Eine Vielzahl von Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften haben uns in diesen Tagen wieder vor Augen geführt, dass es eine Vergangenheit gibt, die nicht vergeht und auch nicht vergehen darf. Sie muss für immer Mahnung bleiben, für künftige Generationen und auch dann, wenn wir keine Zeitzeugen mehr zur Verfügung haben, die das Gräuel überlebten und uns davon berichten können. Helmut Ortner hat uns im Heft 2/2025 des Ossietzky nochmals vor Augen geführt, wie groß das Versagen der bundesdeutschen Justiz bei der Verfolgung von Nazi-Gewaltverbrechern war und warum jahrzehntelang halbherzig und mit größtem Unwillen ermittelt wurde. So rutschten viele Täter durch die Maschen, weil die juristischen Löcher im Netz sehr groß gehalten wurden. Großzügige Verjährungsregelungen und merkwürdige Ergänzungen des Strafgesetzbuches (1968) sorgten zusätzlich dafür, dass viele Täter nicht mehr mit Strafverfolgung rechnen mussten. Die bundesdeutsche Justiz verhielt sich »wie der Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muss«.
Die im Jahr 2011 eingetretene Änderung der Rechtsauffassung kam spät, viel zu spät! Danach ist jeder, der zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie beigetragen hat, Mittäter. Das ist konsequent und richtig. Vergeblich wurde diese Position von einigen Verfahrensbeteiligten bereits während des Auschwitz-Prozesses (1963-65) vertreten. Das betrifft auch die Beteiligung der I.G. Farben, die maßgeblich durch die Lieferung von Zyklon-B-Gas an der Ermordung tausender Häftlinge mit- verdiente. In diesem Sinne waren die Verantwortlichen der I.G. Farben allerdings auch Mittäter. Ohne sie hätte das Morden nicht in dieser Form und in der unvorstellbaren Größenordnung stattfinden können. Für die einst in Erfurt ansässige Firma Topf & Söhne gilt gleiches. Sie lieferte bereitwillig die Verbrennungsöfen für das KZ Auschwitz und entsandte auch gern Berater vor Ort, wenn es Probleme gab oder nach Lösungen gesucht wurde, die »Effizienz« noch zu steigern. Der SS wurde schriftlich mitgeteilt, dass man »stets für Sie bereit« sei. Eine Diktion, die eher an die Beseitigung von Störungen eines technischen Geräts erinnert als Verbrennungsöfen, die der Beseitigung der Körper Ermordeter dienen sollten. Die Versäumnisse sind unendlich groß und lassen sich nicht mehr beheben. Darüber können auch nicht letzte Verfahren gegen noch lebende Verantwortliche hinwegtäuschen. Verzichtbar sind sie nicht. Die Feststellung von Schuld durch die Begehung grausamen Unrechts sind wir den Opfern schuldig. Es kann deshalb keine Ruhe geben.
Bei all den nunmehrigen Bemühungen zur Aufklärung nazistischen Unrechts mutet allerdings seltsam an, dass weiterhin etwa 5 Millionen Euro jährlich Kriegsopferrenten und andere Altersbezüge an ehemalige Nazis gezahlt werden. Es sind über 8000, wovon etwa 5 Prozent als Kriegsverbrecher eingestuft werden, unter anderem Kollaborateure und ehemalige Angehörige der Waffen-SS.