In Spanien hatte man gehofft, dass die Mitte März verhängte Ausgangssperre »Alarm« im Kampf gegen das Coronavirus bald wirken würde. Das ist nicht der Fall. Die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens blenden ein: »QUÉDATE EN CASA« – bleib zuhause. Spanien ist nach China und Italien das Land mit den meisten Todesfällen – 6528 bis zum 29. März, bei landesweit 78.797 infizierten Personen, darunter mehr als 4000 Ärzte und Pflegekräfte. In Madrid stirbt an den Folgen von Covid-19 alle sechs Minuten eine Person. Wegen der dramatischen Lage in der Stadt ist die Eissporthalle »Palacio de Hielo« zum Leichenhaus umfunktioniert worden. Die Messehallen der »Feria de Madrid IFEMA« beherbergen ein Lazarett mit 5500 Betten. Um den Notstand an Krankenhausbetten zu beheben, hat die Stadt sieben Hotels beschlagnahmt und in Spitäler umgewandelt.
Die spanische Tageszeitung El País schrieb: »Die Epidemie zeigt die Stärken, aber auch die Schwächen unseres Gesundheitssystems dieser Tage.« Ausgelöst durch die Finanzkrise, verstärkt durch eine neoliberale Sparpolitik, hat auch Spanien seine Staatsausgaben massiv reduziert. Der Druck der von der EU verordneten Austeritätspolitik tat ein Übriges. Allein das Budget des Gesundheitswesens wurde um rund 15 Milliarden Euro in diesen Jahren verringert, 10.000 Ärzte verloren ihre Arbeit, die Stellen pensionierter Mediziner wurden nicht neu besetzt. Bei einer Bevölkerung von 47 Millionen Menschen verfügt das Land nur über 4600 Intensivbetten. Von den 80 Spitälern in und um Madrid sind heute nur noch 30 staatlich. Jetzt wurden die Privatkrankenhäuser der Stadt Madrid unterstellt. Da die Policen der privat Krankenversicherten keine Leistungen bei Pandemien vorsehen, nehmen nun die vom Coronavirus Infizierten das staatliche Krankenhaussystem in Anspruch.
Die Behörden haben am Anfang das Risiko des Virus unterschätzt. Zu Beginn wurden wenige Tests durchgeführt, die Daten gaben keinen Grund zur Beunruhigung. Das hat sich geändert.
In Spanien – ähnlich wie in Italien –gibt es einen kulturellen Faktor, der für die hohe Infektionszahl verantwortlich sein dürfte: der enge Kontakt junger Leute zu Eltern und Großeltern. Es sind heute 60 Prozent der 24- bis 29-Jährigen, die noch bei ihren Eltern leben. Bei den 30- bis 34-Jährigen liegt der Anteil um die 30 Prozent. Die jungen Leute stecken sich schneller an, weil sie mehr Sozialkontakte haben. Zuhause kann das Virus auf die Älteren überspringen.
Mit großem Abstand führt die Altersgruppe ab 70 Jahren die Statistik der Coronakranken an. Krankenpfleger berichteten, dass Patienten, die älter als 75 Jahre sind, nicht mehr auf die Intensivstation kämen, die Ärzte müssten diejenigen bevorzugen, die große Überlebenschancen haben. Gefahrenorte der Pandemie sind aber auch die schlecht ausgestatteten Altersheime. Es wurden Fälle von noch rüstigen Alten bekannt, die das Heim auf eigene Faust verlassen haben, um zu Verwandten zu kommen.
Unterdessen hat die katholische Kirche für das Beisetzen von Urnen und Särgen ein Schnellverfahren genehmigt. Der Priester besprengt den langsam zur Grabstätte fahrenden Leichenwagen mit Weihwasser und spricht ein Gebet. Zur Beisetzung sind nur die engsten Angehörigen zugelassen, haben aber bei der Zeremonie den vorgeschriebenen Abstand zu wahren.
Um eine weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, sind seit dem 30. März in Spanien alle nicht lebenswichtigen Firmen geschlossen. Die große Mehrzahl der Arbeiternehmer muss nun zu Hause bleiben.