Das war der Hilfeschrei eines Mannes. Er hatte selbst miterlebt, wie die Schwerter die Herrschaft übernahmen und Tod und Elend über die Menschen und Verwüstung über das fruchtbare Land brachten. Sogar die heiligen Stätten, die er liebte, wurden zerstört. Kann das, so fragte er sich, der Wille Gottes sein, auch die Unschuldigen so ins Verderben zu stürzen. Er, der Schriftkundige, kannte zwar die Erzählungen in seinem Volk, in denen sein Jahwe-Gott befohlen hatte, fremde Menschen in ihren Städten anzugreifen, sie, die Unschuldigen, »mit der Schärfe des Schwertes totzuschlagen – Mann und Frau, jung und alt«, um dort selbst zu wohnen. So war das nachzulesen in der Papyrusrolle mit der Josua-Erzählung zur Eroberung der Stadt Jericho durch sein eigenes Volk. Und das, so rätselte er weiter, soll vom »Herrn selbst« angeordnet worden sein? Das kann nie und nimmer mehr mein Gott sein, der solche Scheußlichkeiten befiehlt: Mit Waffen und Krieg Mord und Vernichtung von Unschuldigen! Und je mehr Waffen die Menschen herstellen, so schloss er, desto größer wird das Unheil für alle. So führte jener Hilfeschrei zu einer neuen Erkenntnis: Der alte Gott mit seinen Mord-Geboten hat ausgedient! Das Heil der Menschen kommt dadurch, dass sie anfangen, Schwerter und Spieße, ja, alle Waffen umzuschmieden zu nützlichen Werkzeugen, zu Pflugscharen und zu Sicheln, so dass schließlich jeder »unter seinem Weinstock und Feigenbaum«, friedlich neben dem anderen leben wird, denn niemand will den anderen mehr »schrecken« oder gar vernichten, »ruinieren«, gleich woher der kommt, aus einem fremden Volk oder fremden Stamm oder der eignen Verwandtschaft. Mehr noch: die Menschen werden nicht einmal mehr lernen, Kriege zu führen – ein anspruchsvolles, aber segensreiches Bildungsprogramm für die ganze Welt fiel dem Mann dazu ein, dem Propheten Micha, der im 8. Jahrhundert v. Chr. in Israel lebte.
Viele nahmen seine Erkenntnisse auf, so sein Zeitgenosse Jesaja, auch ein Seher. Andere blieben bei dem alten Gott, der ein Kriegsgott war, setzten auf Waffen und immer mehr Waffen und glaubten, damit würden die Menschen sicher und zufrieden. Doch es gab immer wieder andere, die sich den alten Micha und seine Erkenntnisse zum Vorbild nahmen. Einer von diesen war in der Zeit der »Zeitenwende« ein Wanderprediger aus Nazareth. Vieles in den Überlieferungen aus seinem Leben ist historisch zweifelhaft – dieses allerdings, das er aus den Erkenntnissen des Micha und des Jesaja übernommen hatte, ist es nicht: Seine Zuwendung zu den Armen, dass sie Gerechtigkeit erhalten, und seine Friedenbotschaft, die das Schwert ächtet, selbst wenn es zur angeblichen Verteidigung dient – so seine Aufforderung an seinen »Jünger« Petrus, der ihn bei der Gefangenahme verteidigen will und sich sagen lassen muss: »Stecke das Schwert an seinen Ort, denn wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen« (Matthäus 26, Vers 52). Diese Haltung, die Waffen fortzuwerfen, den Kriegsdienst zu verweigern, wurde in den nächsten 300 Jahre für die, die sich »Christen« nannten, zu einem »Alleinstellungsmerkmal« in der antiken Welt – bis der römische Kaiser Konstantin, ohne selbst Christ zu werden, die wachsende »Christussekte« als eine Massenbasis für seine Herrschaft begünstigte, und einer seiner Nachfolger, Theodosius, das Christentum 380 n. Chr. zur »Staatsreligion« erhob, wobei allerdings die Friedensbotschaft ihres Stifters in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Hieß es für die »Sekte der Christen« bis dahin: »Wer als Soldat Christ werden will, muss sein Schwert wegwerfen«, so galt nun: »Wer als Soldat das Schwert wegwirft, kann kein Christ werden.« Natürlich gibt es immer Theologen, die für solche Fälschungen theologische Begründungen finden, die dann als gottgewollte »Dogmen« ausgegeben werden. Das war damals vor allem der sehr einflussreiche Theologe Augustinus (354-430). Er erfand die Lehre vom »gerechten Krieg«, den in der Folgezeit die inzwischen christianisierten Herrscher führten gegen die gottlosen Schurken der Welt. So wurden die »Sachsenkriege«, die Kreuzzüge, die Kolonialkriege der christlich-abendländischen Staaten wieder heilig, weil im Namen Gottes geführt – bis hin zu dem Abwurf der Atombomben über Japan 1945 durch die US-Amerikaner, der von einem lutherischen Geistlichen gesegnet wurde. Gottgewollt war dann natürlich auch der amerikanische Vernichtungskrieg in Vietnam, der von dem hochverehrten evangelikalen Prediger Billy Graham und dem katholischen Erzbischof in New York, Francis Kardinal Spellmann, verteidigt, ja, befeuert wurde. Sogar der Leutnant Calley, der 1968 das Massaker in My Lai an 504 Frauen und Kindern verantwortet hatte, galt in einem Gerichtsverfahren als begnadigungswürdig, weil ja auch Gott selbst nach dem Jericho-Massaker im Buch Josua niemanden bestraft hatte.
Es gab dann allerdings nach den Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen auch schon andere Stimmen. So ließen die Staaten der UNO 1959 vor ihrem Hauptgebäude in New York die Bronzeskulptur »Schwerter zu Pflugscharen« aufstellen, ein Geschenk der Sowjetunion, angefertigt von dem russischen Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch. Und schon früher, 1948, entstand der »Ökumenische Rat der Kirchen« (ÖRK) mit der Botschaft des Micha: »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.« In seiner weiteren Geschichte hat der ÖRK dann beachtliche Erklärungen und Aktionen zur Umsetzung dieser zentralen Botschaft herausgebracht, z. B. gegen die südafrikanische Apartheid und gegen die weltweite Aufrüstung (so auf der 5. Vollversammlung 1975 in Nairobi), später gegen die Herstellung und den Einsatz von »Atomwaffen«.
Im September dieses Jahres findet die 11. Vollversammlung des ÖRK, erstmals in Deutschland, in Karlsruhe statt. Es ist zu hoffen, dass dazu aus Kirche und Gesellschaft weltweit genügend Stimmen laut werden, damit die zunehmende Militarisierung auch in unserem Land, mit einem totsicheren »Sondervermögen« über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, zumindest gestoppt und dann heruntergefahren wird, so dass schließlich die »Schwerter zu Pflugscharen« werden.