Seit Mitte April und noch bis Anfang August sind Caspar David Friedrichs »Unendliche Landschaften« auf der Berliner Museumsinsel zu sehen. Mir war ein Zeitfenster an einem Tag im Juni zugewiesen worden. Sechs Wochen zuvor hatte ich um den frühestmöglichen Termin gebeten. Vor der Alten Nationalgalerie wand sich an jenem Dienstagnachmittag trotzdem eine Schlange Einlassbegehrender. Touristen zumeist, die ihren Berlin-Aufenthalt zur Besichtigung des großen Romantikers nutzen wollten, ohne zu wissen, dass man bei solch bejubelten Expositionen nicht einfach so hingehen und ein Ticket kaufen kann. Aber offenkundig wurde die Ausdauer belohnt. Als ich nach Stunden wieder ins Freie trat, standen andere Menschen geduldig in dieser Reihe und warfen neidische Blicke auf jene, die mit ihrer daheim ausgedruckten Eintrittskarte sofort eingelassen wurden.
Die Ausstellung ist gewaltig, das Publikumsinteresse auch. Es werden am Ende einige hunderttausend Besucher gewesen sein, die sich an den Gemälden und Zeichnungen ergötzt haben. Vermutlich nicht nur, um die Werke im Original zu sehen, die längst als Ikonen im deutschen Bildungsbürger-Kanon ihren Platz haben. Vielleicht ist es auch die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit, nach Ruhe, nach geordneten Verhältnissen, nach Frieden schlechthin. Friedrichs Bäume sind zwar meist kahl, Bauwerke oft nur Ruinen, Nebel wallen über und zwischen den Bergen, Menschen, wenn überhaupt, zeigen dem Betrachter die kalte Schulter, der Himmel, häufig mit Mond, ist dunkel, oder Wolken hängen grau und schwer überm Wasser. Und trotzdem verursacht die Düsternis keine Depression.
In einem Raum sind Lichtbilder zu sehen, großformatige Dias. Schöpfer ist der Japaner Hiroyuki Masuyama, ein Fotograf, Jahrgang 1968, der, wie es im Begleittext heißt, an Orte gereist ist, an denen auch Caspar David Friedrich weilte, um dessen Werke »nachzubilden«. Aus mehreren Hundert Aufnahmen entstanden Fotomontagen, die in Leuchtkästen präsentiert werden. So sieht man denn den »Watzmann« leuchten und den »Mondaufgang am Meer«, und davor stehen Leute und staunen. Aus einem Mann bricht es heraus. Er ist überwältigt von der Digitalkunst des 21. Jahrhunderts, die der Vorlage des 19. Jahrhunderts folgte. »Das ist viel schöner als das Original!«
Ich fürchte, dass er dies wirklich glaubte.