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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schuld, die nicht vergeht

Eine Viel­zahl von Bei­trä­gen in Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten haben uns in die­sen Tagen wie­der vor Augen geführt, dass es eine Ver­gan­gen­heit gibt, die nicht ver­geht und auch nicht ver­ge­hen darf. Sie muss für immer Mah­nung blei­ben, für künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen und auch dann, wenn wir kei­ne Zeit­zeu­gen mehr zur Ver­fü­gung haben, die das Gräu­el über­leb­ten und uns davon berich­ten kön­nen. Hel­mut Ort­ner hat uns im Heft 2/​2025 des Ossietzky noch­mals vor Augen geführt, wie groß das Ver­sa­gen der bun­des­deut­schen Justiz bei der Ver­fol­gung von Nazi-Gewalt­ver­bre­chern war und war­um jahr­zehn­te­lang halb­her­zig und mit größ­tem Unwil­len ermit­telt wur­de. So rutsch­ten vie­le Täter durch die Maschen, weil die juri­sti­schen Löcher im Netz sehr groß gehal­ten wur­den. Groß­zü­gi­ge Ver­jäh­rungs­re­ge­lun­gen und merk­wür­di­ge Ergän­zun­gen des Straf­ge­setz­bu­ches (1968) sorg­ten zusätz­lich dafür, dass vie­le Täter nicht mehr mit Straf­ver­fol­gung rech­nen muss­ten. Die bun­des­deut­sche Justiz ver­hielt sich »wie der Jagd­hund, der zur Jagd getra­gen wer­den muss«.

Die im Jahr 2011 ein­ge­tre­te­ne Ände­rung der Rechts­auf­fas­sung kam spät, viel zu spät! Danach ist jeder, der zum Funk­tio­nie­ren der Tötungs­ma­schi­ne­rie bei­getra­gen hat, Mit­tä­ter. Das ist kon­se­quent und rich­tig. Ver­geb­lich wur­de die­se Posi­ti­on von eini­gen Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten bereits wäh­rend des Ausch­witz-Pro­zes­ses (1963-65) ver­tre­ten. Das betrifft auch die Betei­li­gung der I.G. Far­ben, die maß­geb­lich durch die Lie­fe­rung von Zyklon-B-Gas an der Ermor­dung tau­sen­der Häft­lin­ge mit- ver­dien­te. In die­sem Sin­ne waren die Ver­ant­wort­li­chen der I.G. Far­ben aller­dings auch Mit­tä­ter. Ohne sie hät­te das Mor­den nicht in die­ser Form und in der unvor­stell­ba­ren Grö­ßen­ord­nung statt­fin­den kön­nen. Für die einst in Erfurt ansäs­si­ge Fir­ma Topf & Söh­ne gilt glei­ches. Sie lie­fer­te bereit­wil­lig die Ver­bren­nungs­öfen für das KZ Ausch­witz und ent­sand­te auch gern Bera­ter vor Ort, wenn es Pro­ble­me gab oder nach Lösun­gen gesucht wur­de, die »Effi­zi­enz« noch zu stei­gern. Der SS wur­de schrift­lich mit­ge­teilt, dass man »stets für Sie bereit« sei. Eine Dik­ti­on, die eher an die Besei­ti­gung von Stö­run­gen eines tech­ni­schen Geräts erin­nert als Ver­bren­nungs­öfen, die der Besei­ti­gung der Kör­per Ermor­de­ter die­nen soll­ten. Die Ver­säum­nis­se sind unend­lich groß und las­sen sich nicht mehr behe­ben. Dar­über kön­nen auch nicht letz­te Ver­fah­ren gegen noch leben­de Ver­ant­wort­li­che hin­weg­täu­schen. Ver­zicht­bar sind sie nicht. Die Fest­stel­lung von Schuld durch die Bege­hung grau­sa­men Unrechts sind wir den Opfern schul­dig. Es kann des­halb kei­ne Ruhe geben.

Bei all den nun­meh­ri­gen Bemü­hun­gen zur Auf­klä­rung nazi­sti­schen Unrechts mutet aller­dings selt­sam an, dass wei­ter­hin etwa 5 Mil­lio­nen Euro jähr­lich Kriegs­op­fer­ren­ten und ande­re Alters­be­zü­ge an ehe­ma­li­ge Nazis gezahlt wer­den. Es sind über 8000, wovon etwa 5 Pro­zent als Kriegs­ver­bre­cher ein­ge­stuft wer­den, unter ande­rem Kol­la­bo­ra­teu­re und ehe­ma­li­ge Ange­hö­ri­ge der Waffen-SS.