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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schreibende Verleger

Es begab sich aber zur Weih­nachts­zeit, dass ich gen Frank­furt-Sach­sen­hau­sen radel­te, um ein Geschenk zu kau­fen. Kein Weih­nachts­ge­schenk, son­dern ein Bild für eine der vie­len Wän­de der Woh­nung, die sich ein Freund gera­de gekauft hat­te. Auf der Fechen­hei­mer Fahr­rad­brücke erreich­te mich der Anruf einer jun­gen Autoren­kol­le­gin, die ich in Sach­sen­hau­sen tref­fen woll­te. Sie sei gera­de in Fechen­heim. Also ver­ab­re­de­ten wir uns in einer klei­nen Café-Gale­rie dortselbst.

Die Inha­be­rin hat­te mich vor vie­len Jah­ren zu einer Lesung ein­ge­la­den, seit­dem hat­ten wir uns nicht mehr gese­hen. Nun woll­te sie wis­sen, wie es mir in der Zwi­schen­zeit ergan­gen ist. Ich weiß nicht, war­um ich nach drei Sät­zen bei einem The­ma war, das die Drei­vier­tel­stun­de, die wir auf mei­ne Kol­le­gin war­te­ten, voll­stän­dig aus­füll­te. Es war das The­ma des schrei­ben­den Ver­le­gers. Ja, berich­te­te ich wahr­heits­ge­mäß, der Ver­le­ger, bei dem ich vor Jah­ren raus­kam, schreibt jetzt. Also sel­ber. Ja genau, Bücher. Ja, wie ich das denn fän­de. Ich weiß nicht, ob die Gale­ri­stin über­haupt dazu kam, die Fra­ge zu stel­len, so schnell ant­wor­tet ich: Na ja, nee! Also nicht so. Das heißt … ja ja, doch doch! … Das Schlimm­ste ist näm­lich: Er schreibt gut. Eigent­lich in Ord­nung also, oder was heißt in Ord­nung, unbe­dingt not­wen­dig, dass sei­ne Sachen erschei­nen, dass sie dann auch gekauft, gele­sen, geliebt wer­den. Ja doch.

Und ich? Und wir, sei­ne Autorin­nen und Autoren? Was wird aus uns?

Immer­hin: Im Unter­schied zu manch ande­rem ver­legt der Ver­le­ger sei­ne Wer­ke nicht selbst, son­dern bie­tet sie ande­ren Ver­la­gen an. Und die drucken sie aus dem ein­fa­chen Grund, weil sie gut sind. (Habe ich »lei­der« gesagt?) Inso­fern trennt er die zwei Her­zen in sei­ner Brust sau­ber. Dann kommt aller­dings Jesus und guckt genau­er hin: »Wo dein Schatz ist, da wird dein Herz sein.« Wel­ches der zwei Her­zen schlägt? Ich weiß nur das: Mein letz­tes Buch bei dem Ver­le­ger hat­te genau eine Lesung, die der Ver­lag für mich arran­giert hat. Im sel­ben Jahr hat­te der Ver­le­ger mit sei­ner eige­nen Neu­erschei­nung zwan­zig Lesun­gen. Nein, die hat nicht sein Ver­lag für ihn arran­giert. Und ja, ich hat­te zehn Lesun­gen mehr als er. Aber bei der Hälf­te war es eine lan­ge, lästi­ge Stan­ge Arbeit für mich, sie zu ver­ab­re­den. Das näch­ste Buch habe ich dann in einem ande­ren Ver­lag rausgebracht.

»Weil da zwei Kol­le­gin­nen hart­näckig für dich gewor­ben haben«, plärrt die Wahr­heits­droh­ne dazwi­schen. Sie hat Recht. Das ist die Haupt­nach­richt die­ser Glos­se. Sowas tun Autorin­nen auch (gen­dern will ich hier nicht, Goe­the hat Recht: Frau­en sind die bes­se­ren Men­schen): selbst­los hel­fen. Und das, obwohl, wie ich bald erfuhr, die Guten und ich plus zwei­hun­dert Wei­te­re das bekann­te Pro­blem haben: Auch die­ser Ver­le­ger schreibt. Schon viel län­ger als ich ver­öf­fent­licht er Lite­ra­tur. Und muss ich es noch hin­schrei­ben? Es war ja so klar. Es konn­te ja nicht anders kom­men: Sei­ne Sachen sind gut. An der Stel­le unge­fähr kam die jun­ge Kol­le­gin zur Tür rein­ge­stol­pert, fiel auf einen Stuhl, klapp­te vor mir ihren Lap­top auf und sag­te, wäh­rend sie in aller Ruhe aus dem Man­tel kroch: »Hier, lies das mal. Hab‘ ich heu­te geschrie­ben. Aber lies es genau. Ich glaub, ich hab‘ noch nie was so Gutes wie das geschrieben.«

Und wie­der stimm­te es. Nach­dem ich drei Sei­ten gele­sen hat­te, hat­te ich aller­dings eine Visi­on und tat nur noch so, als ob ich wei­ter­lä­se. Vor mei­nem inne­ren Auge stand ein nicht enden­des Schuh­re­gal, in dem lau­ter geflü­gel­te Schu­he stan­den. Ein selbst­lo­ser Mensch hat­te die­se Schu­he für uns, sei­ne »Autor:innen«, ange­fer­tigt, damit unse­re Lite­ra­tur sich in alle Win­de ver­brei­te­te. Ich war so gerührt, dass ich kaum auf­wach­te von der Fra­ge, die die Kol­le­gin mir schon drei­mal gestellt hat­te: »Sag mal, könn­test du bei dei­nem Ver­le­ger anfra­gen, ob er das Buch viel­leicht machen will?« »Ich weiß nicht«, ant­wor­te­te ich, »ob das der rich­ti­ge Platz wäre. Da sind schon so vie­le Autoren … Und dein Manu­skript hat das Poten­zi­al für einen gro­ßen Publi­kums­ver­lag, wirk­lich. Also ich an dei­ner Stel­le …« »Schon gut, war ja nur ne Fra­ge«, lenk­te die Jung­au­to­rin ein, und ich hat­te ein schlech­tes Gewis­sen. »Aber du hat­test auch ein biss­chen Recht«, schnat­tert die Wahr­heits­droh­ne plötz­lich. Dass die mal was zu mei­nen Gun­sten sagt!

Ich tat, was schlech­te Men­schen tun, wenn sie nicht wei­ter­wis­sen. Ich lenk­te ab, mit einem Hin­weis auf die Bil­der, die an den Wän­den der Gale­rie hin­gen. Nach ein paar Höf­lich­kei­ten fiel mir ein, dass ich ja auf der Suche nach einem Bild war. Aber bit­te keins von denen, wuss­te ich. Da bemerk­te ich eine klei­ne Arbeit, die in der hin­ter­sten Ecke des Raums auf einem Bücher­bord lehn­te und, wie ich bei Annä­he­rung sah, schon eine Wei­le vor sich hin staub­te. Sie gefiel mir auf Anhieb. »Ach das«, sag­te die Gale­ri­stin. »Das ist von mir.«

Ich han­del­te den Preis gering­fü­gig run­ter und kauf­te das Werk einer Gale­ri­stin, deren Aus­stel­lung von in Öl gemal­ten Por­träts mich und die Gale­ri­stin, wäh­rend ich mich ver­ab­schie­de­te, aus einem Dut­zend Augen­paa­ren hass­erfüllt anstarrte.