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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schlafende Schönheit oder Kriegsmacht EU

Mehr Geld für das Mili­tär wol­len nur 27 Pro­zent der Deut­schen aus­ge­ben, ermit­tel­te Allens­bach 2018. Auch Emnid befrag­te Bür­ge­rIn­nen: Auf einer Liste von 20 The­men wur­de die Bekämp­fung der Alters­ar­mut als wich­tig­ste Auf­ga­be genannt, wäh­rend »Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben auf­stocken« auf dem letz­ten Platz lan­de­te. 91 Pro­zent der Befrag­ten in Deutsch­land den­ken, dass von Russ­land kei­ne Gefahr droht – aber 83 Pro­zent sind der Mei­nung, dass Donald Trump zu einem Krieg bereit ist. Alles egal: Die Bun­des­re­gie­rung und die EU-Kom­mis­si­on ver­fol­gen eine Poli­tik, die der weit ver­brei­te­ten anti­mi­li­ta­ri­sti­schen Stim­mung in der Bevöl­ke­rung dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzt ist.

Der Abtei­lungs­lei­ter Poli­tik im Bun­des­mi­ni­ste­ri­um der Ver­tei­di­gung, Géza Andre­as von Geyr, will mit einem beson­de­ren Nar­ra­tiv eine »Euro­päi­sche Ver­tei­di­gungs­uni­on« in den Köp­fen ver­an­kern – bis hin zu einem »robu­sten Ein­satz«, sprich Krieg. »Das sei nötig, denn es gehe um die Glaub­wür­dig­keit der euro­päi­schen Ver­tei­di­gung«, berich­tet das Mini­ste­ri­um (27.11.2018). Dafür arbei­tet die Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin EU hart und konsequent.

Die deut­sche Füh­rungs­macht plä­diert in der Per­son von Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin Ursu­la von der Ley­en aus­ge­rech­net in Mali für gemein­sa­me euro­päi­sche Mili­tär­ein­sät­ze und für eine »Armee der Euro­pä­er«. CDU-Che­fin Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er stimmt ihr voll zu und will dafür den bis­lang ver­bind­li­chen Par­la­ments­vor­be­halt für Aus­lands­ein­sät­ze der Bun­des­wehr »ein Stück zurück­fah­ren«. Die von der Macht­eli­te seit Jah­ren kon­zer­tiert pro­pa­gier­te Paro­le »mehr Ver­ant­wor­tung in der Welt über­neh­men« wird tat­kräf­tig umge­setzt. Sogar UN-Gene­ral­se­kre­tär Antó­nio Guter­res plä­dier­te kürz­lich bei der Ent­ge­gen­nah­me des Karls­prei­ses in Aachen für mehr Ein­satz Euro­pas für die Welt­ge­mein­schaft – auch militärisch?

Robu­ste Ein­sät­ze des Mili­tärs ent­ge­gen Mehr­heits­mei­nung und Par­la­ments­vor­be­halt erfor­dern ent­spre­chen­de Nar­ra­ti­ve und Feind­bil­der; zum wich­tig­sten wur­de der rus­si­sche Prä­si­dent Wla­di­mir Putin auf­ge­baut. Arbei­tet der rus­si­sche Feind etwa ziel­stre­big auf Selbst­mord hin? Die Sta­ti­sti­ken wei­sen ein­deu­tig nach: Wäh­rend die NATO-Staa­ten im Jahr 2018 über eine Bil­li­on Dol­lar für das Mili­tär aus­ga­ben, erschei­nen die 66 Mil­li­ar­den die Russ­land dafür zur Ver­fü­gung stellt, gera­de­zu beschei­den. Wie will Russ­land gegen eine 15fache Über­macht bestehen?

Neh­men wir den­noch mal die Nar­ra­ti­on von rus­si­scher Aggres­si­on, Bedro­hung des Westens und Ziel der Frie­dens­si­che­rung ernst, die uns Regie­rungs­po­li­tik und Pres­se stän­dig ein­zu­häm­mern suchen. Wel­chen Bei­trag zum Frie­den haben NATO und EU-Staa­ten in Afgha­ni­stan, Irak, Syri­en, Liby­en erbracht? Wel­chen Grund könn­te Russ­land haben, dem Frie­dens­wil­len der »west­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft« zu ver­trau­en, ange­sichts der syste­ma­ti­schen Ein­krei­sung durch NATO und EU trotz aller gegen­tei­li­gen Zusa­gen vor 30 Jah­ren? Unglei­che Han­dels­ver­trä­ge und Erpres­sung, Neo­ko­lo­nia­lis­mus, Unter­stüt­zung für Dik­ta­to­ren – sind das die Bei­trä­ge zum Frie­den in afri­ka­ni­schen Län­dern? Ange­nom­men, die EU mach­te sich Sor­gen um die Demo­kra­tie in Russ­land: Ist zur Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te und zur För­de­rung demo­kra­ti­scher Prin­zi­pi­en eine 15fache mili­tä­ri­sche Über­le­gen­heit erfor­der­lich? Sind die 6,5 Mil­li­ar­den Euro der EU für pan­zertaug­li­che Stra­ßen nach Osten (im Euro­päi­schen Ver­tei­di­gungs­fonds »Con­nec­ting Euro­pe« genannt!) als ver­trau­ens­bil­den­de Maß­nah­me auf­zu­fas­sen? NATO-Manö­ver zusam­men mit der Ukrai­ne im Schwar­zen Meer? Neue Kampf­jets der Bun­des­wehr für moder­ni­sier­te US-Atombomben?

Nein, die Grün­de für EU-Auf­rü­stung, Auf­bau von Feind­bil­dern und Schü­ren der Ter­ror­angst sind anders­wo zu suchen. Die west­li­che Füh­rungs­macht USA mit ihrem Anspruch auf Welt­herr­schaft (Pen­ta­gon: »Wir wer­den dafür sor­gen, dass die Macht­ver­hält­nis­se zu unse­ren Gun­sten bestehen blei­ben …«, zit. nach W. Listl, isw Report Nr.115, S. 47) schwä­chelt; die kapi­ta­li­sti­sche Kon­kur­renz der EU steht bereit, mit wirt­schaft­li­cher Expan­si­on und Mili­ta­ri­sie­rung ihren Anteil an der Beu­te zu erkämp­fen. Bereits 1993 gab der dama­li­ge Bun­des­wehr-Gene­ral­inspek­teur Neu­mann die Rich­tung vor: »Es gibt zwei Wäh­run­gen in der Welt: wirt­schaft­li­che Macht und die mili­tä­ri­schen Mit­tel, sie durch­zu­set­zen.« Seit 2002 ver­folgt die EU geo­stra­te­gi­sche Schlüs­sel­pro­jek­te für eine gro­ß­eu­ro­päi­sche Wirtschaftszone.

Detail­liert beschrei­ben Clau­dia Haydt und Jür­gen Wag­ner die gene­ral­stabs­mä­ßi­ge Pla­nung der EU zur Erlan­gung einer bedeu­ten­den Welt­macht­stel­lung (»Die Mili­ta­ri­sie­rung der EU«, edi­ti­on ber­o­li­na, 2018). Aus dem Kon­zept EU Glo­bal Stra­tegy (EUGS) zitie­ren sie: »Im Zusam­men­hang mit dem Inter­es­se der EU an einem offe­nen und fai­ren Wirt­schafts­sy­stem besteht die Not­wen­dig­keit von welt­wei­tem Wachs­tum und welt­wei­ter Sicher­heit im See­ver­kehr, wodurch […] der Zugang zu den natür­li­chen Res­sour­cen sicher­ge­stellt« wird (S. 185). Es bestehe die Not­wen­dig­keit, in die Wider­stän­dig­keit der öst­li­chen Nach­bar­schaft bis nach Zen­tral­asi­en und in die süd­li­che bis Zen­tral­afri­ka zu inve­stie­ren. »Die Vor­stel­lung von Euro­pa als einer aus­schließ­lich ›zivi­len Macht‹ wird aber der sich ent­wickeln­den Wirk­lich­keit nicht gerecht. […] Für Euro­pa gehen Soft Power und Hard Power Hand in Hand« (S. 186). Auch wei­ter ent­fern­te Ein­ät­ze müss­ten von Fall zu Fall erör­tert wer­den. Wäh­rend also die Festung Euro­pa abge­schot­tet wird, soll die impe­ria­le Expan­si­on syste­ma­tisch fort­ent­wickelt werden.

Zusätz­lich zu den natio­na­len Haus­hal­ten bemüht sich die EU seit Jah­ren um ein gemein­sa­mes zusätz­li­ches Bud­get für das Mili­tär. Erst durch das Brexit-Refe­ren­dum rück­te das Ziel in greif­ba­re Nähe. Jah­re­lang hat­te Groß­bri­tan­ni­en den Aus­bau gemein­sa­mer mili­tä­ri­scher Pro­jek­te der EU blockiert, da es NATO-Struk­tu­ren favo­ri­sier­te. Sofort nach dem Brexit-Refe­ren­dum ergriff die EU die Initia­ti­ve zur Stär­kung der stra­te­gi­schen Auto­no­mie; inzwi­schen sind 34 Pro­jek­te spruch­reif, wei­te­re sol­len Ende des Jah­res folgen.

Im Febru­ar 2019 gab die EU-Kom­mis­si­on die Eini­gung über einen Euro­päi­schen Ver­tei­di­gungs­fonds bekannt. Der Haus­halts­ent­wurf für die Jah­re 2021 bis 2027 ent­hält etwa einen Posten über 6,5 Mil­li­ar­den Euro für »Mili­tä­ri­sche Mobi­li­tät«; für ein neu­es For­schungs- und Inno­va­ti­ons­pro­gramm »Hori­zont Euro­pa« wer­den 100 Mil­li­ar­den Euro bereit­ge­stellt. Dar­über hin­aus besteht seit einem Jahr außer­halb des mehr­jäh­ri­gen Haus­halts der Uni­on ein Schat­ten­haus­halt unter der Bezeich­nung »Euro­päi­sche Frie­dens­fa­zi­li­tät« mit einem Volu­men von 10,5 Mil­li­ar­den Euro. »Die­ser Fonds wird die Finan­zie­rung von ope­ra­ti­ven Maß­nah­men im Rah­men der Gemein­sa­men Außen- und Sicher­heits­po­li­tik (GASP) mit mili­tä­ri­schen oder ver­tei­di­gungs­po­li­ti­schen Bezü­gen ermög­li­chen«, teil­te die EU mit.

»Euro­pa wird erwach­sen«, schreibt der Spie­gel aner­ken­nend (11.11.1917). Gemeint ist damit nicht, dass Frie­dens­in­itia­ti­ven und Abrü­stungs­maß­nah­men geför­dert und durch­ge­setzt wür­den. Viel­mehr setzt die EU auf Auf­rü­stung und mili­tä­ri­sche Gewalt zur Durch­set­zung wirt­schaft­li­cher und stra­te­gi­scher Inter­es­sen – auch gegen­über der Vor­macht jen­seits des Atlan­tiks. In dem EU-Pro­jekt Per­ma­nent Struc­tu­red Coope­ra­ti­on (PESCO – Stän­di­ge struk­tu­rier­te Zusam­men­ar­beit) wird ein mili­tä­ri­sches Kern­eu­ro­pa mit Spit­zen­fä­hig­kei­ten auf­ge­baut. Das Ziel ist eine wirt­schaft­lich-mili­tä­ri­sche Super­macht. PESCO, die »schla­fen­de Schön­heit des EU-Ver­tra­ges« (Jun­cker, Prä­si­dent der EU-Kom­mis­si­on) beinhal­tet die regel­mä­ßi­ge rea­le Auf­stockung der Haus­halts­mit­tel, eine Macht­kon­zen­tra­ti­on der stärk­sten EU-Staa­ten und eine selbst­ver­ständ­li­che Legi­ti­ma­ti­on mili­tä­ri­schen Vorgehens.

Die star­ken Staa­ten der EU ver­fü­gen also in Zukunft über ver­schie­de­ne mili­tä­ri­sche Optio­nen, ihre Inter­es­sen in der Welt mili­tä­risch durch­zu­set­zen: natio­nal, in der EU oder im Rah­men der NATO. Atom­waf­fen­ver­bot, UN-Char­ta oder gar Abrü­stung und Bekämp­fung der Ungleich­heit sind kein The­ma in der EU-Politik.