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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schockierende Todesraten

In Spa­ni­en hat­te man gehofft, dass die Mit­te März ver­häng­te Aus­gangs­sper­re »Alarm« im Kampf gegen das Coro­na­vi­rus bald wir­ken wür­de. Das ist nicht der Fall. Die Nach­rich­ten­sen­dun­gen des öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hens blen­den ein: »QUÉDATE EN CASA« – bleib zuhau­se. Spa­ni­en ist nach Chi­na und Ita­li­en das Land mit den mei­sten Todes­fäl­len – 6528 bis zum 29. März, bei lan­des­weit 78.797 infi­zier­ten Per­so­nen, dar­un­ter mehr als 4000 Ärz­te und Pfle­ge­kräf­te. In Madrid stirbt an den Fol­gen von Covid-19 alle sechs Minu­ten eine Per­son. Wegen der dra­ma­ti­schen Lage in der Stadt ist die Eis­sport­hal­le »Pala­cio de Hie­lo« zum Lei­chen­haus umfunk­tio­niert wor­den. Die Mes­se­hal­len der »Feria de Madrid IFEMA« beher­ber­gen ein Laza­rett mit 5500 Bet­ten. Um den Not­stand an Kran­ken­haus­bet­ten zu behe­ben, hat die Stadt sie­ben Hotels beschlag­nahmt und in Spi­tä­ler umgewandelt.

Die spa­ni­sche Tages­zei­tung El País schrieb: »Die Epi­de­mie zeigt die Stär­ken, aber auch die Schwä­chen unse­res Gesund­heits­sy­stems die­ser Tage.« Aus­ge­löst durch die Finanz­kri­se, ver­stärkt durch eine neo­li­be­ra­le Spar­po­li­tik, hat auch Spa­ni­en sei­ne Staats­aus­ga­ben mas­siv redu­ziert. Der Druck der von der EU ver­ord­ne­ten Austeri­täts­po­li­tik tat ein Übri­ges. Allein das Bud­get des Gesund­heits­we­sens wur­de um rund 15 Mil­li­ar­den Euro in die­sen Jah­ren ver­rin­gert, 10.000 Ärz­te ver­lo­ren ihre Arbeit, die Stel­len pen­sio­nier­ter Medi­zi­ner wur­den nicht neu besetzt. Bei einer Bevöl­ke­rung von 47 Mil­lio­nen Men­schen ver­fügt das Land nur über 4600 Inten­siv­bet­ten. Von den 80 Spi­tä­lern in und um Madrid sind heu­te nur noch 30 staat­lich. Jetzt wur­den die Pri­vat­kran­ken­häu­ser der Stadt Madrid unter­stellt. Da die Poli­cen der pri­vat Kran­ken­ver­si­cher­ten kei­ne Lei­stun­gen bei Pan­de­mien vor­se­hen, neh­men nun die vom Coro­na­vi­rus Infi­zier­ten das staat­li­che Kran­ken­haus­sy­stem in Anspruch.

Die Behör­den haben am Anfang das Risi­ko des Virus unter­schätzt. Zu Beginn wur­den weni­ge Tests durch­ge­führt, die Daten gaben kei­nen Grund zur Beun­ru­hi­gung. Das hat sich geändert.

In Spa­ni­en – ähn­lich wie in Ita­li­en –gibt es einen kul­tu­rel­len Fak­tor, der für die hohe Infek­ti­ons­zahl ver­ant­wort­lich sein dürf­te: der enge Kon­takt jun­ger Leu­te zu Eltern und Groß­el­tern. Es sind heu­te 60 Pro­zent der 24- bis 29-Jäh­ri­gen, die noch bei ihren Eltern leben. Bei den 30- bis 34-Jäh­ri­gen liegt der Anteil um die 30 Pro­zent. Die jun­gen Leu­te stecken sich schnel­ler an, weil sie mehr Sozi­al­kon­tak­te haben. Zuhau­se kann das Virus auf die Älte­ren überspringen.

Mit gro­ßem Abstand führt die Alters­grup­pe ab 70 Jah­ren die Sta­ti­stik der Coro­na­kran­ken an. Kran­ken­pfle­ger berich­te­ten, dass Pati­en­ten, die älter als 75 Jah­re sind, nicht mehr auf die Inten­siv­sta­ti­on kämen, die Ärz­te müss­ten die­je­ni­gen bevor­zu­gen, die gro­ße Über­le­bens­chan­cen haben. Gefah­ren­or­te der Pan­de­mie sind aber auch die schlecht aus­ge­stat­te­ten Alters­hei­me. Es wur­den Fäl­le von noch rüsti­gen Alten bekannt, die das Heim auf eige­ne Faust ver­las­sen haben, um zu Ver­wand­ten zu kommen.

Unter­des­sen hat die katho­li­sche Kir­che für das Bei­set­zen von Urnen und Sär­gen ein Schnell­ver­fah­ren geneh­migt. Der Prie­ster besprengt den lang­sam zur Grab­stät­te fah­ren­den Lei­chen­wa­gen mit Weih­was­ser und spricht ein Gebet. Zur Bei­set­zung sind nur die eng­sten Ange­hö­ri­gen zuge­las­sen, haben aber bei der Zere­mo­nie den vor­ge­schrie­be­nen Abstand zu wahren.

Um eine wei­te­re Aus­brei­tung der Pan­de­mie zu ver­hin­dern, sind seit dem 30. März in Spa­ni­en alle nicht lebens­wich­ti­gen Fir­men geschlos­sen. Die gro­ße Mehr­zahl der Arbei­ter­neh­mer muss nun zu Hau­se bleiben.