatie ausgerichtet sind. Dieses friedensfördernde und friedenserhaltende Paradigma ist den bitteren Erfahrungen der beiden Weltkriege mit seinen Abermillionen Toten geschuldet und getragen von der Hoffnung, dass es nie wieder zu einer wie auch immer gearteten nationalen Großmannssucht kommen wird, die die Welt in deutscher Manier noch einmal an ihren Abgrund führen könnte. Kiesewetter scheint indes keinen großen Wert auf derartige Handlungsmaximen zu legen und findet sich dabei leider in erlauchter Gesellschaft. So haben der Historiker Herfried Münkler und der Politikwissenschaftler Carlo Masala gerade in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung Fragen nach dem Konzept einer »massiven Vergeltung« (Masala) und einer »eigenen nuklearen Abschreckung« (Münkler) für Europa aufgeworfen. Zeitgleich wird auf der Münchner Sicherheitskonferenz der von Russland systematisch betriebenen Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalnys gedacht und dabei geflissentlich verschwiegen, dass doch gerade er es war, der vor Regime Change-Fantasien gegenüber Russland gewarnt hat. So erklärte er im September 2022 in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgendes: »Die Gesamtstrategie muss darauf zielen, dass Russland und seine Regierung von sich aus und ohne Zwang niemals wieder Kriege beginnen wollen oder Krieg attraktiv finden. Das ist sicher möglich. Im Augenblick kommt der Impuls zur Aggression von einer bloßen Minderheit in der Gesellschaft. Meines Erachtens liegt das Problem dieser westlichen Taktik nicht in den vagen Formulierungen, sondern darin, dass sie eine Frage ignoriert: Wie wird Russland aussehen, wenn die erklärten Ziele dieser Strategie erreicht sind? Könnte es sein, dass die Welt es bei einer erfolgreichen Durchsetzung dieser taktischen Ziele am Ende mit einem noch aggressiveren Regime in Russland zu tun haben wird?« Anstatt nun während der Münchner Sicherheitskonferenz die Trauer um Nawalnys Tod zu instrumentalisieren, um eine grenzenlose Ausweitung von Waffenlieferungen an die Ukraine zu rechtfertigen und damit Russland militärisch in die Knie zu zwingen, sollte seine Vision einer Veränderung Russlands von innen ernst genommen werden, um damit ein würdiges Andenken an ihn zu bewahren. Die Antwort darauf kann deshalb nicht ein rein militärisches Handeln sein, sondern muss auch ein ebenbürtiges diplomatisches Ringen um nicht-militärische Optionen beinhalten. Womit sich die Mächtigen dieser Welt auch wieder den Anfängen der 1963 gegründeten und damals noch »Internationale Wehrkunde-Begegnung« genannten Konferenz annähern würden. Schließlich wurde sie doch von dem Widerstandskämpfer Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin gegründet, um militärische Konflikte künftig zu verhindern. Roderich Kiesewetter hingegen tritt mit seinen kriegsbegeisternden Äußerungen solche Bestrebungen mit Füßen und ruft damit ganz unverhohlen zu den Krieg nach Russland tragenden Straftaten gem. § 111 StGB (öffentliche Aufforderung zu Straftaten) auf. Der Staatsanwaltschaft Bonn, die für den Sitz der Deutschen Welle zuständig ist, wurde deshalb eine Strafanzeige gegen Kiesewetter vorgelegt, um seine sicherheitsgefährdenden Kriegsfantasien unter straf- und verfassungsrechtlichen Aspekten überprüfen zu lassen, denn »Krieg ist (nicht) Frieden«, Herr Kiesewetter, da hätten Sie George Orwell dann doch gründlich missverstanden!