Wie kommt es, dass Kräfte und Parteien, die einst in der Hoch-Zeit der Friedensbewegung wichtig waren, um den Erfolg des Vertrages über die Vernichtung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa möglich zu machen, heute mehrheitlich den Nato-Narrativen folgen und die Atom-/ und Hochrüstung sowie die Spannungseskalation stützen?
Damals sagte der Sozialdemokrat Erhard Eppler auf der ersten der großen Friedensdemonstrationen in der Bundeshauptstadt Bonn 1981: »Der Friede ist eine viel zu ernste Sache, als dass man ihn militärischer Strategie und politischer Taktik, den Raketenzählern und Lobbyisten überlassen dürfte. (…) Wir lassen uns nicht einschüchtern. (…) Wir haben keine Angst vor moralischer Abqualifizierung durch den höchsten Repräsentanten unseres Staates.« Der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll erklärte: »Den Krieg, wie ihn die Sowjetunion erlebt hat, möchte offenbar keiner mehr sehen. (…) Es ist kalt geworden. (…) Die Politiker haben ja die Wahl, uns zu apathischen Zynikern zu machen. (…) Sie können es haben, sie können eine gelähmte Bevölkerung (…) haben, die gelähmt ist von diesen Waffenpesten und Waffenzahlen. Wir wollen uns nicht lähmen!«
Die Grüne Petra Kelly erklärte: »Diese Erde hat keinen Notausgang – schon heute sind Militär und Rüstung die größten Verschwender von Energie, Rohstoffen, menschlicher Fantasie und Arbeit, von Gütern, die bei der Rettung von Hungernden und bei der Förderung sozialer Gerechtigkeit fehlen.« Die Spitzen der Bündnisgrünen und der SPD haben all das hinter sich gelassen. Als nun Rolf Mützenich über Alternativen zur immer weiteren Eskalation des Krieges sprach, warnte die Vorsitzende der Bündnisgrünen, Frau Lang, vor einem »Rückfall in die alte Russland-Politik der Sozialdemokratie«. Sie erklärt die Entspannungspolitik der SPD zum Fehler. Dabei hat diese Politik mit zur friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten, zur Abrüstung landgestützter Atomraketen in Europa und zur Beendigung des Kalten Krieges geführt. Willy Brandt bekam für die Ostpolitik den Friedensnobelpreis.
Die heutige Situation ist demgegenüber ein Ergebnis des Bruchs des Vertrages zum Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, der von den Signatarstaaten verlangt, eine Friedensordnung aufzubauen, in der die Sicherheitsinteressen »eines jeden«, also auch der Sowjetunion, respektiert werden. Jens Stoltenberg erklärte im Dezember 2023 im EU-Parlament, dass Russland mit diesem Krieg die Nato-Bestrebungen der Aufnahme der Ukraine ins westliche Militärbündnis verhindern wollte. Michail Gorbatschow erklärte im Buch Worauf es jetzt ankommt 2019: »Doch das gegenseitige Vertrauen, das mit dem Ende des Kalten Krieges gewachsen war, wurde dann (…) schwer erschüttert – durch die Entscheidung der Nato, sich nach Osten auszudehnen. Und Russland konnte darauf keine Antwort finden.«
All diese Fakten widersprechen den Narrativen der Nato-Lobby, Russland exerziere in der Ukraine einen imperialistischen Angriffskrieg aus Machtinteressen, und wenn wir es nicht zurückschlagen, steht es bald vor Berlin oder gar am Rhein …
Wie hat die Nato-Kriegspropaganda diese Kehrtwende in den einst rotgrünen Parteien und in der Öffentlichkeit bis weit in alternative Bewegungen und die Linkspartei hinein geschafft? 2015 führte die Nato-Strategieschmiede Joint Air Power Competence Centre eine Konferenz unter dem Titel »Strategic Communication« in der Messe Essen durch. Im Einladungsschreiben beklagte sie noch: Es gebe Kräfte, die der Nato gegenüber feindlich eingestellt seien (entities hostile to Nato). Sie schüren erfolgreich Vorbehalte gegen Operationen der Militärs in der Bevölkerung – so der Text.
Im Vorbereitungsmanuskript der Konferenz (Read Ahead) lasen die Teilnehmenden: »Im Irakkrieg im Jahr 2003 machte die Bush-Regierung einen großen strategischen Fehler, indem sie auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen durch das Regime von Saddam Hussein verwies. In den 1990er Jahren, führte Saddam Hussein ein Massenmordprogramm durch, dem bis zu 250.000 Iraker in Folterkammern und auf den riesigen Tötungsfeldern zum Opfer fielen. Wenn die Beweise für Saddam Husseins Gräueltaten publik gemacht worden wären, wäre die öffentliche Unterstützung für den Krieg sehr viel stärker gewesen.« Das Problem war für die Strategen nicht die Unwahrheit, da es diese Massenvernichtungswaffen im Irak nicht gegeben hatte, sie sahen das Problem nicht im Völkerrechtsbruch, sondern in der fehlenden Akzeptanz des Krieges in der Weltöffentlichkeit.
Im Auswertungsmanuskript der Tagung Conference Proceedings kamen die Strategen dann zu der Schlussfolgerung: Man sei sich einig gewesen, dass Geschichten dann eine maximale Wirkung haben, wenn sie eine menschliche Dimension aufweisen und wenn sie von denjenigen erzählt werden, die ins Herz des Geschehens verwickelt waren. Einsätze im Irak und in Afghanistan hätten gezeigt, dass es ein äußerst effektives Mittel sei, die Professionalität, den Mut und die Führungsqualitäten von oft sehr jungen Militärangehörigen hervorzuheben.
Es ging auch um die Frage, ob Facebook, Twitter oder Blogs in die Strategische Kommunikation einbezogen werden. Wenn Geschichten über gut ausgebildete, motivierte junge Menschen, die Fantastisches und unter schwierigen Umständen leisten, erzählt werden, dann überwiegen die Vorteile des Einbezugs dieser Medien
Strategische Kommunikation unterscheidet sich von menschlicher Kommunikation dadurch, dass die Zielpersonen, möglichst, ohne es zu merken, in eine bestimmte Denkrichtung getrieben werden und glauben, sie seien gut informiert. Kommunikation ist im humanistischen Sinn menschlich, wenn sie die Kommunikationspartner ernst nimmt und ohne verborgene Absichten mit Halbwahrheiten und doppelten Standards frei und ehrlich – ohne Filter – sagt, was ist.