Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Sicherheit und Nachhaltigkeit

Anna­le­na Baer­bocks im Juni vor­ge­leg­te und von der Bun­des­re­gie­rung beschlos­se­ne Sicher­heits­stra­te­gie unter dem Mot­to »Wehr­haft. Resi­li­ent. Nach­hal­tig.« ver­kauft die Mili­tär­stra­te­gie der Bun­des­wehr und der Nato als mit der Nach­hal­tig­keit ver­ein­bar. Im ersten Kapi­tel heißt es unter der Über­schrift »In einem ver­ein­ten Euro­pa dem Frie­den der Welt zu die­nen«: »Deutsch­lands sicher­heits­po­li­ti­sches Umfeld ist im Umbruch, wir erle­ben eine Zei­ten­wen­de. Russ­lands Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne ist ein Bruch des Völ­ker­rechts und der euro­päi­schen Sicher­heits­ord­nung.« Das Papier nennt auch Chi­na als Rivalen.

Die Aus­sa­ge, Russ­land habe die Frie­dens­ord­nung zer­stört, stellt die Rea­li­tät auf den Kopf. Zwar ist die Inva­si­on Russ­lands in die Ukrai­ne durch nichts zu legi­ti­mie­ren, sie bricht inter­na­tio­na­les Recht und stellt in vie­ler­lei Hin­sicht einen Bruch der »All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rech­te« der Ver­ein­ten Natio­nen dar. Doch die Euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung hat­te lan­ge zuvor die Nato mit ihrer Ost­erwei­te­rung gebro­chen. Die­se Tat­sa­che ver­su­chen die Nato und mit ihr die Mei­nungs­ma­cher in den Staa­ten des Mili­tär­bünd­nis­ses sowie die füh­ren­den Poli­ti­ker aus der Wahr­neh­mung der Öffent­lich­keit aus­zu­blen­den. Nie­mand wird ernst­haft erklä­ren kön­nen, inwie­fern die Nato-Expan­si­on mit For­mu­lie­run­gen im 2+4-Vertrag zum Bei­tritt der DDR zum Gel­tungs­be­reich des Grund­ge­set­zes oder mit der OSZE-Sicher­heits­char­ta von 1999 in Ein­klang zu brin­gen ist. Die Sicher­heits­char­ta defi­niert sich als »Platt­form für koope­ra­ti­ve Sicher­heit«, und sie beschreibt die euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung wie folgt: »Wir wer­den unse­re Bezie­hun­gen im Ein­klang mit dem Kon­zept der gemein­sa­men und umfas­sen­den Sicher­heit gestal­ten, im Sin­ne von gleich­be­rech­tig­ter Part­ner­schaft, Soli­da­ri­tät und Trans­pa­renz. Die Sicher­heit jedes Teil­neh­mer­staats ist untrenn­bar mit der Sicher­heit aller ande­ren ver­bun­den. Wir wer­den uns mit der mensch­li­chen, wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Dimen­si­on der Sicher­heit als einem unteil­ba­ren Gan­zen befas­sen.« In die­sen Zusam­men­hang ist das Recht aller Staa­ten ein­ge­rahmt, ihre »Sicher­heits­ver­ein­ba­run­gen ein­schließ­lich von Bünd­nis­ver­trä­gen frei zu wäh­len«. Sofort im Anschluss an die­se Sät­ze heißt es im glei­chen Arti­kel der Char­ta: »Jeder Teil­neh­mer­staat wird dies­be­züg­lich die Rech­te aller ande­ren ach­ten. Sie wer­den ihre Sicher­heit nicht auf Kosten der Sicher­heit ande­rer Staa­ten festi­gen. Inner­halb der OSZE kommt kei­nem Staat, kei­ner Staa­ten­grup­pe oder Orga­ni­sa­ti­on mehr Ver­ant­wor­tung für die Erhal­tung von Frie­den und Sta­bi­li­tät im OSZE-Gebiet zu als anderen.“

Das »Sicher­heits­stra­te­gie« genann­te Papier der Bun­des­re­gie­rung baut sei­ne Kon­zep­ti­on auf einer Täu­schung auf, es ver­letzt damit die Sicher­heits­in­ter­es­sen die­ses Lan­des im Ansatz, da es Sicher­heit nur gemein­sam und in Wahr­haf­tig­keit gibt. Unter »Was wir tun« legt das Papier fest: »Unser Bekennt­nis zu Nato und EU ist unver­rück­bar. Wir ste­hen unver­brüch­lich zum Ver­spre­chen auf gegen­sei­ti­gen Bei­stand nach Arti­kel 5 des Nord­at­lan­tik­ver­trags. Die Bun­des­wehr stär­ken wir als einen Grund­pfei­ler der Ver­tei­di­gung in Euro­pa. Lan­des- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung ist Kern­auf­trag der Bun­des­wehr; die­ser umfasst auch unse­ren Bei­trag zur Abschreckungs­fä­hig­keit der Alli­anz.« Abschreckung gilt hier vor allem gegen Russ­land, womit der Anspruch der kol­lek­ti­ven gemein­sa­men Sicher­heit endet.

Eine Frie­dens- und Sicher­heits­ord­nung, wie die Men­schen sie in der öko­lo­gisch, mili­tä­risch und öko­no­misch desta­bi­li­sier­ten inter­na­tio­na­len Ord­nung brau­chen, respek­tiert die inter­na­tio­na­len Ver­trä­ge und ver­fälscht ihre Aus­sa­gen nicht im Sin­ne eige­ner Inter­es­sen, die ande­re Staa­ten zu Geg­nern machen. Nur ein Sicher­heits-Kon­zept, das auf die Bewah­rung der Lebens­grund­la­gen der Mensch­heit gerich­tet ist, wird sei­nem Anspruch gerecht.

Die Mei­nungs­ma­che in gro­ßen Tei­len der Öffent­lich­keit lenkt die Wahr­neh­mung und das Den­ken vie­ler Men­schen mit einem selek­ti­ven Blick und mit dop­pel­ten Stan­dards auf eine Bedro­hungs­la­ge, die vor­ran­gig oder gar aus­schließ­lich von Chi­na und Russ­land aus­geht, um dem Nato-Ziel Nach­druck zu ver­lei­hen, die Mili­tär­aus­ga­ben auf min­de­stens 2 Pro­zent der gesamt­wirt­schaft­li­chen (!) Lei­stung eines jeden Mit­glieds­staa­tes hoch­zu­schrau­ben. Jetzt schon geben die Nato-Staa­ten im Minu­ten­takt fast 2,5 Mil­lio­nen US-Dol­lar für den Mili­tär­sek­tor aus. Damit ver­bun­den sind eine Res­sour­cen­ver­nich­tung und eine Zer­stö­rung des Sozi­al­staa­tes, Ein­spa­run­gen auf Kosten der Gesund­heit, der Bil­dung und der Infra­struk­tur und Umwelt. Und die welt­weit ca. 440 Atom­re­ak­to­ren bedeu­ten ein nicht zu ver­ant­wor­ten­des Sicher­heits­ri­si­ko. Die Ver­mei­dung einer Hava­rie ist unter Kriegs­be­din­gun­gen nicht zu garantieren.

Das Pri­mat von Diplo­ma­tie muss zen­tra­ler Eck­pfei­ler einer Sicher­heits­kon­zep­ti­on sein. Zur Abwen­dung öko­lo­gi­scher Kipp-Punk­te und zur Errei­chung der Mil­le­ni­ums­zie­le der UNO müs­sen alle Staa­ten Euro­pas und welt­weit zusam­men­ar­bei­ten. Das wäre eine Sicher­heits­stra­te­gie, die die Men­schen nicht nur in unse­rem Land auf der exi­sten­zi­ell kran­ken Erde drin­gend benö­ti­gen. Ohne umfas­sen­de Abrü­stung und ohne ein Ver­bot nuklea­rer Arse­na­le wird es für das Leben auf der Erde kei­ne Sicher­heit geben.