Es ist kaum zu glauben: Es gibt noch Texte von Bertolt Brecht, die noch nicht gesammelt publiziert worden sind! Noah Willumsen hat sich der Interviews von Brecht angenommen und gibt sie nun, sorgfältig recherchiert, heraus. Interviews in Zeitungen und Radio – und siehe: Viele waren unbekannt. Das Schöne dabei ist, dass der Herausgeber auch die jeweilige Zeitung und den Interviewer (so eruierbar) vorstellt und die chronologische Anordnung eine Art biografische Draufsicht ermöglicht. Auch die allmähliche Entwicklung dieses Genres im 20. Jahrhundert ist dabei erkennbar.
Was besonders auffällt: Fast keiner der Fragesteller kommt um eine Beschreibung von Brechts Äußerem herum. Neben der einfachen Kleidung ist oft von den wissbegierigen Augen die Rede. »Weltlicher Mönch« oder »schüchterne Freundlichkeit« sind weitere Attribute des angeblich redeunlustigen Weltdramatikers. Ein Revoluzzer, ein Revolutionär und schüchtern? Die Texte offenbaren tatsächlich einen etwas anderen Brecht. Zwar ist meist immer von der notwendigen Erneuerung des Theaters durch seine Dramatik die Rede, aber doch meist vorsichtig. Brecht will gespielt werden, und so weist er immer wieder (vor allem im Exil) auf geplante und dann doch oft nicht realisierte Aufführungen hin. Er jammert nicht, er schreibt und er organsiert (bzw. lässt organisieren). Der Migrant Brecht will nicht ausgewiesen werden, und so antwortet er so, dass das Gastland ihm nichts anlasten kann. Brecht will verstanden werden, und so verschreckt er die Leser und Hörer nicht unnötig. Seine Theorien scheinen einfach. Dass Kunst gesellschaftlichen Bestrebungen zu dienen habe, steht für ihn fest. In seinen letzten Jahren in der DDR, stellt er sich vor diesen »seinen« Staat, nicht immer geschickt, aber kompromisslos. Am liebsten preist er seine Inszenierungen, seine Schauspieler, sein Publikum und ist erpicht, von seinen oft ausländischen Interviewpartnern etwas Neues über das Theater bei ihnen zu erfahren. Es scheint fast, als wiederhole er sich nicht gern, denn in seinen theoretischen und theaterpraktischen Schriften ist er wesentlich ausführlicher und detaillierter. So ist der Interviewband vor allem eine interessante Ergänzung.
Bertolt Brecht: Unsere Hoffnung heute ist die Krise, Interviews 1926-1956, Suhrkamp 2023, 752 S., 35 €.